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# taz.de -- Musiker über USA nach Trumps Wahlsieg: „Es ist nicht die Zeit f�…
> Der New Yorker Künstler David Grubbs über die Heuchelei der Libertären,
> Elon Musks Aufstieg und den evangelikalen Angriff aufs Bildungssystem.
Bild: Eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem Sitz der rechtse…
taz: Wenn führende US-Neurowissenschaftler:Innen dereinst das Gehirn von
Donald Trump untersuchen, was werden sie herausfinden?
David Grubbs: Kurz nach der Wahl machte [1][ein Zitat von Quincy Jones] die
Runde. Er kannte Trump persönlich und hatte ihn als extrem narzisstisch
veranlagten Egoisten in unguter Erinnerung. Jones bescheinigte Trump
beschränkte geistige Fähigkeiten.
taz: In der US-Geschichte suchten jene, die ein zweites Mal ins Oval Office
kamen, stets den Ausgleich. Trump dagegen setzt auf Hardliner im Kabinett
und klare Kante. Ist die US-Gesellschaft besser auf ihn vorbereitet als
2016?
Grubbs: Das glaube ich nicht. 2016 verfielen viele Bürger:Innen, so auch
ich, in Schockstarre. Diesmal ist mein ganzer Körper von nacktem Grauen
erfasst. Überrascht war ich höchstens, wie deutlich Trumps Sieg ausfiel.
[2][Was die Stimmverteilung angeht, ist die USA weiterhin polarisiert, das
spiegelt sich nur nicht im Wahlmännersystem wider, weil es ein
Mehrheitswahlrecht ist.] Dass alle sieben Swingstates an Trump fielen, war
nicht zu erwarten, genauso wenig, dass er Gewinne bei Jungwähler:Innen
erzielt, bei der Latinxcommunity und breiten Bevölkerungsschichten in
Großstädten.
taz: Inweit ist die Öffentlichkeit im Bilde über die Politik, die nun
droht?
Grubbs: Mir fallen da nur zwei Jungmänner ein, die der TV-Sender CNN nach
Stimmabgabe vor dem Wahllokal befragt hatte. Beide deckungsgleich hip
tätowiert. Beide bekundeten im Wortlaut, sie hätten Trump die Stimme wegen
der hohen Inflation gegeben. [3][Desinformation ist in der Bevölkerung weit
verbreitet.] Soweit ich weiß, hat Trump noch gar keine Maßnahmen gegen
Inflation verkündet. Einzig zur Einführung von Strafzöllen auf Importwaren
hat er sich bekannt. Strafzölle werden Preise auf Importe und die
Lebenshaltungskosten eher noch erhöhen. Kurz vor der Wahl wurde ein Offener
Brief von 300 Ökonomen veröffentlicht, in dem sie ausdrücklich vor den
Folgen der Einführung von Strafzöllen warnen.
taz: Dass Trump die Klimakrise nicht ernst nimmt, wissen wir. Dringen die
Fakten im Alltagsleben durch?
Grubbs: Wenn, dann taucht das Thema eher unsystematisch in den Nachrichten
auf: Wieder fegt ein Hurrikan übers Land. In Trumps zweiter Amtszeit wird
es schwieriger sein, an verlässliche Informationen über Wetterphänomene zu
kommen. Klimaforschung ist stark politisiert. Dadurch wird objektive
Berichterstattung schwierig, denn die Medienlandschaft ist fragmentiert.
Umso wichtiger ist es, dass Bürger:Innen aufgeklärt werden, um sich
besser wappnen zu können.
taz: Mir ist ein Zitat Ihres Musikerkollegen Chris Brokaw in Erinnerung
geblieben. Am Wahlsieg von Trump erkenne er auch die Geografie, liberale
Gegenden an den Küsten und in einigen Großstädten und Collegetowns. Der
Rest Fly-Over-Country, wo es auch früher nur wenige Außenseiter gab.
Grubbs: Es wäre ein Fehler, weite Landesteile komplett abzuschreiben. Wir
kommen in dieser fatalen Situation nur weiter mit konstruktivem Engagement.
Ich bin in Kentucky aufgewachsen, wo es seit Langem eine absolute
republikanische Mehrheit in der Landesregierung gibt. Wir sollten endlich
anerkennen, was mein Freund, der public intellectual Raúl Ramos, nach der
Wahl postuliert hat: „Welcome to Texas!“ Ramos unterrichtet in Houston
mexikanisch-amerikanische Geschichte, Grenzwissenschaften, und ist
gefragter Experte für Einwanderungsfragen. Seit Längerem hat er darauf
hingewiesen, dass der konservative Wandel von einzelnen Bundesstaaten im
Süden aus quer über die ganze Nation wandert.
taz: Wird Bildung jetzt bevorzugter Austragungsort für Kulturkämpfe?
Grubbs: Wie Sie wissen, unterrichte ich Musikwissenschaft an der City
University New York (CUNY), einer staatlichen Bildungsinstitution. CUNY ist
mit ihren 400.000 Studierenden eine Keimzelle von sozialem Wandel.
Öffentlich geförderte Unis und Colleges sehen sich Gegenwind ausgesetzt.
taz: Warum?
