| # taz.de -- Komponistin Pauline Oliveros in Berlin: Unheimlich statt anheimelnd | |
| > Die Minimal-Music-Pionierin Pauline Oliveros hat das „Deep Listening“ | |
| > entwickelt. Beim Berliner Festival CTM ist sie gleich dreimal zu erleben. | |
| Bild: Pauline Oliveros (rechts) bei einem Konzert mit der japanischen Künstler… | |
| In den letzten Jahren wurde die Kritik am Berliner Festival CTM laut, dass | |
| dieses zwar das aufregendste Festival für experimentelle Musik in | |
| Deutschland sei, dabei aber weitgehend unterschlagen würde, dass auch | |
| Frauen in der musikalischen Avantgarde eine Rolle spielen. Angesichts der | |
| Tatsache, dass die kühnsten Entwürfe fortschrittlicher Elektronik in der | |
| letzten Zeit von Musikerinnen wie der US-Künstlerin Laurel Halo kamen, | |
| wirkte die Frauenquote beim CTM schräg. | |
| Dieses Jahr ist alles anders. Erkennbar schon daran, dass an zwei Abenden | |
| Pauline Oliveros auftreten wird, die große alte Dame der US-Elektronik. | |
| Zudem lädt sie zu einem „Listening For Peace“, einer Meditationsstunde, bei | |
| der auch Spenden für Flüchtlinge gesammelt werden sollen. Bei der bis heute | |
| in alle möglichen Sphären von Pop hinein einflussreichen Minimal Music, als | |
| deren Vertreterin Pauline Oliveros gilt, waren es eben nicht nur Männer, | |
| die in den Sechzigern an Oszillatoren rumschraubten, sondern auch Frauen. | |
| Nicht zuletzt die lesbische Pauline Oliveros hat sich für diese Sicht der | |
| Dinge immer starkgemacht. Die Frau ist inzwischen 84 Jahre alt, gilt aber | |
| immer noch als jemand, die für Frauenrechte auch ungefragt den Mund | |
| aufmacht. | |
| Bekannt wurde Oliveros Anfang der 1960er als Mitgründerin des San Francisco | |
| Tape Music Center, das sie eine Zeit lang leitete. Gemeinsam mit Morton | |
| Subotnick und Ramon Sender experimentierte sie mit Tape-Manipulationen und | |
| allerlei elektronischem Gerät, auch Terry Riley arbeitete hier eine Weile. | |
| Nicht im Elfenbeinturm wie die europäischen Kollegen Pierre Schaeffer und | |
| Karlheinz Stockhausen wollte man Klangforschung betreiben, sondern | |
| eingebettet in die kalifornische Gegen- und Hippiekultur, die sich zur | |
| selben Zeit herausbildete. So gibt es starke Berührungspunkte zwischen dem | |
| San Francisco Tape Music Center und Grateful Dead, der prototypischen | |
| Acid-Hippie-Band, während gleichzeitig die Beatles und diverse | |
| Krautrockbands zwar Stockhausen verehrten, diese Liebe aber nie wirklich | |
| erwidert wurde. | |
| ## Hang zu Esoterik | |
| Den Hang zu Esoterik, Mystik, fernöstlicher Philosophie und anderem | |
| Hippiekram, der sich heute noch stärker als damals bei Oliveros finden | |
| lässt, kommt bestimmt aus dieser Zeit der kulturellen und sozialen Umbrüche | |
| in San Francisco, auch wenn sie selbst inzwischen nicht mehr in | |
| Kalifornien, sondern längst im nüchternen New York lebt. | |
| Das Interessante an Oliveros ist, dass bei ihr Esoterik nie Kitsch wird. | |
| Andere verstehen unter Meditationssound plätschernde Synthieklänge, zu | |
| denen alle paar Minuten ein Glöckchenton bimmelt. Oliveros, die sich immer | |
| tiefer hineingearbeitet hat in eine Philosophie des aufmerksamen Hörens, | |
| des „Deep Listening“, wie sie das nennt, hat nie Musik produziert, die | |
| einem helfen soll, nach der Büroarbeit besser runterzukommen. | |
| Ihr bevorzugtes Instrument ist das Akkordeon, das sie elektronisch | |
| verstärkt, sodass es nichts mehr zu tun hat mit dem Instrument, das für die | |
| Schrecken deutscher Volksmusik verantwortlich ist. Mit dem Akkordeon | |
| erzeugt sie Drones, flirrende Obertöne, zu denen sie singt. Die Stimmung, | |
| die dabei entsteht, ist unheimlich, nie anheimelnd, und nimmt eher die | |
| Gitarrenschichtungen der Dronemetalband Sunn O))) vorweg, als dass sie an | |
| Platten mit Buckelwalgesängen für den New-Age-Haushalt erinnert. | |
| ## Klänge wahrnehmen | |
| Nicht nur die Musik zählt bei Oliveros, nicht nur der Klang, sondern auch | |
| das Setting, in dem diese entsteht. Mit ihrer Deep-Listenin-Band nimmt sie | |
| daher Musik bevorzugt in Zisternen und Höhlen auf, die das Hörerlebnis, so | |
| glaubt sie, vertiefen. Den Glauben daran, dass man beim Hören seine Sinne | |
| schärfen soll, um Klänge wahrnehmen zu können, von denen man vorher gar | |
| keine Vorstellung hatte, das hat Oliveros von John Cage, mit dem sie | |
| befreundet war – wie mit fast allen großen Namen der amerikanischen | |
| Avantgarde von Merce Cunningham bis David Tudor. | |
| Hören, daran glaubt sie fest, kann man lernen. Richtiges Hören kann gar | |
| therapeutische Wirkung haben. An ihrem New Yorker Deep Listening Institute | |
| werden somit die Techniken des Hörens vermittelt durch Entspannungsübungen | |
| und Meditation. Und in Berlin werden wir das Glück haben, an einer solchen | |
| Hörübung, geleitet von Pauline Oliveros, teilnehmen zu können. Vielleicht | |
| ist die Welt danach wirklich anders, mit etwas Glück sogar besser, als sie | |
| es vorher war. | |
| 3 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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