| # taz.de -- Umgang mit einem schwierigen Jahr: Die Bedingung der Möglichkeit v… | |
| > So schwierig das nun endende Jahr war, es hinterlässt eine neue | |
| > Sensibilität für tröstliche Dinge. Welche das sein können. | |
| Bild: Tröstet manchmal: die Sonne, hier beim Untergehen vor Sylt | |
| Als dieses sowieso schon verdüsterte Jahr 2024 am dunkelsten war, in den | |
| Tagen nach der Trump-Wahl, wurden die Gäste auch der | |
| gesellschaftsanalytischen Podcasts gern gefragt, wie sie die vielfältigen | |
| Krisen aushalten würden, und überhaupt, was sie denn in der gegenwärtigen | |
| Lage trösten würde. Das waren oft schöne, nahbare Momente, getragen von | |
| tatsächlichem Interesse. So ganz klar war es dieses Jahr ja nicht immer, | |
| wie es einem gelingen soll, an der Lage nicht zu verzweifeln. | |
| Die Antworten auf diese Fragen waren jetzt nicht sonderlich originell, aber | |
| darauf kam es, stellte man beim Zuhören fest, auch gar nicht an. Die einen | |
| fuhren viel Fahrrad, das würde sie in einen anderen Zustand bringen, | |
| meinten sie. Andere werkelten noch im Garten oder freuten sich darauf, | |
| spätestens im nächsten Frühjahr wieder im Garten zu buddeln, oder sie | |
| fuhren Rollschuh oder machten anderes. Die basalen Dinge. Rausgehen, | |
| frische Luft, Naturerlebnisse, Bewegung. Die schiere Tätigkeit der Muskeln | |
| hat schließlich etwas von einem Antidepressivum. | |
| Das [1][neue Album von The Cure] wurde in jenen Tagen auch auffällig oft | |
| erwähnt, und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen seiner ausgestellten | |
| Düsternis. Die elegischen Mollakkorde über den wie in Trance zuckenden | |
| Trommelschlägen des „Endsongs“, der das Album abschließt, dazu der | |
| klagende, immer wieder wiederholte Gesang „It’s all gone“ – das wirkte | |
| tatsächlich wie ein wie durch ein Wunder ausgerechnet in diesen dunklen | |
| Tagen auf uns gekommener Balsam. | |
| Was man also präsentiert bekam, waren vielfältige individuelle Strategien | |
| des Getröstetwerdens – und, so seltsam es ist, schon das war tröstlich. Im | |
| Nachhinein kann man sich fragen: Was war so tröstlich daran? Auffällig war | |
| zunächst dies: Das Tröstliche lag nicht an der Vermittlung von Hoffnung. | |
| Darum ging es in diesen Auskünften gar nicht, jedenfalls nicht gleich. Was | |
| auch gut so war. Nichts gegen Hoffnung, aber Trost braucht man nun einmal | |
| besonders, wenn man sie gerade nicht hat. Den billigen Trost des „Das wird | |
| schon wieder“ hätte man vielleicht sogar als unangemessen empfunden, so | |
| tröstet man Kinder. | |
| Erwachsener Trost hat, wie man dagegen in diesen dunklen Tagen erfahren | |
| konnte, offenbar zur Voraussetzung, dass man sich mit seiner | |
| Trostbedürftigkeit wiederfinden kann in der Trostbedürftigkeit der anderen. | |
| Dabei geht es sicherlich um Entlastung – wenn die anderen trostbedürftig | |
| sind, darf man selbst es auch sein –, aber nicht nur. Trostbedürftigkeit | |
| ist auch Gemeinschaft stiftend, man fühlt sich einander nahe. Und als ob | |
| man sich an einem Gerüst entlangtasten würde, hilft es einem auch, | |
| hinzusehen und tief hinabzusteigen in seine eigene Trostbedürftigkeit und | |
| Trauer – um schließlich aus diesem Tal wieder aufzutauchen. | |
| ## Düsternis in Wellen | |
| Eine Bewegung, die auch die Reaktion auf The Cure erklärt. Sich von dieser | |
| Düsternis in Wellen umspülen zu lassen wie von einer Brandung hat eben | |
| nichts Deprimierendes, sondern etwas Kathartisches. | |
| Um diesen Umschlag von Trauer in Trost zu beschreiben, hat der Philosoph | |
