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# taz.de -- Das Erfolgskonzept des Heavy Metal: Die neuen Konservativen
> Kaum ein Genre hat so treue Fans wie Heavy Metal. Und weil diese nach wie
> vor Platten kaufen, stürmen Slayer und Iron Maiden die Charts.
Bild: Tradition, Nostalgie und noch immer viel Erfolg: Iron Maiden.
Berlin taz | Sie existieren immer noch: Iron Maiden, Slayer und bis vor
Kurzem Motörhead. Institutionen des Heavy Metal, einfach nicht
kleinzukriegen, ganz im Gegenteil: Alle drei Bands haben erst jüngst neue
Alben veröffentlicht, allesamt landeten sie auf Platz eins der deutschen
Charts. Eher nicht obwohl, sondern weil auf diesen Alben dasselbe
runtergerockt wurde wie immer.
Selbst Slayer, einst, in den Achtzigern, bekannt als brutalste Band des
Planeten: An der Spitze der Charts, dort, wo sonst Helene Fischer steht.
Das neue Album der amerikanischen Thrashmetaller knüpfe an die guten alten
Zeiten an und sei ein ähnlicher Höllenritt wie das berüchtigt intensive, 30
Jahre alte „Reign In Blood“, bescheinigte die Kritik. Es waren also nicht
etwa altersmilde Kuschelrock-Slayer, die da plötzlich so durch die Decke
gingen, sondern immer noch gut geölte Abrissbirnen.
Früher war die Band mit ihrem ultraschnell gespielten Thrash und den
erbarmungslos blutigen Texten der ultimative Kick für langhaarige
Kuttenträger, die auf dem Schulhof keinen Anschluss zu den anderen fanden.
Und heute? Landen dieselben Slayer bei Plattenkäufern im Warenkorb gleich
neben Herbert Grönemeyer und einer DVD mit Tom Hanks?
Götz Kühnemund, einer, der es wissen muss – der Mann ist der Diedrich
Diederichsen des Metaljournalismus –, relativiert ein wenig. Er reflektiert
schon so lange über Metal wie Slayer über Tod und Teufel, ist aktuell
Chefredakteur des Metal-Magazins Deaf Forever, und er glaubt: „Es ist
tatsächlich so, dass – neben Nachwuchs, den es zur Genüge gibt – eine
ältere Generation gerade zurückkommt zum Metal. Diese entdeckt wieder neu,
was ihr früher mal so viel Spaß gemacht hat.“
Die überraschende Chartbilanz von Slayer führt Kühnemund jedoch auf etwas
anderes zurück: „Deren Erfolg zeigt vor allem, dass Metal-Fans eben noch
Platten kaufen, und weniger, dass die Band jetzt in der Mitte der
Gesellschaft angekommen ist. Wenn das Kaufverhalten aller so wäre wie im
Bereich Metal, dann würden Alben wie das von Slayer über die Top 20 in den
Charts nicht hinauskommen.“
## Einfach immer weitermachen
So ist das also: Metal-Bands klingen heute wie vor 30 Jahren, und die zu
großen Teilen selben Metal-Fans wie früher kaufen Platten wie vor 30
Jahren, während in allen anderen Bereichen der Popmusik die Plattenverkäufe
in den letzten Jahren zurückgegangen sind.
Metal steckt in einer Zeitblase, und verändert haben sich nur die anderen.
Rob Zombie, ehemals Sänger der Band White Zombie und inzwischen
Horrorfilm-Regisseur, sieht das ähnlich: „Metal ist eine Lebenseinstellung.
Bei allem Übrigen scheint es so zu sein, dass man es eine Weile lang mag,
dann verliert man das Interesse. Aber Metal: Metal-Fans lieben ihn für
immer.“
Einfach immer weitermachen, Beständigkeit und ein bestimmter
Wertekonservatismus: Das scheint das Geheimnis des Erfolgs von Metal zu
sein. Daran knüpft auch das Magazin Deaf Forever an. Zwar wurde es erst
vorletztes Jahr gegründet, geht aber nach einem zu diesem Befund passenden
Rezept vor.
Fast alle großen Musikzeitschriften haben inzwischen einen potenten Verlag
im Rücken, Kühnemund dagegen gibt seine Zeitschrift noch selbst heraus,
„110 Prozent Independent“ steht auf dem Cover. Außerdem setzt das Magazin
fast ausschließlich auf Print, die Erfindung des Internets scheint sich bei
den Blattmachern noch nicht so richtig herumgesprochen zu haben. Online
gibt es ein Leserforum und sonst nichts.
