# taz.de -- Buch über Kunstmärkte: Das Geheimnis lüften | |
> Julia Voss entlarvt im Kunstbetrieb ein Abbild der neuen globalen | |
> Ungleichheit und fordert eine unabhängige Kunstkritik. | |
Bild: Händler auf der Kunstmesse Art Basel. Julia Voss schreibt gegen das „M… | |
Im Jahr 1974 hatte Michael Asher eine ungewöhnliche Idee. Für eine | |
Ausstellung in der Claire S. Copley Gallery in Los Angeles entfernte der | |
amerikanische Konzeptkünstler die Trennwand zwischen dem Büro- und dem | |
Ausstellungsraum. Mit seiner Aktion wollte Asher den „einzigartigen | |
Kultraum der Ästhetik“ aufbrechen, den der irisch-amerikanische Künstler | |
Brian O’Doherty zwei Jahre später in seiner legendären Schrift „Inside the | |
White Cube“ beschrieb: Geschäfte und Connections im Hintergrund, so Ashers | |
Botschaft, „machen“ ein Kunstwerk genauso wie der einsame Künstler im | |
Atelier. | |
Das Beispiel zeigt: Ganz neu ist Julia Voss‘ Forderung, „nicht nur über | |
Kunst zu berichten und diese zu bewerten, sondern auch über die | |
Hintergründe aufzuklären“, nicht. In sieben Kapiteln resümiert die | |
Kunstkritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, worüber im | |
Kunstbetrieb nach ihrer Meinung zu wenig gesprochen wird: die Preispolitik | |
der Galerien, Kunst als Geldanlage und die neue Macht der Sammler. | |
Als entscheidendes Merkmal des „Strukturwandels“ im Kunstbetrieb sieht sie | |
den Machtverlust der öffentlichen Museen. Sammler wie der französische | |
Industrielle François Pinault verfügten dagegen inzwischen über die gesamte | |
Wertschöpfungskette – von der eigenen Sammlung über das Privatmuseum bis | |
zum Auktionshaus. | |
Besonders lesenswert machen den schmalen Band die Analogieschlüsse der | |
passionierten Wissenschaftshistorikerin zwischen Kunstgeschichte und | |
Naturwissenschaft. Etwa wenn sie den Aufstieg der Young British Artists mit | |
dem Begriff der Mimikry erklärt; oder die Neigung kritisiert, die | |
Kunstgeschichte als eine Art Stammbaum der Arten à la Charles Darwin zu | |
interpretieren. | |
Was nicht verwundert. Schließlich ist die Journalistin 2009 mit dem Buch | |
„Darwins Jim Knopf“ zu Recht bekannt geworden. Das weltbekannte Jugendbuch | |
des deutschen Autors Michael Ende hatte sie vor der Folie des britischen | |
Naturforschers gelesen und einen Gegenentwurf zu der – an Darwin | |
orientierten – Rassenideologie der Nazis gesehen. | |
## Rechtsanwälte als Kunstdealer | |
Statt das „Märchen von der Kunst im luftleeren Raum“ fortzuschreiben, | |
fordert die Journalistin von ihrer Zunft, eine „Sozialgeschichte der Kunst | |
zu schreiben“. Was ebenfalls nicht ganz neu ist. Schließlich hatte die | |
Kunsthistorikerin Jutta Held schon 1993 eine wegweisende systematische | |
„Sozialgeschichte der Malerei“ vorgelegt. | |
Neu ist, dass Voss diesen Ansatz auf die journalistische Kunstkritik | |
bezieht und selbst beispielhaft durchführt. Ihre Fallstudien zur | |
(Selbst-)Vermarktung prominenter Künstler wie Georg Baselitz oder Jeff | |
Koons belegen überzeugend ihre alternative Definition von der | |
Kunstgeschichte als „Gemeinschaftswerk mit Arbeitsteilung“. | |
Luzide, kenntnisreich und eloquent seziert Voss die Mechanismen des | |
Kunstbetriebs. Und bei einer Redakteurin der gemeinhin als „konservativ“ | |
geltenden FAZ darf man aufhorchen, mit welcher Verve sie die – auch von | |
einem Autor wie Georg Seeßlen propagierte – These vertritt, dass das | |
globale Kunstsystem ein direktes Abbild der neuen globalen Ungleichheit | |
sei. So wie dort die schwerreichen Investmentbanker inzwischen die guten | |
alten Zahnärzte und Rechtsanwälte als Kunstdealer abgelöst hätten. | |
Ihr Buch ist aber auch ein bemerkenswertes Beispiel journalistischer | |
Selbstreflexion. Die graffitiartigen Zeichnungen des Illustrators Philipp | |
Deines verleihen diesem couragierten Plädoyer für eine unabhängige | |
Kunstkritik ein visuelles Surplus. Auf einem Bild sieht man einen von Jeff | |
Koons’ berühmten glänzenden „Balloon Dogs“. Hinter der aufgeschnittenen | |
Oberfläche greift da das Räderwerk des Kunstbetriebs ineinander. | |
Ob es Voss mit ihrem Ansatz am Ende gelingt, „Waffengleichheit“ mit den | |
Akteuren herzustellen, die ihre Wertsteigerungsstrategien und Spekulationen | |
geschickt verschleiern, wird sich zeigen. Im globalen Kunstbetrieb von | |
heute sind mehr Geld und Macht im Spiel als zu Beginn der siebziger Jahre. | |
Der Forderung von Voss, das „Betriebsgeheimnis des Kunstsystems zu lüften“ | |
und „hinter die weiße Wand zu schauen“, hätte Michael Asher aber gewiss | |
zugestimmt. | |
6 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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