# taz.de -- Spielfilm über Mathematiker Alan Turing: Nicht nur verschroben | |
> Nerds sind die geborenen Filmhelden. Das Biopic „The Imitation Game“ über | |
> Alan Turing entfernt sich leider zu wenig vom Klischee. | |
Bild: Benedict Cumberbatch als Alan Turing. Nicht im Bild: Pizzakartons. | |
Soll Benedict Cumberbatch doch seinen Oscar haben. Seit Jahren schon | |
perfektioniert er sie, seine Darstellung von soziophoben Genies, von | |
exzentrischen Nerds von Sherlock Holmes bis Julian Assange. Heute kommt er | |
mit „The Imitation Game“ ins Kino, einem Film, der für insgesamt acht | |
Oscars nominiert ist – mal wieder als eigenbrötlerischer Techpionier, | |
diesmal Großbritanniens verkanntester Vordenker: Mathematiker und | |
Computerentwickler Alan Turing. | |
114 Minuten lang hadert dieser Turing, den Cumberbatch spielt. Mit dem | |
Sozialleben um ihn herum, das für ihn so schwer verständlich ist. Mit dem | |
Verbergen seiner Homosexualität, die damals strafbar war und ihn am Ende | |
Ansehen und wahrscheinlich sogar das Leben kostete. Und damit, dass er | |
seiner Zeit so weit voraus war, dass es ihm schwer fiel, andere von der | |
Notwendigkeit seiner Arbeit zu überzeugen. Gut macht er das, Benedict | |
Cumberbatch. Hätte seine Darstellung doch nur etwas mehr mit dem Leben von | |
Turing zu tun. | |
„The Imitation Game“ ist mal wieder ein Versuch. Ein Versuch, einen | |
Nerd-Film zu machen, der funktioniert. Je stärker Computer und Algorithmen | |
unser Leben formen und beherrschen, desto faszinierender werden Geschichten | |
über ihre Dompteure – die Herren über Maschinen und Programme, Nerds. Wie | |
ticken sie, diese scheinbar so linkischen Zeitgenossen, die mithilfe von | |
Code und Kabel dann Dienste und Technik erschaffen, die unseren Alltag | |
umkrempeln – oder gleich an den ganz großen Rädern der Geschichte | |
mitdrehen? | |
Was sich auch deswegen anbietet, weil die Geschichte des Außenseiters, der | |
es allen mal so richtig zeigt, neben Boy-Meets-Girl eines der klassischsten | |
Erzählungsgerüste überhaupt ist. From Zero to Hero, vom Eigenbrötler zum | |
Helden wider Willen, das funktioniert von Charlie Chaplin bis Frodo | |
Beutlin. Und entlässt den Zuschauer nach dem Kinoabend mit dem erhebenden | |
Gefühl, das in wirklich jedem eben doch etwas ganz Besonderes steckt. Egal | |
wie laut immer alle über ihn oder sie gelacht haben. Ein Bröckchen | |
amerikanischer Traum eben. | |
## Nerds eben: verschroben und schlau | |
Und doch scheiterten reihenweise eigentlich interessante Filmprojekte in | |
den vergangenen Jahren daran, einmal einen guten Film über Nerds zu machen. | |
David Fincher etwa schafft es in „The Social Network“ nicht, das Innenleben | |
von Marc Zuckerberg und die Entstehungsgeschichte von Facebook zu | |
ergründen. Und der von vielen Hackern sehnlich erwartete Film über | |
Wikileaks, der sich dem Leben von Julian Assange und seiner | |
Whistleblowing-Plattform widmete, versank in Langeweile und floppte an den | |
Kinokassen. | |
Auch ein Benedict Cumberbatch als Assange schaffte es nicht, den Film zu | |
retten – weil sich wieder einmal nicht getraut wurde, diesen Assange als | |
die schillernde, vielschichtige Figur darzustellen, die er im echten Leben | |
ist. Auch er musste Klischee bleiben, ein Nerd eben: in der Sache | |
ambitioniert, verschroben, schlau. | |
Auch „The Imitation Game“ mutet seinen Zuschauern zu wenig zu. Etwa, wenn | |
es ums Technische geht: In einer Baracke im britischen Bletchley Park | |
arbeiteten Turing und seine Mitstreiter an einer Maschine, die den geheimen | |
Militärcode der Nazis, „Enigma“, entschlüsseln soll. Eine Maschine, bei d… | |
viele Rädchen im Kreis rattern, um den Code, der jeden Tag verändert wird, | |
zu knacken. Mehr über Turings Arbeit, seine Ideen oder gar den Turing-Test, | |
der bis heute als Kriterium für künstliche Intelligenz gilt, gibt es nicht. | |
Was dünn ist für einen Film, der genau das zum Thema machen will. | |
Natürlich ist der Computernerd Turing, den der Film zeigt, besessen von | |
seiner Arbeit. Natürlich ist das jemand, der kaum einen Smalltalk ohne | |
Hilfe übersteht, an jedem Witz scheitert. So will es das Klischee, so zeigt | |
es der Film. Nur logisch, dass Turing im Film bei seinen Kollegen mit | |
seinen an Autismus angrenzenden Umgangsformen aneckt. | |
