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# taz.de -- Perspektiven nach Trumps Triumph: Können wir jetzt einpacken?
> Der Schock der US-Wahl ist gesellschaftspolitisch noch keineswegs
> verarbeitet. Was wird sich Trumps disruptiver Politik entgegenhalten
> lassen?
Bild: Gemeinsam gegen rechts zu sein reicht nicht: Demo in Berlin, Frühjahr 20…
Es waren die frühen 70er-Jahre, als [1][der Philosoph Jürgen Habermas],
damals längst berühmt, einem seiner Essays einmal keine griffige
begriffliche Wendung zum Titel gab (wie „Strukturwandel der Öffentlichkeit“
zum Beispiel oder später „Die neue Unübersichtlichkeit“), sondern eine
Frage. „Was heißt heute Krise?“
Das war die Zeit, als das Scheitern dessen, was später 68er-Revolte heißen
sollte, aufgearbeitet werden musste. Die revolutionären 68er-Kader hatten
davon geträumt, dass in der Bundesrepublik Klassengegensätze einen Aufstand
hervorrufen würden. Habermas musste ihnen nun erklären, dass diese Hoffnung
in der auf Ausgleich bedachten Mittelstandsgesellschaft eh eine Illusion
gewesen sei.
Manches an den Antworten, die der Sozialphilosoph damals gab, mögen dated
sein. Doch seine Frage bleibt aktuell. Und es bleibt auch der
intellektuelle Move, der aus ihr folgt. Er besteht in einer Aufforderung zu
einer Überprüfung der eigenen Begriffe, die man sich über die Gesellschaft
und sein Handeln in ihr macht. Prüfe, ob du dich nicht von Illusionen
täuschen und von veralteten Begriffen leiten lässt.
Die Vermutung liegt nahe, dass so eine Selbstverständigung in der
Niederlage derzeit für die emanzipative Linke wieder ansteht.
Zu den Krisen, die einen sowieso schon umtreiben – „Kriege, Anschläge,
Epidemien, Naturkatastrophen und Wahlerfolge, die einem die letzte Hoffnung
austrieben“, wie es im aktuellen Roman „Das Fest“ von Lucy Fricke heißt,
Klimawandel nicht zu vergessen – ist die Erschütterung durch [2][die
Trump-Wahl] gekommen.
## Kein Bündnis der Minoritäten
Die Erschütterung wurde größer, je mehr man über die Umstände erfuhr;
[3][auch Latinos,] junge Frauen und Schwarze haben Trump gewählt. Damit
wird aber eine Erzählung zumindest fragwürdig, an die man sich etwas
hilflos geklammert hat: das Narrativ, dass sich, wenn es drauf ankommt,
alle Ausgeschlossenen und Unterdrückten zusammentun werden, um die White
Supremacy zu verhindern. Das haben sie keineswegs getan. Es gibt kein
Bündnis der Minoritäten.
Der Schock der Trump-Wahl ist inzwischen etwas eingekapselt, und das
deutsche politische System hat sowieso längst auf Wahlkampf umgeschaltet
inklusive der Begleitumstände von Ärmelhochkrempeln und Autosuggestion
(Grüne) und Selbstverständigung über den richtigen Weg (SPD). Doch man ahnt
längst: Gesellschaftlich und auch kulturell wird einen die Trump-Wahl noch
auf Jahre begleiten, keineswegs nur in den direkten politischen
Auswirkungen, sondern auch in den Selbstverständigungsdebatten.
Festzuhalten ist: Es war kein Unfall, sondern wirklich eine Niederlage. Zu
einer Krise kann sie einem werden durch den Verdacht, dass die USA
Tendenzen vorwegnehmen, die auch in Deutschland ankommen werden –
vielleicht nicht ganz so ausgeprägt wie drüben, aber wer weiß das schon?
