| # taz.de -- Komödie über Trolle von Yael Ronen: Die Zwietracht ist die Chefin | |
| > Die Komödie „Operation Mindfuck“ am Gorki Theater Berlin spielt in einer | |
| > Trollfabrik. Noch schöner wäre sie, wenn es die echten Trolle nicht gäbe. | |
| Bild: Die Chefin Erin und Alice, das neue Talent in „Operation Mindfuck“ | |
| Wer hat hier eigentlich wen erfunden? Wer ist der Spieler und wer die | |
| Marionette? Das wird zunehmend unklar in dem grotesken Theaterstück | |
| „Operation Mindfuck“, das die Regisseurin Yael Ronen zusammen mit dem | |
| Schauspieler [1][Dimitrij Schaad] (der aber nicht mitspielt) für das Maxim | |
| Gorki Theater in Berlin geschrieben hat. Yael Ronen ist so etwas wie die | |
| Geheimwaffe des Gorki Theaters. Mit unheimlichem Witz, der auf die | |
| Verwerfungen und Erregungskurven in einer Welt aus Meinungsblasen zielt, | |
| pfeffert sie ein Stück nach dem nächsten raus. Ähnlich wie in [2][ihrem | |
| Stück „Slippery Slope“] sind es auch hier wieder erfolgshungrige Frauen, | |
| die im Universum von Fake News und Gerüchten kräftig mitrühren. | |
| Diesmal spielt Orit Nahmias, die jede ihrer Rollen mit großer | |
| Schlagfertigkeit ausstattet, eine auf die Erde herabgestiegene Göttin. In | |
| der antiken Mythologie für Zwietracht und Chaos zuständig, wird sie in der | |
| Gegenwart zu Erin, Chefin einer Trollfabrik. Zwei junge Freundinnen, Alice | |
| (Aysima Ergün) und Maze (Maryam Abu Khaled) wetteifern dort um die Gunst | |
| der Chefin mit Geschichten, die über Trollnetzwerke schnelle Verbreitung | |
| finden. | |
| ## Wo es juckt und schmerzt | |
| Dabei möglichst wenig von einer Gegenwart zu erzählen, die beschissen ist | |
| und alle so deprimiert, dass sie nichts mehr davon wissen wollen, ist eine | |
| Regel. Möglichst viele Faktoren von Prominenz unterzubringen eine andere. | |
| Das macht aus dem Stück allerdings noch keine scharfsichtige Satire auf | |
| Medien und Öffentlichkeit. Es tanzt eher über die juckenden und | |
| schmerzenden Stellen, um mit großer Lust am Absurden | |
| Verschwörungserzählungen in wenigen Sätzen hinzupinseln, in denen anders | |
| als in der Realität Schuldige leicht auszumachen sind. Die Bühne, die Magda | |
| Willi dafür gebaut hat, gleicht einem Spiegelkabinett. Wer sich in dieses | |
| Labyrinth begeben hat, wird keinen Ausweg mehr finden. | |
| Die Trollfabrik hat einen Konkurrenten, einen ehemaligen Mitarbeiter, | |
| Maximilian de Kohler, den Taner Şahintürk sehr geschäftsmäßig und smart | |
| anlegt. Der möchte seinen eigenen Kanzlerkandidaten aufbauen (Till Wonka), | |
| und damit erreicht der Blödsinn eine dann doch sehr losgelöste Stufe: | |
| Bekannt geworden als Kinderkind, das Gesicht auf der Kinderschokolade, | |
| begeistert er seine Follower durch pointenfreie Sätze, mit Verve in die | |
| Welt geschleudert. Max wählt ihn, der sich nicht für Politik interessiert, | |
| weil (O-Ton Max): „Leute hassen Politiker. Jeder hasst Politiker. Niemand | |
| will Politiker, schon gar nicht in der Politik.“ Und er sucht nun jemand | |
| „unbedarften, unvorhersehbaren, unterhaltsamen“. | |
| ## Ununterbrochen wird geredet | |
| „Operation Mindfuck“ ist ein textlastiges Stück. Fast ununterbrochen redet | |
| jemand, erzählt atemlos vergangene oder zukünftige Geschichte, deren Rollen | |
| die Darsteller auf der Bühne kurz anmimen, aber selbst ihre wörtliche Rede | |
| wird vom Erzählenden übernommen. Alles ist immer schon Interpretation. Die | |
| kognitiven Fähigkeiten der Zuschauenden und Zuhörenden werden hoffnungslos | |
| überflutet, Sinn und Worte stürzen vorwärts und haben in diesen Satzmassen | |
| keine Chance, sich jemals einzuholen und kongruent zu werden. | |
| Das ist schon lange Yael Ronens Stil, von der Schauspielerin Orit Nahmias | |
| zur Virtuosität getrieben. Der Wahnsinn der Gegenwart vibriert in den | |
| Sätzen, etwas leuchtet auf, das sich an die kritische Vernunft richtet, | |
| aber bevor man es festnageln könnte, rutscht schon der nächste Kalauer | |
| darüber. Wie in den Reden von KK, Kanzlerkandidat Kinderkind: „Wir alle | |
| teilen uns einen Planeten. Richtig? Richtig. Aber: Was ist mit den Tieren? | |
| Welche Kompromisse gehen sie ein? Wir kämpfen für die Tiere. Sie kämpfen | |
| nicht für uns. Manche versuchen sogar, uns zu fressen.“ | |
| Verpackt ist das sehr poppig. Die Trollfabrik und ihre Arbeit an | |
| Verschwörungserzählungen haben einen Vorläufer in den 1960er Jahren, der | |
| Zeit von LSD, CIA und Kennedy-Morden. Alice referiert das am Anfang, Wonka | |
| und Şahintürk mimen die Protagonisten. Das ist Theater im Comicformat. | |
| Nach neunzig Minuten endet das Stück. Vielleicht hat man jetzt einfach | |
| genug gelacht. Die Geschichte vom Kanzlerkandidaten Kinderkind ist | |
| eigentlich noch nicht fertig, aber ganz ehrlich, man muss ihm wohl auch | |
| nicht tiefer nach Absurdistan folgen. | |
| 31 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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