Grubbs: Es gibt eine längere Vorgeschichte beim Thema Bildungspolitik. So
wurden in Florida, Texas und einigen Bundesstaaten im Süden bereits Gesetze
eingeführt, die finanzielle Anreize für mittellose Eltern schaffen, damit
diese ihre Kinder bei Privatschulen anmelden, vor allem bei
Religionsschulen. Ein Einfallstor von Evangelikalen, das zu Lasten der
Budgets von öffentlichen Schulen geht. Ich habe ein Auge für Neologismen
der extremen Rechten entwickelt. Sie sprechen bei öffentlichen Schulen nur
von „Regierungsschulen“. George Orwell lässt grüßen.
taz: War diese Wahl wirklich eine Abstimmung zwischen dem libertären Donald
Trump und der freiheitsliebenden Kamala Harris, wie von manchen
prognostiziert?
Grubbs: Über Trump und seinem schwerreichen Adlatus Elon Musk schwebt, bei
aller libertärer Rhetorik, eine dicke Wolke Heuchelei. Allein Musk, der bei
X zig User:Innen-Accounts wieder hergestellt hat, von Leuten, die vorher
gesperrt waren. Dann wurde „cis-gender“ zum Flag-Begriff. Angeblich findet
keine Zensur bei X statt, bis sie selbst damit begonnen haben. Das Gleiche
werden wir sehen, sobald Trump die Amtsgeschäfte übernimmt. Zu Kamala
Harris und ihrer Freiheitsliebe Folgendes: Für die Kürze ihres Wahlkampfs
hat sie sich achtbar geschlagen, die Kampagne war gut. Es sollte nicht
unterschätzt werden, wie sehr Mysogynie und Rassismus Teil des
republikanischen Wahlkampfs waren und nun das grauenhafte Bild der USA in
der Welt prägen werden. Eine Präsidentin als Staatsoberhaupt bleibt somit
undenkbar. Sobald Harris die Wahlkampfbühne betrat, bildete sie als
schwarze Politikerin maximalen Kontrast zu Trump. Hier die ehemalige
Staatsanwältin, dort der altbackene frauenfeindliche Polterer. Die
ständigen rassistischen Anfeindungen ignorierte sie einfach. Indem sie
drüber stand, verwickelte sie die Republikaner weiter in Widersprüche.
taz: Warum wird Elon Musik nicht als der Räuberbaron charakterisiert, der
er ist?
Grubbs: Weil er die öffentliche Aufmerksamkeit beherrscht, so wie Trump die
Medien um sich kreisen lässt. Das Klischee besagt, Trump gewinnt immer die
Schlagzeilen, so bleibt jenseits vom täglichen Tabubruch kein Platz mehr
für rationale Gedanken. Musk weidet im selben Jagdgrund. Vor Kurzem hat er
eine Lotterie gestartet, mit Millionengewinn für jene, die eine Petition
zum Recht aufs Waffentragen unterschreiben – wie im zweiten
Verfassungszusatz garantiert. Musk inszeniert sich als Genie, das sich mit
einem seltsamen Alten verbündet hat. Durch seine Erfolgsstory hat er Trump
für unpolitische junge Leute attraktiv erscheinen lassen.
taz: Bro-Culture und Manosphere sind aufgeblüht. Reaktionäre Kreise haben
moderne Medientechniken für sich zu nutzen gewusst. Auf der anderen Seite
gab es keine Volksfront der Progressiven, oder?
Grubbs: Nein. Die Rolle von neuen Medien wurde unterschätzt, auch wenn alle
Menschen links des Mainstreams mit einer Wiederwahl Trumps rechnen mussten.
Es ist alles viel zu vereinzelt.
taz: Vielleicht noch schwerer wiegt, dass nun Resignation einkehrt.
Grubbs: Es ist jetzt absolut die falsche Zeit, um das Ergebnis
schulterzuckend hinzunehmen.
taz: Sie forschen über das Kollektiv in der Kunst. Nun ist ein Kollektiv
zwar keine Volksfront, dennoch ist es ein Gegenentwurf zum Solisten.
Grubbs: Was die Musik angeht, Klangerzeugung eignet sich hervorragend für
Ko-Autor:Innenschaft, es geht dabei nicht um strikte Arbeitstrennung,
sondern um Zusammenarbeit. Dabei fällt leicht, sich von anderen Sounds
ermutigen zu lassen und trotzdem bei der Kollektivarbeit bei den
Partner:Innen zu intervenieren. Durch kritische Wertschätzung kann
besondere Dynamik entstehen.
taz: Was hat Kollektivarbeit mit politischer Organisierung zu tun? Auch
Kamala Harris sprach davon, dass die Leute sich besser organisieren müssen.
Grubbs: Die Demokratie ist durch Trump ernsthaft in Gefahr. Dafür stehen
die Leute nicht erst jetzt auf. Ersichtlich ist das an den Protesten gegen
das Abtreibungsverbot oder gegen Genderbeschränkungen. Auch Einschnitte bei
der Bildung haben große Proteste hervorgerufen. [4][Trumps zweite Amtszeit]
muss alle links vom Mainstream einen.
16 Nov 2024
## LINKS
[1] /US-Produzent-Quincy-Jones-gestorben/!6046579
[2] /US-Journalist-zur-Lage-nach-Trumps-Wahl/!6045316
[3] /Kuenstlerin-und-Aktivistin-ueber-die-USA/!5741483
[4] /Punkikone-Jello-Biafra-ueber-Trump/!6046153
## AUTOREN
Julian Weber
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