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# taz.de -- Kunstausstellung zum Goldenen Zeitalter: Industrialisierung der Kun…
> Im 17. Jahrhundert verzeichnete der niederländische Kunstmarkt ein
> beispielloses Wachstum. Eine Ausstellung zeigt die Hintergründe.
Bild: Der niederländische Kunstmarkt veränderte sich im Goldenen Zeitalter se…
Der Titel des Gemäldes heißt zwar „Der Schimmel vor der Schmiede“, doch d…
weiße Hengst auf dem Bild von Philips Wouwerman ist nebensächlich. Vielmehr
steht ein gescheckter Gaul im Zentrum. Während die Aufmerksamkeit zwei
dickbauchiger Herren dem Beschlagen des Weißen gilt, lässt der Scheckige
seinen mächtigen Pferdepenis schwer herunterbaumeln, und ein kräftiger
Strahl Urin pladdert auf den Sandboden.
Diese derbe Szene von 1654 zeichnet eine besondere Fertigkeit des Malers
Wouwerman aus: Während Hunderte Künstler auf dem gefüllten Kunstmarkt der
Niederlande Mitte des 17. Jahrhundert um Beachtung rangen, konzentrierte
sich Wouwerman auf die besonders fein ausgearbeitete Darstellung von
Pferden, mit all den Details, die sein humorvoller Naturalismus forderte.
Die Ausstellung „Die Geburt des Kunstmarkts. Rembrandt, Ruisdael und die
Künstler des Goldenen Zeitalters“ stellt noch mehr derartig spezialisierte
Künstler vor: Paulus Potter zum Beispiel war der Meister der Rinder, Pieter
Jansz. Saenredam malte karge Interieurs calvinistischer Kirchen, und der
Landschaftsmaler Jacob Isaacksz. van Ruisdael hat seine Nische in der
Darstellung westfälischer Landschaften gefunden, die er durch wilde
Wasserfälle exotisierte.
## Die Vermarktung der Kunst
Für ein derart ausgefeiltes Angebot an malerischen Sujets bedurfte es auch
der Nachfrage oder andersherum: Nur eine kunstbegeisterte, kaufkräftige
Gesellschaft konnte ein solches Angebot generieren. Dem Wechselverhältnis
von Kunstschaffen und Sammlertum in der 100-jährigen Epoche des Goldenen
Zeitalters widmet sich die Schau im Bucerius-Forum. Damit knüpft der neue
Direktor Franz Wilhelm Kaiser an eine ganze Reihe von Ausstellungshäusern
an, die derzeit nicht den ästhetischen Wert der Kunst thematisieren,
sondern ihre Herkunft und Verbreitung. Die Gemäldegalerie in Kassel oder
die Bremer Kunsthalle widmen sich gerade der Provenienz ihrer Sammlungen,
in Bonn und Bern ist der Gurlitt-Fund zu sehen. Der Lehrstuhl von Benedicte
Savoy, die zuletzt durch die notwendige Forderung der Provenienzforschung
am Humboldtforum in den Medien präsent war, veröffentlicht seit einigen
Monaten ein Onlinejournal allein zu Kunstmarktforschungen und macht mit dem
[1][Journal for Art Market Studies] die akademische Arbeit über Herkunft
und Verbreitung von Kunst öffentlich zugänglich.
All diese Projekte zeigen, wie stark die Verstrickung vieler Sammlungen mit
den dunklen Facetten unserer Geschichte, mit den Unrechtmäßigkeiten des
Nationalsozialismus oder der deutschen Kolonialzeit ins öffentliche
Bewusstsein gerückt ist. Das Bucerius-Forum konzentriert sich in seiner
übersichtlichen Schau auf einem eher unschuldigen Teil der
Kunstmarktgeschichte, nämlich dem ersten Markt der niederländischen Alten
Meister, bevor sie später zum Gegenstand von Enteignung und Raub wurden.
Der nahezu industrialisierte Gemäldeausstoß von 70.000 Werken während des
Goldenen Zeitalters ist in der Kunstgeschichte beispiellos. Zahlen und
Sujets spiegeln einen gesellschaftlichen Strukturwandel in den Niederlanden
wider, die infolge des Spanisch-Niederländischen Kriegs und der Loslösung
vom Heiligen Römischen Reich plötzlich zu einer weltumspannenden See- und
Handelsmacht wurden.
Kunst, wie die US-amerikanische Kunstmarktforscherin Titia Hulst in einem
Artikel der letzten Ausgabe im erwähnten Journal for Art Market Studies
betont, ist ein Ausweis für den guten Geschmack ihres Besitzers. Und
Geschmack wiederum, so Hulst mit Verweis auf Pierre Bourdieus „Die feinen
Unterschiede“, ist ein gesellschaftliches Distinktionsmerkmal. In den
Niederlanden des 17. Jahrhunderts rückten die klassischen Mäzene – die
Kirche oder Fürsten – in den Hintergrund, stattdessen traten die neuen
Mächtigen des Landes hervor: die Händler und Unternehmer. Für ihren eigenen
und neuen sozialen Stand wollten sie eine eigene Kunst.
Eine Analogie findet Titia Hulst in den prosperierenden USA der 1960er
Jahre. Dort wurde die Pop-Art zum beliebten Sammlungsgegenstand von
erfolgreichen Businessmanagern, in Abgrenzung zum noch vorherrschenden
europäischen Kunstverständnis, das Pop-Art zunächst als banal auffasste.
Die neuen niederländischen Sammler des Goldenen Zeitalters wiederum
eiferten nicht den Fürsten nach und favorisierten selbstbewusst die „sujets
bas“, die „niedrigen Themen“. So gelang das Genre oder die Landschaft in
die niederländische Malerei.
Neben den frühen Formen künstlerischer Selbstvermarktung durch Auktionen
und Lotterien (!) stellt die Ausstellung im Bucerius-Forum auch eine der
ersten großen Händlerdynastien in der Kunstmarktgeschichte vor: Hendrick
van Uylenburgh und sein Sohn Gerrit. Ihr Werkstatt- und Unternehmenspartner
war vier Jahre lang Rembrandt Harmensz. van Rijn. Der noch junge Künstler
fertigte in dieser Zeit seine heute berühmten Porträts an, jene
faltengenauen und doch so weichen Bildnisse der Amsterdamer Gesellschaft,
von denen in der Ausstellung nur einige originale Studien zu sehen sind.
Sohn Gerrit van Uylenburgh weitete sein Verkaufsfeld von Amsterdam aus auf
die europäischen Höfe aus. Und: Er leitete damit den Niedergang von
Uylenburgh & Zoon ein, nachdem sich der brandenburgische Kurfürst Friedrich
Wilhelm von ihm um einen Italiener betrogen fühlte und nicht zahlte. Das
war 1672, dem Katastrophenjahr für die Niederlande, als die Feudalmächte
wieder mehr Einfluss gewannen. Die Monarchen kehrten zurück, und zeitgleich
wandelte sich der allgemeine Geschmack wieder dem Historienbild zu.
24 Nov 2017
## LINKS
[1] https://www.fokum-jams.org/index.php/jams/index
## AUTOREN
Sophie Jung
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Kunst
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