# taz.de -- Magazin für Autisten und AD(H)Sler: Von uns, für uns, über uns | |
> „N#mmer“ möchte das Bild von Autisten und AD(H)Slern im medialen Diskurs | |
> verändern. Die erste Ausgabe hat sich gut verkauft, nun erscheint die | |
> zweite. | |
Bild: Denise Linke: Autorin, Autistin und Herausgeberin. | |
Am Ende des Tisches, der mit pinker Plastikfolie beklebt ist, sitzt Denise | |
Linke. Auf der rechten Innenseite ihres Armes blitzt ein Tattoo mit der | |
Aufschrift „N#ummer“ in klaren schwarzblauen Buchstaben hervor. Um die | |
zierliche junge Frau mit Kurzhaarfrisur herum sind ihre Autoren und Freunde | |
versammelt. An diesem Tag gibt es Grund zum Feiern. „Vorhin haben wir das | |
PDF für die zweite Ausgabe an die Druckerei geschickt“, verkündet sie. Ihr | |
Gesichtsausdruck strahlt Erleichterung aus. Angestoßen wird mit Bier und | |
Pflaumentee zu koreanischem Barbecue. | |
Vor ein paar Tagen war Linke noch in den USA. Der Grund ist ihr im Dezember | |
zum ersten Mal erschienenes Magazin [1][N#mmer]. Durch ein Crowdfunding | |
konnte die Wahlberlinerin ihre Idee in die Tat umsetzen. Sie wendet sich | |
explizit an „Autisten, AD(H)Sler und Astronauten“. Mit dem Themenheft | |
möchte sie nicht nur über Mythen von Autismus und AD(H)S aufklären. Sie | |
schafft einen Austausch für Betroffene und weitet den gesellschaftlichen | |
Blick für „Astronauten“ – wie sie neurotypische, also „normale“ Mens… | |
nennt. Sie tauchen mit Geschichten, Hintergrundberichten und Interviews in | |
ein unbekanntes Universum. | |
Wie ist die Liebe in Zeiten von AD(H)S? – darauf gehen Linke und ihr Team | |
in der ersten Ausgabe „Schwerpunkt Liebe“ ein. Das Heft hat sich gut | |
verkauft. Der Magazinstapel in Linkes Zimmer ist klein geworden. 103 Kisten | |
waren es einmal, 2.500 Exemplare. | |
Unter ihren Freunden blüht Linke förmlich auf, erzählt aufgeregt von | |
kuriosen Erlebnissen auf ihrer USA-Reise: von Begegnungen auf der Straße | |
und Teenagermüttern. „Ich bin wahnsinnig impulsiv“, das bringt sie immer in | |
merkwürdige Situationen. Sie erzählt, dass sie mit 26 Jahren bereits | |
geschieden sei. Linke, die seit ihrem zehnten Lebensjahr schreibt, hat seit | |
2011 die Diagnose „Asperger“, einer Form von Autismus. Im letzten Jahr kam | |
die ärztliche Bestätigung von ADHS hinzu. | |
## Motorische Unruhe | |
„Ein Problem sind Organisationen in den USA wie „Autism Speaks“, die mit | |
furchteinflößenden Videos versuchen, autistische Kinder zu stigmatisieren“, | |
erklärt Linke. Dagegen kämpft das N#ummer-Team im Kleinen an. Es ist | |
weltweit das erste Magazin, in dem nahezu alle Inhalte von Autisten und | |
AD(H)Slern stammen. | |
„Alle bei Twitter aktiven deutschsprachigen Autisten und ADHSler kennen | |
sich“, sagt Linke. Es seien nicht so viele. Soziale Netzwerke vereinfachen | |
vieles. Auch ihre Autoren Benjamin Falk, Mela Eckenfels, Marlies Hübner und | |
Ricarda Riechert kennt sie dadurch. „Bei der letzten Releaseparty habe ich | |
einige getroffen, die ich vorher nicht kannte“, sagt die 26-Jährige. Mit | |
dem Magazin wollte Linke, die 2006 bei Ullstein ein Buch veröffentlicht | |
hat, nicht zu einem Verlag. „Ich wollte frei sein“, sagt sie. Sie setze | |
Themen „von uns, für uns, über uns“. | |
Vor gut einem Jahr beschloss Linke das Magazin zu gründen. „Wenn Menschen | |
sich für etwas interessieren, wollen sie es auch in die Hand nehmen, | |
aufbewahren und ins Regal stellen“, sagt sie. Das kenne sie von sich selbst | |
und es gehe vielen Autisten ähnlich. Deshalb sollte es auf Papier gedruckt | |
sein. Da Autisten empfindlich auf taktile Reize reagieren, sollte es nicht | |
zu dünn und nicht zu rau sein. | |
Nach dem internationalen medizinischen Klassifikationssystem wird Autismus | |
als tiefgreifende Entwicklungsstörung beschrieben. „Ich habe nicht nur | |
ADHS, sondern auch Asperger und bringe mich ganz oft in Situationen, mit | |
denen ich gar nicht umgehen kann“, sagt Linke. Die | |
„Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“ ADHS umschreibt die | |
Bundesärztekammer mit den Störungsbildern Unaufmerksamkeit, motorische | |
Unruhe sowie abrupte oder verbale Aktionen, die nicht in den sozialen | |
Kontext passen. | |
## Papierkram fällt schwer | |
Mit dem Beruf als freie Journalistin macht es sich Linke nicht leicht. | |
Besonders viel Überwindung kosteten sie Telefonate. Auch das | |
Rechnungenschreiben fällt ihr schwer. „Die Diagnose ist die einzige Rettung | |
gewesen“, sagt sie. Sie bezweifelt, dass sie sonst ein Unternehmen hätte | |
führen können. Für den „Papierkram“ hat sie jetzt einen Steuerberater | |
beauftragt. „Ich bin mir meiner eigenen Defizite bewusst und kann dagegen | |
arbeiten.“ | |
Denise Linke schreibt darüber, wie Autisten die Welt wahrnehmen, über | |
Erfahrungen, die sie gemacht hat. Das verarbeitet sie in Zeitungsartikeln, | |
in N#mmer und ihrem zweiten Buch, das im Herbst erscheint. | |
Die Studentin nimmt sich gerade eine Auszeit von der Uni. Kaum ist das PDF | |
für die zweite Ausgabe – „Jetzt reden wir. Kunst und Medien“ – in den … | |
gegangen, ist sie in Gedanken bei der nächsten. Nach dem positiven Feedback | |
vom USA-Besuch und dem mit 1.000 Euro dotierten Crowdfunding-Preis „One | |
Spark“ soll N#ummer ins Englische übersetzt werden. Nach Unterstützung | |
sucht sie noch. | |
11 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://nummer-magazin.de/ | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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