| Theodor W. Adorno keine Metapher des Hinabsteigens, sondern das Bild einer | |
| Kuppel verwendet. Die Töne der avancierten Musik legen sich über die Klage | |
| der „verlassenen Kreatur“, meinte er und fuhr mit einem schillernden Satz | |
| fort: „Auf der Kuppelhöhe aber wandelt [Trauer] sich in Trost.“ Den | |
| Gedanken, dass Adorno The Cure wahrscheinlich eher nicht zur avancierten | |
| ernsthaften Musik gezählt hätte – keine Zwölftontechnik –, lassen wir je… | |
| mal beiseite. | |
| Die Autorin Hanna Engelmeier zitiert diesen Adorno-Satz in ihrer sowieso | |
| lesenswerten Studie [2][„Trost. Vier Übungen“,] in der sie die | |
| Trostbedürftigkeit des Menschen intellektuell abtastet und sich dabei auch | |
| in ihrem Bücherregal auf die Suche nach Trost begibt, Rainer Maria Rilke, | |
| David Foster Wallace, Eileen Myles sind ihre Bezugspunkte. Dass sie dabei | |
| auch auf Adorno stößt, ist erst einmal überraschend. Schließlich ist der | |
| Doyen der Kritischen Theorie ein zutiefst düsterer Denker, der gegen die | |
| falschen Tröstungen der Kulturindustrie in seinen Schriften viele | |
| Bannsprüche hinterlassen hat. | |
| In der verkürzten Lesart der Nach-68er-Jahre fühlten sich viele seiner | |
| Leser*innen darin bestärkt, das Nachdenken über Trost unter | |
| Generalverdacht zu stellen. Trost dürfe, so lässt sich diese Lesart | |
| zusammenfassen, nicht sein, weil er nur das Individuum mit seiner Lage | |
| versöhne und damit gesellschaftliche Konflikte befriede, die doch | |
| eigentlich kritisiert werden müssen. | |
| ## Abgehärtete Menschen an Weihnachten | |
| Doch kann man bei Hanna Engelmeier lernen, dass die Anrufung des | |
| Getröstetwerdens ein durchgängiges Motiv des Denkens von Adorno ist, es | |
| darf eben nur kein vorschneller Trost sein. Zu bedenken ist außerdem, dass | |
| dieses Denken nicht nur „nach Auschwitz“, sondern auch in einer Zeit | |
| stattfand, in der öffentlichen Gefühlen immer noch mit Kältelehren begegnet | |
| wurde – der deutsche Mann weint nicht, die deutsche Mutter lässt ihr Kind | |
| schon mal schreien –, was wie in einem Ventil etwa zu Gefühlsseligkeiten in | |
| einem sentimental restlos überladenen Weihnachtsfest führte. | |
| In der stillen Nacht konnten die abgehärteten Männer und Frauen von vor | |
| zwei, drei Generationen andächtig ihre Trostbedürftigkeit ausleben, aber | |
| eben auch nur da. (Was nicht gegen ein tröstliches Weihnachten per se | |
| spricht.) | |
| Insofern lässt sich die Art und Weise, wie sich gegenwärtig über | |
| Möglichkeiten des Trostes ausgetauscht wird, geradezu als gesellschaftliche | |
| Errungenschaft beschreiben. Sie lässt sich eintragen in den Bildungsroman | |
| einer Gesellschaft, die allmählich lernt, mit den sie begleitenden Gefühlen | |
| umzugehen. Das Jahr 2024 zeigte allerdings auch, dass dieser Fortschritt | |
| keinem Automatismus folgt. | |
| Die Wahlerfolge der AfD lassen sich auch lesen als Versuche, sich gegen die | |
| Schicksale der anderen – der Migranten und Geflüchteten etwa – abzugrenzen | |
| und die Kollektivität wieder in der Abstammung zu suchen und nicht unter | |
| anderem in der gegenseitigen Solidarität von Trostbedürftigen. | |
| ## Comfort-Food und Kuscheljacken | |
| Wenn man der positiven Seite der Entwicklung folgen möchte, kann man | |
| immerhin feststellen, dass der Trost nicht mehr nur ins Metaphysische | |
| abgeschoben wird (Utopie, Erlösung) und auch nicht mehr der Religion | |
| überlassen (Krippe, Auferstehung), sondern dass er im Hier und Jetzt | |