Überall Hypes, Digitalisierung, noch mehr Quatsch und Lady Gaga, aber nicht
bei Deaf Forever, nicht im Metal, und irgendwie fahren beide damit gar
nicht schlecht. Seine Zeitschrift stehe, so Kühnemund, „sehr gut“ da, das
können heutzutage nicht mehr viele Musikzeitschriftenmacher von ihrem
Produkt behaupten. Dabei hatte auch der Metal seine Krisen.
Er wurde in den Achtzigern schnell groß, differenzierte sich aus in
unzählige Subgenres von Thrash bis Death, dann veränderte der Erfolg von
Metallica alles, Metal wurde riesig, bis Kurt Cobain und die Grungewelle
ihm eine Identitätskrise bescherten. Für echte und ehrliche Musik waren
plötzlich die Alternative-Rocker mit ihren fettigen Haaren zuständig und
nicht mehr die Metaller, die längst Marionetten von MTV zu sein schienen.
Aber Metal hat diese Krise einfach ausgesessen. Grunge war am Ende auch nur
eine Welle, und Kurt Cobain ist tot. Metal nicht. Die Tickets für das
Metal-Festival in Wacken, das weltweit größte seiner Art, waren im letzten
Jahr innerhalb von zwölf Stunden ausverkauft. Alle 80.000.
## Tradition zählt noch
Von „Retromania“ spricht der englische Musikjournalist Simon Reynolds
angesichts seines Befunds, dass dem Pop vor lauter Vergangenheitsverklärung
immer stärker der Blick auf die Zukunft abhandenkommt. Derartiges Hadern
gibt es im Metal nicht. Um musikalischen Fortschritt geht es hier – mal
abgesehen von so mancher musikalischen Kuriosität im Bereich des Black
Metal – im Großen und Ganzen schon lange nicht mehr.
Die breit ausgetretenen Pfade der Altvorderen werden einfach immer und
immer wieder neu durchlatscht. Tradition zählt hier echt noch was, Metal
ist erhobenen Hauptes Retrokultur, und auch im Deaf Forever geht es viel um
alte Klassiker, Plattensammler erzählen von ihrem Hobby, und dem Blatt wird
dann schon mal ein Poster mit dem Covermotiv einer steinalten Platte von
Blue Oyster Cult beigelegt.
Der bestimmende Metal-Trend aktuell ist somit auch nicht von ungefähr eine
Stilrichtung, die man der Einfachheit gleich „Retrorock“ oder „Vintageroc…
taufte und in dem schwedische Bands wie Graveyard und Blues Pills, aber
auch Kadavar aus Berlin tonangebend sind.
Dieser Retrorock ist reine Nostalgie. Es geht darum, einfach so zu tun, als
wäre die Zeit nicht im goldenen Zeitalter des Metal, den Achtzigern, stehen
geblieben, sondern noch ein paar Jahre vorher, was Metal-Fans das wohlige
Gefühl vermittelt, dass das Beste noch vor einem liegt. Man tut so –
beinahe wie Rollenspieler auf dem Mittelaltermarkt –, als lebte man wieder
in einer eigentlich längst untergegangenen Welt.
Vergleichbar ist das mit dem Trend der historischen Aufführungspraxis in
der klassischen Musikszene, wo man sich möglichst detailgetreu in die Zeit
Bachs oder Mozarts zurückzuversetzen versucht. Im Retrorock spielt man auf
authentischen Instrumenten aus damaliger Zeit und benutzt alte Verstärker,
trägt entsprechende Flohmarktklamotten und langes Haar. Alles ist hier
vintage und analog, und natürlich verkauft man die meisten Platten auf
Vinyl. Metal-Labels, das sagt auch Christoph Lindemann, Sänger von Kadavar,
im Gespräch, seien deswegen daran interessiert, den Retrorocktrend weiter
zu befeuern. Hier ist die Welt aus Sicht der Musikindustrie eben noch in
Ordnung.
„Retrorock ist ein Gegenentwurf zur heutigen Plastikwelt“, erklärt Götz
Kühnemund. Das ist er bestimmt, ganz sicher ist er aber auch gleichzeitig
im Sinne einer außergewöhnlichen dialektischen Wendung eine Erfindung genau
dieser Plastikwelt, um einfach wieder ganz wie früher so richtig viele
Platten zu verkaufen.
26 Jan 2016
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Heavy Metal
Klassische Musik
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