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# taz.de -- Historiker zu Klang und Ideologie: „Naturwissenschaften sind Kult…
> US-Technikhistoriker Myles W. Jackson über Stimmgabeln im 19. Jahrhundert
> und die bizarre Karriere des Trautoniums, das in den 1920ern erfunden
> wurde.
Bild: Der Komponist und Erfinder Oskar Sala (1910–2002) an seinem Trautonium …
taz: Myles Jackson, in Ihrem Buch „Harmonious Triads“ zitieren Sie
Schiller, der postuliert hatte, Wandel in der Politik komme man am besten
mit ästhetischen Prämissen bei. Wenn man das auf die von Ihnen
porträtierten Erfinder Ernst Florens Friedrich Chladni und Wilhelm Eduard
Weber anwendet, welche Ästhetik schwebte denen vor?
Myles W. Jackson: Wilhelm Eduard Weber war von Berufswegen Physiker und
sehr engagiert. Er war der Meinung, dass die Freiheit der Lehre wichtig
war, für ihn und für viele Deutsche im 19. Jahrhundert, die zum
Bildungsbürgertum gehörten. Für Weber war Musik, überhaupt Ästhetik, eine
wichtige Korrektur der Naturwissenschaften. Kultur war grundlegend für die
Menschwerdung. Viele Naturwissenschaftler waren zugleich Musiker.
Sie beschreiben, wie Uhrmacher und Mechaniker an der Schwelle zum 19.
Jahrhundert gereist sind, um vom Ausland Impulse aufzunehmen. Mit den von
ihnen erfundenen Stimmgabeln und Metronomen haben sie Musik
vereinheitlicht.
Es gab in europäischen Städten unterschiedliche Maße und das war ein
Problem etwa für Sänger:Innen. Wenn das a zu hoch ist, führte das zu
Stimmproblemen. Das Argument war, Musik solle vereinheitlicht werden, damit
Beethoven sagen kann, mit dem Metronom habe ich meine neue Sinfonie
vorgestellt. Den Erfindern der Stimmgabel ging es um Standardisierung. Und
es entstand eine interessante Debatte. Soll nur der Komponist das Recht
haben, ein Werk zu komponieren? Dürfen Musiker nur zuhören? Oder ein Werk
frei interpretieren?
Menschen im 19. Jahrhundert hatten die Möglichkeit, sich Musik im Konzert
anzuhören oder selbst Musik zu spielen. Wie hat sich dabei ein Gehör
herausgebildet? Auf welche Weise haben Mechanik und Mathematik die
akustische Lehre vorangebracht?
Es gab zwar weder Radio noch Tonträger, aber viele Leute waren musikalisch
bewandert. Nicht nur im Bildungsbürgertum. Musiker sind bereits auf Tournee
gegangen. Mehr Menschen konnten diese Konzerte anhören. Auch der Einfluss
von Napoleon war bedeutsam. Chladni hat ihm 1809 vorgespielt. Napoleon hat
einen Preis ausgeschrieben, um das Problem zu lösen, wie man Chladni’sche
Klangfiguren feststellt. Die französische Mathematikerin Sophie Germain hat
das Rätsel dann gelöst und die Gleichung für die Chladni’schen Klangfiguren
erstellt.
Das Trautonium, Ihr derzeitiger Forschungsgegenstand, war Nebenprodukt der
Radio-Übertragungstechnik. In den frühen 1920ern sendete das Radio in
Deutschland erstmals. Damit einher ging die Übertragung von Musik. Der
Beruf des Toningenieurs rückte in den Fokus. Aufnahmen aus der Frühzeit des
Radios klingen verrauscht. Mikrofonierung stellte ein großes Problem dar.
Wie kam es zur Erfindung dieses Synthesizer-Prototyps?
Es gab in Berlin eine „Rundfunkversuchsstelle“, gegründet in der Weimarer
Republik am 3. Mai 1928. Der Musikwissenschaftler Leo Kestenberg, Mitglied
der USPD, leitete ihr Gremium. Bereits im Oktober 1923 fand die allererste
Übertragung statt, dabei wurde ausschließlich Musik gespielt. Der Berliner
Rundfunk war der erste Radiosender des Landes. Ab 1924 hieß er Funk-Stunde
Berlin. Es existieren Briefe von erzürnten Hörern, die ein Streichquartett
von Beethoven im Radio gehört hatten und davon überzeugt waren, da hätte
gar keine Geige gespielt, sondern fälschlicherweise eine Flöte.
Wie kam das?
Die Klangfarbe der Geige klang durch die Tonqualität der Übertragung
verzerrt. Das Mikrofon konnte noch nicht klar aufzeichnen. Zudem bereiteten
die Lautsprecher Probleme. Radio war bereits populär, es gab viele
Sendungen. Der Frequenzumfang musste deswegen gekürzt werden, sonst hätte
es Interferenzen gegeben.
Weshalb hört sich eine Geige an wie eine Flöte?
Das kommt auf die Frequenz an. Je höher sie ist, desto mehr klingt die
Geige nach Flöte. Das liegt an den Obertönen. Timbre ergibt sich aus dem
Verhältnis der Obertöne. Verhältnisse der Lautstärken der Obertöne
bestimmen die Klangfarbe. Helmholtz hat das 1859 erforscht und 1863
erweitert. Das Problem war, dass die Obertöne bestimmte Frequenzen wählen.
Hohe und niedrige Frequenzen sind schwierig zu übertragen.
Wer waren die Pioniere?
