# taz.de -- „Space Synthesis“ Kunsthalle Baden-Baden: Das Rascheln der eige… | |
> „Space Synthesis“: Der Elektronikproduzent Jan St. Werner erforscht die | |
> Kunsthalle Baden-Baden mit Klang. | |
Bild: Das Schmatzen, Schürfen, Brutzeln, Ticken, Schrillen und Glucksen muss m… | |
All unsere Träume von Musik werden in Klang gebündelt. Träumt Musik von | |
uns, entsteht Lärm“, hat der US-Komponist Morton Feldman einmal postuliert. | |
Feldman, der sich intensiv mit den Wechselwirkungen von Musik und | |
Geräuschen im Raum befasste, hätte seine helle Freude an „Space Synthesis�… | |
einer immersiven Schau, die der Berliner Elektronikproduzent und Künstler | |
Jan St. Werner in der Kunsthalle Baden-Baden realisiert hat. | |
St. Werner klopft seine Musik jenseits von Experimentierlust nicht nur nach | |
diskursiven und auditiven Potenzialen ab, er arbeitet Impulse von außen mit | |
ins Material ein, um es zu erweitern. | |
Bekannt wurde der 54-Jährige als [1][eine Hälfte des Elektronikduos Mouse | |
On Mars]. Dessen elektronische Cutting-Edge-Installation „Spatial Jitter“ | |
war letztes Jahr im Münchner Lenbachhaus zu hören, einer Institution, die | |
Bildende Kunst schon mehrfach mit Sound zusammengebracht hat. St. Werner, | |
der am renommierten M.I.T. studierte und an Kunsthochschulen unterrichtet, | |
[2][ist sowohl im Akademischen zu Hause], als auch im Popbiz, wo er etwa | |
mit der US-Band The National kollaboriert hat. | |
Im Kunsthaus Baden-Baden läuft nun St. Werners erste Einzelausstellung. Der | |
Eindruck täuscht nicht, es ist beeindruckend, wie der Künstler das Haus | |
nach seinen Vorstellungen komplett umgestaltet hat. | |
## Klangkunst, Kunstmusik | |
Mit dem etwas hüftsteifen Begriff „Klangkunst“ ist St. Werners knirschende | |
Granularsynthese nur unzureichend umschrieben. Klar erklingt hier | |
„Kunstmusik“, aber ihr Schmatzen, Schürfen, Surren, Brutzeln, Tichken, | |
Schrillen, Zirpen und Glucksen ist nicht weit von den akustischen Sphären | |
des Alltags und ihrer Soundlogos, Klopfzeichen und Signaltöne entfernt. | |
[3][St. Werner sensibilisiert die Wahrnehmung seiner Hörer:innen]. | |
Die Geräusche oszillieren mit der Architektur der im klassizistischen Stil | |
zwischen 1909 und 1911 nach Plänen von Hermann Billing erbauten Kunsthalle. | |
Haut, Haare und Trommelfell der Zuhörenden stehen im Dialog mit dem | |
musikalischen Material, das St. Werner mit der Software New Pulsar | |
Generator komponiert hat, es ist eine körperliche Erfahrung. | |
„Eine Beschäftigung mit Klang setzt das Unverständliche als entscheidend | |
für jede Begegnung voraus. Unverständliches, Unbekanntes oder Absurdes sind | |
phänomenologische Erfahrungen, die innerhalb einer Begegnung Mutation und | |
Veränderung ermöglichen“, schreibt Jan St. Werner im Katalog. | |
Das Unvorhersehbare, oder besser: Unvorherhörbare entsteht bei St. Werner | |
durch eine eigenwillige Dynamik aus Klangmaterial und ortsspezifischer | |
Kondensation. Seine Wucht verliert der monumentale Tempel der Kunst dadurch | |
nicht, durch die technologischen Eingriffe wirkt er aber zurückgenommener. | |
## Töne in jedem Winkel | |
Die acht Ausstellungsräume des Kunsthauses sind weitgehend leer, graue | |
Turnmatten und quadratische Würfel mit Rollen dienen als Sitzgelegenheiten. | |
Im Stehen und beim Gehen tönt es in jedem Winkel des Gebäudes jeweils | |
unterschiedlich. Große dünne weiße und kleine schwarze Lautsprecher | |
übertragen Klang. Mal sind sie rechteckig und lehnen hochkant an der Wand | |
und ihr Unterbauch besteht aus Noppen. Mal sind sie quadratisch, | |
vollständig genoppt, stehen quer im Raum und haben die Anmutung von | |
Leichtathletikhürden. | |
Was aus ihnen an Klang dringt, überwindet alle architektonischen und | |
akustischen Hindernisse. Dürre Kabelschnüre baumeln von der Decke und sind | |
an die Boxen angeschlossen. Die Lautsprecher sind Pforten, die die | |
