# taz.de -- Duoalbum David Grubbs & Jan St. Werner: Die Wörter abklopfen | |
> Die Musiker David Grubbs und Jan St. Werner erinnern mit ihrem ersten | |
> Duo-Album „Translation from Unspecified“ daran, wie zugänglich Avantgarde | |
> war. | |
Bild: David Grubbs und Jan St. Werner in einer Aufzugkabine in Berlin, Januar 2… | |
„Die welt ist sirup aus der sprache unsrer väter“. Der österreichische | |
Schriftsteller Oswald Wiener wusste, wo der Hammer hängt. Er zertrümmerte | |
damit Worte, Grammatik und Sinn in „die verbesserung von mitteleuropa, | |
roman“ nach Gusto. | |
Das Goldene Zeitalter der europäischen [1][Avantgarde] war beim Erscheinen | |
von Wieners Werk, 1969, schon am Abklingen, dennoch konnte sie ihre | |
Formensprachen und Gedankenwelten damals auch zur besten Sendezeit einem | |
Mainstreampublikum darbieten, das sich bereitwillig provozieren ließ und | |
dessen Zielgruppen noch nicht auseinanderdividiert waren. | |
Der New Yorker Musiker [2][David Grubbs] erweckt jene versunkene Ära zu | |
neuem Leben – ganz selbstverständlich, als müsse er nur die Snooze-Taste am | |
Wecker betätigen, nimmt er Wieners Hammer aus der Museumsvitrine. | |
## Hammer als Werkzeug | |
Auf Grubbs’ neuem Album „Translation from Unspecified“, entstanden zusamm… | |
mit seinem Berliner Künstlerkollegen Jan St. Werner, ist der Hammer kein | |
mythengetränktes Symbol, sondern schlicht und einfach Werkzeug. Grubbs | |
hämmert damit; nie ehrfürchtig, feinstofflich geht er zu Werke, jedes Wort, | |
jede Silbe abwägend, behutsam und beharrlich nach Klang abklopfend, und so | |
stößt er wieder auf Sinn, an Stellen, wo gar kein Sinn mehr zu existieren | |
schien. | |
„Translation / From Unspecified / Detected / Translate from unspecified / | |
Indistinct / Detect buildings / Buildings undermined / Stones / Trees / | |
Translate from / Unbitten / Indistinct / Detect on / Undermined …“ Worte | |
wie Felsbrocken, die die beiden Musiker bergen und bearbeiten, als wären | |
sie in einem Steinbruch. St. Werner bohrt das Gesprochene von allen Seiten | |
aus an, mal schroff, mal ziseliert unterbricht er den Flow der Worte mit | |
extravaganten Störgeräuschen, mal beschleunigen diese die Worte, mal | |
bringen sie die Worte zum Verglühen. | |
Während St. Werner beim 18-minütigen Titeltrack oftmals das Echo von | |
Grubbs’ Stimme verfremdet und sie so in andere Sphären bugsiert, kehrt er | |
bei der 19-minütigen Riff-Rêverie „Soixante Ooze“, einem Instrumentalstü… | |
das auf einer meditativen Gitarren-Hookline von Grubbs basiert, alles | |
Störende weg und hält Begleitgeräusche von Verstärker und Gitarre fern. | |
Faszinierend an „Translation from Unspecified“ ist die Reduktion auf das | |
Wesentliche: Musik als formstrenge und funktionale Konzentration zweier | |
Kräfte. | |
## Eingeführte Künstler | |
St. Werner und Grubbs kennen sich bereits seit den 90er Jahren. Jeder für | |
sich ist als Künstler eingeführt. In der elektronischen Klangerzeugung | |
jenseits des Dancefloors reüssierte St. Werner mit dem Duo-Projekt Mouse On | |
Mars (zusammen mit Andi Thoma). Grubbs wurde bekannt in der | |
US-Postrockszene, die er zunächst in den Bandprojekten Bastro und Gastr Del | |
Sol entscheidend mitprägte, dann auch als Solist und in Projekten mit | |
wechselndem Personal. | |
„Translation from Unspecified“ ist ihr erstes gemeinsames Album. Die | |
geometrisch abgezirkelte Arbeitsteilung schiebt den Prozesscharakter an: | |
Grubbs spricht, spielt Gitarre und Keyboard, Werner bricht das Gespielte | |
und Gesprochene am Laptop auf. Elegant und zugleich abrupt gewährt ihre | |
Musik ein Stück Sicherheit in unsicheren Zeiten. Wie ein Nachen, der auf | |
düsterem Gewässer in See sticht und trotz Sturm die Fahrrinne hält. | |