In der Rundfunkversuchsstelle war Friedrich Trautwein tätig. Und Oskar
Salas arbeitete dort als Student, er war Schüler von Hindemith. Sie haben
die verschiedenen Mikrofone getestet und Lautsprecher, um zu sehen,
inwieweit die Apparate die Obertöne stören. Trautwein war Physiker und
Ingenieur, er hat sich intensiv mit der Technik auseinandergesetzt. Er
konnte zudem Orgel spielen. Im Ersten Weltkrieg war er Funker.
Ist deren Erfindung, das Trautonium, mit dem sowjetischen Theremin
vergleichbar, das den Klang anderer Instrumente nachahmen kann?
Exakt. Als das Trautonium erfunden war, haben die beiden Forscher zunächst
festgestellt, dass es vokale Sounds produziert: „öhh“, „ähh“, „ühh…
wurde beschlossen, das Trautonium so umzurüsten, damit es wie ein
Musikinstrument klingt. Was die Erprobung des Radios mit der Erfindung des
Trautoniums verbindet, ist Klangfarbe. Ingenieure, Psychologen und
Physiologen haben festgestellt, dass Timbre nicht statisch ist. Klangfarbe
kann sich ändern. Heute heißt das Sound-Envelope, Klangumgebung.
Sie schreiben, dass High Fidelity nicht nur auf das Trautonium und den
Rundfunk anzuwenden sei, sondern auch auf die Gesinnung von Trautwein und
Sala. Können Sie das bitte erläutern?
Oskar Sala war nie Parteimitglied der NSDAP, aber er hat Goebbels das
Volkstrautonium vorgeführt. Die Reichsmusikkammer hat das Trautonium
unterstützt. Auch beim Programm „Kraft durch Freude“ gab es Konzerte. 1941
etwa wurde es in Holland vorgeführt. Trautwein war ein überzeugter Faschist
und SA-Mitglied. Das Rundfunk-Trautonium ist von Oskar Sala konstruiert
worden. Zwischen ihm und Trautwein kam es wegen Patentrechten zu
Streitigkeiten. Sie hatten dann ab 1936 nichts mehr miteinander zu tun.
Das Trautonium sollte als Instrument in Serie gehen und erschwinglich sein.
Was war passiert, dass es nicht zur faschistischen Wunschmaschine wurde?
Ab 1934 unterstützte die Firma Telefunken zunächst den Bau des Instruments.
Was die beiden Konstrukteure Trautwein und Sala betrifft, ist ihr Wirken in
der Hochschule für Musik verankert geblieben, da haben sie sich entzweit.
Nach 1945 wurde das Trautonium wieder hergestellt, ohne die NS-Verbindung.
Das hat Sala geschickt angestellt. Er hat immer behauptet, es kann diese
mysteriösen Töne produzieren. Auch Alfred Hitchcock hat das Trautonium in
Soundtracks seiner Filme eingesetzt, etwa für „Die Vögel“ (1963).
In der elektronischen Musikkultur ab Ende der 1980er Jahre wurde das
Trautonium wiederentdeckt, die NS-Geschichte blieb außen vor.
Dabei ist es schon vor 1939 in dem Film „Stürme über dem Mont Blanc“ mit
Leni Riefenstahl eingesetzt worden. Die Musik ist von Paul Dessau. Er hat
das Trautonium benutzt, um einen Flugzeugmotor zu erzeugen. In der
Wirtschaftswunderzeit der 1950er wurde das Trautonium dann in Werbespots
eingesetzt, etwa für Coca-Cola. Das Instrument spiegelt die Modernität
wider. Die Band Kraftwerk hatte Anteil an der Wiederentdeckung von Sala und
Trautwein in den 1980ern. Florian Schneider war beim 90. Geburtstag von
Oskar Sala dabei.
Eine Frage zu Ihrer Arbeitsweise: Was wollen Sie damit bezwecken, wenn Sie
als Historiker Geschichte durch Naturwissenschaften erzählen?
Da bin ich streng und konservativ, obwohl ich mich als Linker bezeichnen
würde. Ich bin davon überzeugt, dass Naturwissenschaften selbst Kultur
sind. Dann muss ich an spezifischen Beispielen diese Gleichungen und
Theorien zeigen. Wie ich Probleme löse, ist durch meine Ausbildung
beeinflusst. Es gibt tolle Arbeiten von Mathematik-Historikern, Andrew
Warwick ist das beste Beispiel. Es ist mir wichtig, dass nicht nur
Kulturgeschichte zählt, sondern auch Wissenschaftsgeschichte und
Technikgeschichte. Wenn ich Geschichte klar erzähle, werden Leser sagen, so
weit voneinander entfernt liegen Naturwissenschaften und Geschichte nicht.
Für was steht dann heute das Trautonium? Wenn man seine beiden Erfinder
anschaut, haben die sich im NS schmutzig gemacht.
Wir haben ein Trautonium, das in der liberalen Weimarer Republik erfunden
wurde. Durch die Nazizeit ist es ziemlich populär geworden, geriet dann in
Vergessenheit und hat ab Ende der 1950er neues Leben bekommen. Es wurde zum
Instrument, dessen Geschichte gesäubert werden sollte. Zunächst ging es
nach 1945 darum, dass das Trautonium traditionelle Musik nachahmen sollte.
Das Progressive der Weimarer Republik und das Völkische der Nazizeit
spiegelt sich beides im Trautonium?
Ideologie wird niemals Technik völlig beeinflussen. Ein Musikinstrument
kann von verschiedenen Ideologien vereinnahmt werden, für ihre Interessen.
Zum Beispiel im Film „Anders als du und ich“ von 1957, es ist der erste
Film über Homosexualität in der BRD. Im Soundtrack wurde auch das
Trautonium angewendet. Darin sollte es befreiend klingen.
19 Jul 2023
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Musikgeschichte
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