Jedenfalls ist der Februar dieses Jahres nun endgültig Geschichte. Wie gut
hat man sich [4][auf diesen riesigen Demos gegen Ausgrenzung und die AfD
gefühlt]! [5][Millionen Menschen gingen bundesweit auf die Straße.] Es
fühlte sich nach einer gesellschaftlichen Bewegung an – ein Gefühl, das
trog. Die Vermutung ist jetzt eher: „Gegen rechts“, wie es hieß, [6][kann
man zwar mobilisieren]; doch dass daraus auch eine tragfähige politische
Mehrheit entsteht, ist keineswegs ausgemacht. Es sieht jedenfalls aktuell
nicht danach aus.
## Demokratie verteidigen reicht nicht
In den Bereich der Illusionen gehört also offenbar, dass „Demokratie
verteidigen“ allein ein schlagkräftiges politisches Konzept ist; es ist
tatsächlich viel zu abstrakt und von oben herab. Und was ist mit der
Vorstellung von der Koalition der Minoritäten, der Ausgeschlossenen und
Wohlmeinenden? Als Erzählungen von der Multitude oder einem Mainstream der
Minderheiten ist sie in vielen Hinterköpfen. (Kulturell hatte sie ihren
Peak in Filmen wie „Matrix“ oder Berliner Fantasien rund ums Berghain oder
das Tempelhofer Feld, letztlich Woodstock-Reminiszenzen.) Doch sollte man
sie, wenigstens zurzeit, eher als Wunschfantasie denn als realistisches
Szenario behandeln.
Der Punkt ist: „Gegen rechts“ kann eben nicht die internen Widersprüche und
Brüche innerhalb so einer angenommenen Koalition auf Dauer überdecken. Die
erbitterten innerlinken Auseinandersetzungen um Nahost sind da nur der
extremste Punkt. Lebensweltlich existieren viele weitere Brüche.
Dass die Grünen die soziale Frage vergessen, wird im politischen System
mantrahaft vorgetragen. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf
der anderen steht, dass selbst so etwas Unschuldiges wie das Lastenfahrrad
als Triggerpunkt für Ökohass herhalten kann. Aus Reihenhaus-Besitzer*innen,
innerstädtischen Altbaubewohner*innen, Postmigranten, Omas gegen rechts (so
toll die sind), Queers und Hipstern jeglicher Couleur wird eben kein
gemeinsames Milieu.
## Sichtbarkeit und Anerkennung
Ist diese Feststellung selbstverständlich? Vielleicht. In ihren
Auswirkungen ist sie aber noch nicht überall angekommen. So gehen viele
identitätspolitische Interventionen und minoritätspolitische Kämpfe um
Sichtbarkeit und Anerkennung zumindest implizit immer noch davon aus, dass
es so etwas wie ein stabiles, und zwar gutes gesellschaftliches Zentrum
noch gibt, das Sichtbarkeit herstellen und Anerkennung verteilen kann.
Dabei ist genau dieses Zentrum fraglich geworden.
Vielleicht wäre es also an der Zeit, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln,
dass man auch selbst nicht nur für seinen spezifischen Punkt, sondern auch
für das Ganze verantwortlich ist. Nachdem die spezifischen Anliegen ja klar
geworden sind, könnte jetzt der Punkt gekommen sein, das dialektische
Pendel wieder zurückschwingen zu lassen, wieder etwas universalistischer zu
werden und nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Was einerseits ein frommer
Wunsch sein mag. Andererseits, gibt es wirklich Alternativen dazu?
Um Missverständnisse auszuschließen: Identitätspolitische Interventionen
und die MeToo-Bewegung haben diese Gesellschaft weniger rassistisch und
weniger sexistisch, also bewohnbarer gemacht. Ihnen jetzt pauschal die
Schuld an der Uneinigkeit der Linken zu geben und ihnen vorzuwerfen, sie
würden sich gegen die „kleinen Leute“ wenden, wie man das jetzt viel liest,
ist allzu rückwärtsgewandt (und geht vielleicht immer noch davon aus, dass
die Arbeiter das Subjekt der Geschichte sind). Noch ihre
sprachpolizeilichen Verstiegenheiten lassen sich verteidigen. Etwa mit
einem Satz des [7][Schriftstellers Rainald Goetz:] „Es geht nur so, eine
leisere Sprache versteht die Macht nicht.“
Doch könnte die aktuelle Krise auch ein Anlass sein, eine nächste Phase
einzuläuten. Wie hieß es bei den amerikanischen Gründungsvätern? No
taxation without representation. Das lässt sich umdrehen: Wer gut
repräsentiert sein möchte, sollte sich auch um das Repräsentierende
kümmern. Schon aus Selbstschutz. Aus einem reinen Kampf der Eigeninteressen
werden immer die Trumps und Musks dieser Welt mit ihrer schieren Macht
triumphierend hervorgehen.