| gesucht wird. Ja, mehr noch, die Suche nach Trost ist geradezu zu einer | |
| gesellschaftlichen Produktivkraft geworden, was sich zum einen in solchen | |
| Produktpaletten wie Comfort-Food und Kuschelstrickjacken niederschlägt und | |
| sicher auch konsumkritisch gesehen werden kann. | |
| Was zum anderen aber auch nun einmal zu den Leistungen gehört, die jeder | |
| Einzelne in der modernen Gesellschaft für sich erbringen muss, um sich über | |
| Wasser zu halten. | |
| Dass das nicht leicht ist, zeigen die komplizierten psychischen Probleme | |
| der Gegenwart. Bei den Ambivalenzen und vielfältigen Anforderungen, denen | |
| man ausgesetzt ist, bleibt manchmal nur der Trost des Weitermachens. Und | |
| die Einsicht, dass die Alternativen schlimmer sind. Kann man sich zum | |
| Beispiel die russische Gesellschaft, die sich von ihrem offiziellen | |
| Selbstverständnis her offenbar gegen einen angeblich verweichlichten Westen | |
| definiert, mit ihren Verhärtungen bis hin zu Menschenopfern im Krieg im | |
| Ernst anders als zutiefst trostlos vorstellen? | |
| Dagegen ließen sich hierzulande rund um die Trump-Wahl vielleicht sogar | |
| erste Ansätze einer Kultur des Tröstens wahrnehmen. Dazu gehört, sich | |
| gegenseitig zu erzählen, was einen trösten kann. Es muss eben nicht immer | |
| [3][Leonard Cohen] sein oder die Entdeckung des verwundeten Fürsten Andrej | |
| in [4][„Krieg und Frieden“,] wie hoch der Himmel ist. Wie erfinderisch die | |
| Gegenwartsmenschen ihren Alltag darauf hinkonstruieren, sich mit | |
| tröstlichen Momenten zu umgeben, lässt sich in der fast schon klassischen | |
| Studie „Der Trost der Dinge“ von Daniel Miller nachlesen. | |
| Die Sensibilität für tröstliche Dinge – das Aufrascheln von Blättern im | |
| Wind, das geölte Klackern des Zahnrads auf einer Radtour, die warme Sonne, | |
| die sich bei einem Strandspaziergang durch die Wolken kämpft, der kleine | |
| anerkennende Seitenblick während einer Sitzung auf der Arbeit – ist etwas, | |
| was das gepanzerte Subjekt des Neoliberalismus vielleicht nicht ablöst, das | |
| wäre zu viel gehofft, aber doch sich danebenstellen lässt. So individuell | |
| diese Sensibilität erscheinen mag, die Gesellschaft ist in ihr drin. Um sie | |
| auszubilden, braucht es gesellschaftlich geteilte Bilder und Szenarios. | |
| Letztlich besteht der Trost ja darin, gegenseitig anzuerkennen, dass das | |
| Leben einem nicht leicht gemacht wird. | |
| ## Politik des Tröstens | |
| Viel wäre noch darüber zu schreiben, wie schwer es sein kann, die richtigen | |
| Worte und Gesten für Trost zu finden. Wer je neben einem vor nackter | |
| Trostlosigkeit bebenden Menschen saß, der gerade seinen Lebenspartner | |
| verloren hat, weiß das. Da kann einem keine Politik helfen. | |
| Festhalten sollte man aber auch, dass es politische Entscheidungen sind, | |
| die eine Kultur des Tröstens ermöglichen oder auch behindern können. Es | |
| sind gar nicht mal die großen, systemumfassenden Dinge, es sind die kleinen | |
| Dinge. Für tröstliche Radtouren braucht es Radwege, für Naturerlebnisse | |
| Bäume und Parks, für Begegnungen Räume, in denen man sich begegnen kann, | |
| [5][wie Bibliotheken,] Schwimmbäder, Theater und Spielplätze. Eine Politik | |
| des Tröstens wäre eine, die sich keineswegs anmaßt, selbst trösten zu | |
| können, sondern individuellen Trost ermöglicht. | |
| 25 Dec 2024 | |
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| [2] /Buch-Vier-Uebungen-fuer-Trost/!5805532 | |
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