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# taz.de -- Neue Alben und Tour von David Grubbs: Uhrwerk in Super Slow Motion
> Vom Punk zur freien Musik: US-Avantgarde-Gitarrist David Grubbs kommt mit
> zwei neuen Alben und einem Buch nach Deutschland.
Bild: Mein lieber schwarzer Schwan! David Grubbs mit seiner Axt
Müßiggang und doch mächtig was los: Auf einem elektrischen Munkeln schwingt
eine Gitarre daher; sie hat etwas von einem Uhrpendel in dezenter, kaum
merklicher Unruhe. Vier Minuten geht das so, bis für einen Moment ein
Akkord einen Widerhaken wirft.
Noch mal drei Minuten, die für eine Idylle zu gebrochen klingen, dann
stellt sie sich mit einem folkloristischen Perlen ein. In Minute neun
schwingt aufs Neue das Pendel, das ist bereits die Ruhe vor dem Sturm. Nach
einer Viertelstunde bricht heftiges Gitarrenfeedback herein, zwei Minuten
darauf gerät es zum weißen Rauschen. Mein lieber schwarzer Schwan!
Das Stück, um das es hier geht, nimmt mit 21 Minuten die komplette A-Seite
des Albums „Failed Celestial Creatures“ des US-amerikanisch-japanischen
Duos David Grubbs und Taku Unami ein. Ohne Worte berichtet es von einer
klassischen Stirb-und-werde-Geschichte: Shā Wùjìng, Protagonist in der
Erzählung „Journey to the West“ des japanischen Schriftstellers Atsushi
Nakajima, wird aus dem Himmel auf die Erde verstoßen.
## Ein Flußungeheuer
„Ich bin ein Narr“, ruft Wùjìng, in eines von 13.000 Flussungeheuern
verwandelt: „Warum geschieht mir das?“ „Ich bin ein gescheitertes
Himmelswesen.“ A failed celestial creature. Der Pechvogel wird zum Schüler
des buddhistischen Pilgers Xuanzang.
Zu fragen, was Nakajima, einer der ersten japanischen Rezipienten Franz
Kafkas, zur Musik von Grubbs und Unami gesagt hätte, ist Spekulation.
Nakajima verwob absurd-existenzialistische Vorahnungen in chinesische
Volksmärchen. Er ist einer der literarischen Stichwortgeber Grubbs’ und
Unamis, die sich, bevor sie ihr Duo-Album in Kioto aufnahmen, Lektürelisten
schickten. Der Multiinstrumentalist Unami ist begeisterter Leser von
Science-Fiction, Horror und Obskuritäten.
Grubbs hat mit der genreübergreifenden US-Dichterin Susan Howe
zusammengearbeitet und unterrichtet Creative Writing; der Musikprofessor am
New Yorker Brooklyn College [1][ist selber unter die Autoren gegangen].
## Hardcore, unorthodox
Wer Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger auf David Grubbs stieß, dürfte
all das nicht geahnt haben. Der Gitarrist und Sänger war Mitbegründer der
nicht fundamentalistischen Punkband Squirrel Bait und der unorthodoxen
Post-Hardcore-Combo Bastro. 1993 veröffentlichte Grubbs mit dem
Bastro-Nachfolgeprojekt Gastr del Sol das Album „The Serpentine Similar“;
eines der Werke, für die das nicht ganz unproblematische Genre „Post-Rock“
geprägt wurde.
Zu Post-Rock gehörte, das auf „The Serpentine Similar“ erst nach vier
Minuten ein Becken zu hören ist, das ganze Schlagzeug erst in der sechsten
Minute zum Einsatz kommt. Grubbs sollte zeitweise auch mit einer Band wie
The Red Krayola spielen, die Post-Rock waren, bevor es das Wort überhaupt
gab; er musizierte mit dem Violinisten und Filmemacher Tony Conrad, der am
Anfang dessen stand, was mit The Velvet Underground begann. Grubbs ist
nimmermüder Multiplikator des US-Undergrounds.
Die Frage, ob das nun Rockmusik war für Leute, die schon immer zu viel
gelesen hatten, mögen sich Rockisten stellen; wichtiger ist, dass Grubbs
und seine Mitstreiter wie John McEntire (Tortoise) Musik spielten, die
nachträglich eine Ehrenrettung der gerne verpönten Neunziger sind. Und es
empfiehlt sich, „The Serpentine Similar“ neben Grubbs’ aktuelles Album
„Failed Celestial Creatures“ zu stellen und auch zu hören, lässt sich doch
von einem Stück wie „A Watery Kentucky“ von einst eine Linie zu „The For…
Dictation“ (2018) ziehen, dem einzigen „richtigen“ Song auf „Failed
Celestial Creatures“.
## Im Rückwärtsgang
Kann man auf Grubbs’ und Unamis Album also einem Uhrpendel beim langsamen,
aber stetigen Ausbüxen zuhören, lässt sich auf dem bis dato zweiten
Duo-Album Grubbs’ aus diesem Jahr ein Uhrwerk in Super Slow Motion
vernehmen. Ja, es hat den Anschein, als wolle es gelegentlich den
Rückwärtsgang einlegen. „Lacrau“ heißt es, eingespielt hat es der New
Yorker mit dem portugiesischen Gitarristen Manuel Mota in Lissabon. Mota
kommt vom Blues; als Grubbs begann, die Grenzen von Rock zu verschieben,
begab er sich auf das weite Feld von Experimental- und Improvisationsmusik.
Derek Bailey, der große alte Brite der frei gespielten Gitarre, outete sich
als einer von Motas Fans.
Für „Lacrau“, eine Mixtur aus Fingerpicking und Feedback, ließe sich ein
gewagtes Bild wie das einer pointillistischen Musik bemühen. Wem das zu
sehr nach Studierzimmer klingt: Das Album gleicht einem beiläufigen
Gespräch unter Vertrauten. Man muss sich keine Medizinbälle zuwerfen,
Anspielungen reichen voll und ganz. Da wird über Saiten gestrichen und auf
den Gitarrenhals geklopft. Auch „Lacrau“ bietet ein ausladendes Stück:
„Vigário“ erstreckt sich fast über eine Viertelstunde; sein hochfrequenter
Anfang mutet regelrecht übergriffig an. In der sechsten Minute meldet sich
dann ein Knurrhahn.
„Lacrau“ ist übrigens sowohl ein älteres portugiesisches Wort für
„Skorpion“ als auch der Name eines Restaurants in Motas Heimatstadt
Ericeira an der Westküste Portugals. Beide Alben empfehlen sich für einen
Seeblick, einen Abend über Dächern oder einer Nacht unter einem
nachsichtigen Mond. Es war ein weiter Weg vom Punk, aber er ist gut von
David Grubbs gegangen worden.
14 Sep 2018
## LINKS
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## AUTOREN
Robert Mießner
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