Alte Kommunikationslinien werden wieder aufgenommen, neue | |
Artikulationsnischen gebildet. „Translation from unspecified / to | |
Unspecified / from / Translation to unspecified / from Unspecified / | |
Translation to Unspecified / from Unspecified …“ Grubbs markiert die | |
Methodik des Gesprochenen im lakonischen Ton. Ruhig, scheinbar emotionslos | |
zählt er auf, und während des Aufzählens wandelt er das Gesagte ab. Die | |
empirische Wirklichkeit ficht ihn erst mal nicht an. | |
## Klang der Worte | |
Der taz schreibt er: „Ich gestehe, dass ich schon den reinen Klang jener | |
Worte mag. Ihre Bedeutungen interessieren mich an sich weniger. Es wird | |
allerdings behauptet, Wortwiederholungen und repetitive Textzeilen in Musik | |
eliminieren deren Bedeutungen, weil Worte zu reinem Klang zerfließen. Als | |
ich an den Worten für die Musik gearbeitet habe, habe ich mich genau in die | |
entgegengesetzte Richtung bewegt: Durch die stupende Repetition bekam ich | |
überhaupt wieder eine Chance, über die mannigfaltigen Wortbedeutungen | |
nachzudenken.“ | |
Worte bleiben stehen, und Bedeutungen können sacken. Wie sich die beiden | |
Musiker Zeit nehmen, ist beeindruckend: Selbst Pausen und Momente der | |
Stille, in denen überraschenderweise auch St. Werner verstummt, wirken | |
dadurch aufputschend. Um sich zu inspirieren, hat der New Yorker Künstler | |
an einer Übersetzung eines Textes von Gerhard Rühm experimentiert. | |
Weil die freie Übersetzung in verschiedene Sprachen zu keinen greifbaren | |
Ergebnissen geführt hat, kam er auf die Idee, in einem Songtext das Thema | |
Übersetzung aufzugreifen: „Translation from Unspecified“ beginnt zwar mit | |
Worten, die isoliert von ihren Bedeutungen erklingen. Allmählich entpuppt | |
sich aus der unspezifizierten Übersetzung eine Geschichte, in der Gebäude | |
zu Bäumen werden. | |
## Konzertkarriere als Langgedicht | |
Mit Formen, Bedeutungen und Übersetzungen spielt Grubbs auch in seinem | |
neuen Buch „Good night the pleasure was ours“. Er lässt darin seine rund | |
30-jährige Konzert- und Tournee-Karriere als Musiker in einem Langgedicht | |
Revue passieren. Keine Sorge, man muss hier keinem Bekenntniszwang in | |
Tourtagebuchform folgen. | |
Stattdessen durchkreuzen sich Form, Fiktion und wahre Begebenheiten immer | |
wieder auf äußerst kreative Weise. Umso mehr, weil die Anordnung von | |
Worten, Silbentrennungen regelmäßig den Plot unterbricht, so dass selbst | |
Anekdoten, wie die vom Spreißel, den sich der Drummer bei einem | |
[3][Konzert] im Hamburger Grünspan in die Ferse gerammt hat, anmuten wie | |
ein dreifüßiger Jambus in Ovids „Metamorphosen“. | |
Wie bei Grubbs Zeitgeschehen als Realitätsblitze in die Strophe | |
einschlagen, das hat was: Sei es die Konfusion im Berlin zur Wendezeit, | |
Bargespräche, während im Fernseher über dem Tresen Panzer am Platz des | |
Himmlischen Friedens in Peking auffahren. Aus dem romantischen | |
Künstlerdasein wird Luft gelassen, und gerade im sinnlosen Warten vor dem | |
Soundcheck, der monotonen Landschaften, die sich bei der Fahrt von Auftritt | |
zu Auftritt neben Highways und Autobahnen auftun, Poesie geschürft. David | |
Grubbs, Fänger im Rocken. | |
## Fänger im Rocken | |
„It’s easy to learn the thing that makes the audience howl: the pulling up | |
Quick, potent milliseconds of silence, tinnitus pre-echo, tremor | |
Graduating to temblor, ominous absence | |
of impact …“ | |
Hier durchschaut jemand das Spiel, wird aber deswegen – zum Glück – nicht | |
ignorant. David Grubbs bleibt neugierig, reflektiert munter weiter und ist | |
dadurch weiterhin relevant. | |
27 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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