# taz.de -- „Doctor Strange“ im Kino: Mit lila Glitter gegen das Böse | |
> Karate Kid ist jetzt ein Neurochirurg auf Sinnsuche: Der auf Ekelpakete | |
> spezialisierte Schauspieler Benedict Cumberbatch gibt den „Doctor | |
> Strange“. | |
Bild: Ich bin der Doktor Ziegenbart: Benedict Cumberbatch als „Doctor Strange… | |
Es gibt schlechte Nachrichten: Der neuste Superheld in Marvels | |
Kinouniversum trägt über weite Strecken des Films Ziegenbart. Doch damit | |
sind die Schmerzen nicht vorbei, die Scott Derricksons „Doctor Strange“ | |
verursacht. | |
Fangen wir vorne an: Das Gute liegt diesmal in Nepal und der ehemalige | |
Neurochirurg Doctor Strange, der bei einem Autounfall eine schwere | |
Verletzung seiner Hände erleidet, muss sich dort in allerlei | |
New-Age-Esoterik üben, bevor er endlich den Bösen auf die Nase geben darf | |
und die Welt retten. Das bzw. der Böse, Kaecilius geheißen (Mads | |
Mikkelsen), kommt ebenfalls aus Nepal, hat anfangs das gleiche | |
klosterartige Weltrettungshauptquartier besucht, ist dann aber vom rechten | |
Weg abgekommen. | |
Benedict Cumberbatch als schnöselig-mackriges Ekelpaket Doctor Stephen | |
Strange muss also im Schnelldurchlauf von der Ältesten in die geheimsten | |
Geheimnisse des Guten eingeweiht werden. Gespielt wird „die Älteste“ | |
grandios verschmitzt von Tilda Swinton, die durch ihr Schauspiel fast den | |
Film gerettet hätte. Dass Cumberbatch wiederum egomane Ekelpakete lustvoll | |
auszugestalten weiß, hat man in der BBC-Reihe „Sherlock“ gesehen. | |
Leider darf er das Ekelpaket in „Doctor Strange“ nur kurz spielen, hat das, | |
was der Film für „Handlung“ hält, es doch auf seine Wandlung abgesehen. D… | |
verläuft so stereotyp wie uninteressant: Stranges Ego wird kurzerhand auf | |
Durchschnittsgröße zurechtgestutzt. Dann kann auch er mit hübschen | |
Lichtzeichnungen, die er aus Büchern auf Sanskrit mit magischen Zeichnungen | |
lernt, in den Kampf gegen das Böse ziehen, das sich an einer feschen | |
lila-schwarzen Glitterästhetik erkennen lässt. Karate Kid ist groß geworden | |
und jetzt ein Neurochirurg auf Sinnsuche. | |
Je länger man der endlosen Vorgeschichte zusieht, desto mehr beschleicht | |
einen das Gefühl, dass es einen Grund gibt, weshalb es viele Pläne für | |
Doctor-Strange-Verfilmungen gab, aber fast ebenso viele verworfene | |
Vorhaben. Die nicht verworfenen Pläne durften dann im Fernsehen (1978) oder | |
im Kino (1992, 2007) scheitern. Die wirre New-Age-Welt der Comicvorlage | |
trägt wohl einfach keinen Film. | |
Das Elend, das zum aktuellen Film führte, nahm 2005 seinen Lauf: Paramount | |
kaufte Miramax die Rechte zu „Doctor Strange“ ab. Das Projekt dümpelte so | |
vor sich hin, bis es 2010 aus dem Schlaf gerissen und das Projekt Thomas | |
Dean Donnelly und Joshua Oppenheimer in die Hände gedrückt wurde, um ihr | |
Glück als Autoren daran zu versuchen. Dann versandete es offenbar wieder. | |
Ende 2014 wurde der Film in seiner jetzigen Form von Scott Derrickson | |
gemeinsam mit C. Robert Cargill, Jon Spaihts und Dan Harmon als Autoren | |
ausgeknobelt. | |
## Bedrohliche Landschaft | |
Das Sehenswerteste an Derricksons Film sind die Visual Effects, die wie | |
schon bei einer Reihe früherer Marvel-Filme George Lucas’ Firma Industrial | |
Light & Magic gemeinsam mit Luma Pictures besorgte. Die Escher-artigen | |
Verformungen der Welt, die Gute und Böse gleichermaßen beherrschen, sind | |
wirklich hübsch: Fassadenteile werden zu sich drehenden Elementen, | |
Gebäudeteile kippen und drehen, bis die Elemente der Londoner Hochhäuser | |
eine bedrohliche Landschaft formen. | |
Gleich zu Beginn des Films gibt es inmitten dieser beweglichen Umgebung | |
eine kurze Kampfszene zwischen der Ältesten und ihrem entlaufenen Schüler | |
Kaecilius und dessen Entourage. In Verbindung mit einer echten Geschichte | |
hätten die Visual Effects das Zeug zu wirklichen Höhepunkten gehabt. | |
Wie stark die Marvel-Blockbuster-Geldanlagen unterdessen auf China als | |
Markt angewiesen sind, hat sich dem Film in einem Detail eingeschrieben. | |
Nichts ist prägender für das zeitgenössische chinesische Kino als exzessive | |
Rückblenden. Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass einer der wenigen | |
Höhepunkte des Drehbuchs eine Quasirückblende in Hongkong gegen Ende des | |
Films ist. | |
## Ein Gastauftritt ist geplant | |
Der aktuelle Versuch, Doctor Strange leinwandtauglich zu bekommen, ist | |
vermutlich vor allem damit zu erklären, dass Marvel Doctor Strange | |
mittelfristig für eine interessante Ergänzung des All-Star-Teams der | |
Avengers hält. Ein Auftritt im geplanten dritten Avengers-Film „Avengers: | |
Infinity War“ ist vorgesehen. | |
Solange Marvels Kinouniversum wie eine frisch geölte Gelddruckmaschine | |
läuft, wird wohl jede Comicfigur ihre Verfilmung bekommen und anschließend | |
in das unübersichtliche Superheldenkuddelmuddel eingemeindet werden. Bleibt | |
nur die Frage, welchen Superheld Mads Mikkelsen demnächst verkörpern darf. | |
Der Trailer zum nächsten „Star Wars“-Film, der im Dezember startet, legt | |
nahe, dass Disney einen Rahmenvertrag mit Mikkelsen abgeschlossen hat und | |
den jetzt in jedem Film einzusetzen gedenkt. | |
Einstweilen bleibt der einzige Doctor-Strange-Film, den man einstweilen | |
sehen möchte, weiterhin einer, der nie gedreht wurde: 1992 nämlich hat | |
Horror-Großmeister Wes Craven einen Vertrag mit Savoy Pictures | |
unterschrieben für einen Film, der 1994 oder 1995 in die Kinos hätte kommen | |
sollen. | |
26 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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