Wahrnehmung steigern, man nähert sich ihnen von allen Seiten und hört immer | |
neue Details. Eine riesige, an den Ecken gewölbte, in weiß getünchte | |
Spanholzplatte zerteilt einen der Räume; eine sanfte Bodenwelle ändert die | |
Innenarchitektur eines anderen. Jalousien öffnen und schließen | |
Dachfensterluken. | |
Manche Räume sind schwach ausgeleuchtet, andere von großen Scheinwerfern | |
vom Dachstuhl aus in grelles Licht getaucht, oder per Stroboskop am Boden | |
fraktal verfremdet, bis auch das Licht Tonalität annimmt. Türen fehlen, | |
ihre Rahmen sind ebenfalls Teil des Rundgangs. | |
## Alles synchronisiert | |
Durch Übergänge von Raum zu Raum und Kontraste zwischen Hell und Dunkel, | |
entstehen Zwischenräume: Klangschleusen, neue Perspektiven, ein Spiel aus | |
Distanz und Nähe. Klang, Licht und Jalousien sind miteinander | |
synchronisiert und tragen Geräusche, Licht und Schatten weiter wie | |
Wanderdünen die Sandkörner. Echo züngelt in unterschiedlichen | |
Klangfrequenzen Wände hoch, dringt durch sie durch, fließt am Boden und | |
flirrt in der Luft. | |
Zur Vorbereitung auf die Ausstellung hat der Künstler sich dem Haus | |
zunächst aus der Vogelperspektive genähert und die Innenarchitektur durch | |
ein Miniaturmodell auf Papier collagiert. Irgendwann habe er die | |
Kunsthalle als Hallgerät, ihre Räume als Readymade begriffen. Die Ästhetik | |
sei „leicht abbaubar“, erklärt St. Werner. Alle Einbauten und Möbel wurden | |
aus vorhandenem Material erschaffen. | |
Kunsthallendirektorin Çağla Ilk, die die Kuratorin für den deutschen | |
Pavillon der Kunstbiennale von Venedig 2024 sein wird, sieht die Schau | |
durchaus in der Tradition des Hauses. Anknüpfend an Ausstellungen etwa von | |
Stephan von Huene und Dan Flavin in den 1980ern, die sich in | |
Klangskulpturen und Lichtinstallationen bereits mit der Beschaffenheit des | |
Gebäudes auseinandergesetzt hatten. Aus Baden-Baden sendet auch der | |
öffentlich-rechtliche SWR, der sich in Sendungen wie „jetztmusik“ seit | |
Langem um die elektronische Avantgarde kümmert. | |
## Schatten an den Wänden | |
Besucher:Innen sind bei der Erkundung von „Space Synthesis“ mit von der | |
Partie. Ihre Geräusche beim Begehen sind in den Sounds inkorporiert, | |
jenseits der kontemplativen Erfahrung können sie etwas sehr Sinnliches | |
mitnehmen und sind eingeladen, „ihr Hören zu imaginieren“. Umrisse von | |
Besucher:innen werden an die Wände geworfen, bringen ihre Schatten ans | |
Licht, sorgen für Durchlässigkeit im Gebäude, Menschen werden zu | |
„raumerweiternden Protagonisten“. | |
Wände sind bei „Space Synthesis“ demnach keine Begrenzungen, sondern | |
Schwellen, die von Schall überwunden werden. Schall öffnet die Räume der | |
Kunsthalle, und Schall schickt das spektral verdichtete Klangmaterial | |
weiter. Vielleicht sind es gar keine Töne, erklärt Werner der taz, | |
vielleicht ist es „Luftverdichtung“. | |
Musik und Geräusche liegen hier nicht nur in der Luft, sie dehnen sich in | |
ihr aus, bewegen sich fort. Im größten Raum schiebt ein Motorkran auf einer | |
schräg geführten Deckenleiste eine Spanholzplatte vor sich her und zieht | |
sie wieder zurück. Dieser Einbau wirkt wie ein Filter, erzeugt zusätzliche | |
Resonanzen. | |
Mit „Space Synthesis“ wird die Reise von Klang im Raum zur | |
Auseinandersetzung mit „Geschichte als feststehendes Wissen“, offen, ohne | |
Ende inszeniert. St. Werner gelingt es, Klang in allen Räumen freizulegen, | |
ohne ihn zu bändigen, so dass auch die Gedanken der Hörenden frei darin | |
umherschweifen. | |
28 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /KI-Konzeptalbum-von-Mouse-On-Mars/!5753913 | |
[2] /Duoalbum-David-Grubbs--Jan-St-Werner/!5855612 | |
[3] /Kulturwissenschaftler-Louis-Chude-Sokei/!5810000 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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