## Fast denunziatorisch (Achtung, Spoiler) | |
Dass Turing tatsächlich gar nicht unbeliebt bei seinen Kollegen war, wie | |
sein Biograf Andrew Hodges schreibt, dass er die Entschlüsselungsmaschine | |
nicht im Alleingang entwickelte, sondern sie eine Gemeinschaftsarbeit von | |
Hunderten war, die vor allem auf der Vorarbeit eines polnischen Prototyps | |
basiert und Turing das Gerät auch nicht sentimental nach seiner Jugendliebe | |
„Christopher“ nannte, sondern sie wegen ihres Tickens „Turing-Bombe“ | |
genannt wurde – das alles passt natürlich nicht zum Klischee über den Nerd | |
an sich. | |
Fast schon Denunziatorisches wird es, wenn der Film herauszuarbeiten sucht, | |
wie gefährlich Turings Homosexualität damals war. Der Drehbuch-Twist: | |
Turing sei erpressbar geworden, als ein (Achtung, Spoiler!) Mitarbeiter aus | |
seinem engsten Team, der für die Sowjets spionierte, ihm drohte, in wegen | |
seiner in Großbritannien damals strafbaren Homosexualität zu verpetzen, | |
wenn Turing ihn verrate. | |
Da steht er also, der vom Film eigentlich als Kriegsheld gefeierte Turing, | |
zum Sicherheitsrisiko geworden durch seine sexuellen Neigungen. Turings | |
Biografen allerdings wissen von einem solchen Vorfall nichts: Nach | |
aktuellem Stand der Forschung gab es keinen Spion in seinem engeren Umkreis | |
– und die Wahrscheinlichkeit, dass er Kontakt mit einer solchen Person | |
außerhalb seines direkten Arbeitsumfeldes gehabt haben könnte, tendiert | |
nach Einschätzung von Zeitzeugen wegen der Geheimhaltung in Bletchly Park | |
gegen null. | |
So wird der Held Turing, dem hier eigentlich doch endlich der lange | |
verdiente Respekt gezollt werden soll, nicht nur ein Stück weit denunziert, | |
wie die britische Historikerin Alex von Tunzelmann kritisiert. Der | |
amerikanische Autor Christian Caryl geht in der The New York Review of | |
Books noch einen Schritt weiter und kritisiert die Darstellung von Turing | |
im Film als „Totem der ’Schwulenbefreiung‘ “. | |
## Konsolen und Pizzakartons | |
Und so bleibt irgendwie auch bei „The Imitation Game“ im Dunkeln, wie | |
dieser ungewöhnliche Mann Alan Turing eigentlich getickt hat, dieser Typ, | |
der trotz all seiner Errungenschaften und Leistungen wegen seiner | |
Homosexualität inhaftiert und gezwungen wurde, sich einer Hormontherapie zu | |
unterziehen. Die viele in engem Zusammenhang mit seinem Tod nach dem | |
Verzehr eines mit Zyanid versetzten Apfels sehen. | |
So bestechend der Nerd als Figur fürs Kino ist, als Ringträger Frodo oder | |
als nachlässig gekleideter Weltenretter ohne Benimm, so selten leistet man | |
sich den Luxus, ihnen so etwas wie eine Persönlichkeit zuzugestehen. | |
Früher, da waren Nerds, Geeks und Computerfrickler aller Art in Filmen | |
meist Nebenfiguren. Dicke, bleiche Typen, die Bruce Willis oder wer auch | |
immer genau dann hinter ihren Rechnerburgen mit blinkenden Konsolen und | |
leeren Pizzakartons besuchen gingen, wenn die Story feststeckte. Sie | |
tippten einfach ein bisschen auf ihrer Tastatur herum und – zack! – war | |
genau die Information da, Tür geöffnet oder Datei kopiert, die jemand | |
anders dringend brauchte, um wenig später als Held dazustehen. Längst | |
vergessen bis dahin: der Nerd in seinem Kellerloch – ein nützlicher Idiot, | |
ein Sonderling, der eben in seiner eigenen Welt lebte. | |
Ausnahmen von dieser Regel, also Filme, in denen computeraffine Menschen | |
nicht nur eine eigene Geschichte, sondern auch so etwas wie einen Charakter | |
haben durften – das Computerspielepos „Wargames“ etwa oder der Hackerkrimi | |
„Sneakers“, blieben die Ausnahme. Und selbst Serien wie die extrem | |
erfolgreiche „Big Bang Theory“ oder die großartige BBC-Produktion | |
„IT-Crowd“ schaffen es zwar, selbstironisch den Humor der Nerdszene | |
aufzugreifen, emanzipieren sich aber auch nicht von holzschnittartigen | |
Stereotypen. | |
Ebenso, wie sich nur noch die wenigsten Filme daran trauen, seinen | |
Zuschauern in einer unterhaltsamen Form auch nur ansatzweise zu erklären, | |
was diese Zauberer mit Lötkolben und Tastatur dort eigentlich genau | |
vollbringen. Weswegen das Bild vom trotteligen Schlaumeier sich einfach | |
nicht auflösen mag. | |
22 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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