## Niederlage des Allgemeinen
Die Trump-Wahl bedeutet eine Niederlage des Allgemeinen, die mit einer
Rückkehr reaktionärer Identitätsvorstellungen der Abstammung – wie sie auch
in Deutschland droht – wunderbar zusammenpasst. Trumps „disruptive Politik�…
– gegen die Institutionen, gegen das Allgemeine – wird auch in Deutschland
schon als mögliche Freisetzung „enormer konzeptioneller Kreativität“
gefeiert; offenbar eine Variation vom Theorem der schöpferischen Zerstörung
im Kapitalismus. Und die Frage ist, ob es ausreicht, noch mehr
Mobilisierung, noch mehr aktivistische Interventionen, noch mehr Empörung
dagegenzusetzen. Wohl kaum.
Was man etwa sehen könnte, ist, dass die sozialen Medien, und zwar schon
[8][bevor Musk sich Twitter krallte,] untergründig mit diesem Disruptiven
verknüpft gewesen sind, als Ermöglichung antiinstitutioneller Energie. Das
spricht keineswegs gegen die sozialen Medien als Ganze; sie haben die
Sprecherpositionen vervielfältigt, das war wichtig und ist sowieso
unhintergehbar. Nur sollte man sich eben auch hier klarmachen, was man mit
ihnen anfängt – was ja auch, nicht mehr auf X, aber auf anderen Kanälen,
längst geschieht. Mit Bemühungen um lustiges Argumentieren, Ironien und
Neuanknüpfungen von Gruppenbildungen.
Jürgen Habermas hat damals den 68er-Kadern übrigens einen anderen Umgang
mit ihrer gefühlten Niederlage empfohlen. Er riet dazu, die Krise der
Gesellschaft als Legitimations- und Verständigungskrise zu begreifen, und
traf damit einen Punkt.
Die aufbegehrenden Studierenden wollten nicht so strebsam arbeiten und, wie
man damals sagte, entfremdet leben wie ihre Eltern und setzten so die
herrschenden gesellschaftlichen Normen unter Legitimationsdruck. Während
manche 68er noch jahrelang ihre Wunden leckten, machte sich von da aus die
Bundesrepublik auf, die Gesellschaft als Ganze zu reformieren und neue
Subjektivitäten zu schaffen, die Stichworte waren Neue Innerlichkeit,
Selbstverwirklichung (mit all ihren Ambivalenzen), dann Neue Soziale
Bewegungen.
Ist das ein Weg? Statt Wunden zu lecken, sich wieder auf die Suche begeben,
diesmal nach neuen Sensibilitäten für ein vernünftiges Zusammenleben? Kann
gut sein, dass nichts anderes übrigbleibt, wenn man nicht das Disruptive
will.
24 Nov 2024
## LINKS
[1] /Juergen-Habermas-zum-Ukraine-Krieg/!vn6025235
[2] /US-Wahl-2024/!t5575916
[3] /Latino-Vote-im-US-Wahlkampf/!6043971
[4] /Demonstration-gegen-rechts-in-Muenchen/!5991535
[5] /Analyse-der-Demos-gegen-Rechtsextreme/!5995645
[6] /Protest-gegen-Rechtsextremismus/!5987803
[7] /Rainald-Goetz-gegen-Michael-Rutschky/!6006494
[8] /X-Chef-Elon-Musk/!6028017
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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