# taz.de -- Neues Album von Metallica: Es gibt Hoffnung | |
> Vor der Apokalypse ist nach der Apokalypse: Metallica ziehen auf | |
> „Hardwired …To Self-Destruct“ noch mal alle Register. | |
Bild: Metallica beim Global City Festival im Herbst 2016 in New York City | |
Man muss kein Prophet der schwermetallischen Religion sein, um voraussagen | |
zu können, dass „Hardwired . . . To Self-Destruct“, das erste vollgültige | |
Studio-Album von Metallica seit acht Jahren, von Rock Hard nicht zur | |
„Arschbombe des Monats“ erklärt werden wird. Das flutscht schon. Die | |
Spartenmagazine heben die kalifornische Band an die Spitze ihrer | |
Kritikercharts, Titelstorys sind ihnen sowieso sicher – und die hartnackige | |
Szene wird ihnen zu Füßen liegen. Wenn Metallica nicht Platin abgreift, | |
fließen dicke Kullertränen, zuallererst beim nimmersatten Ehrgeizling Lars | |
Ulrich. | |
Die Jahre der großen Verirrung, in denen sie sich zunächst mit „Load“ und | |
„Reload“ als AOR-Truppe, später mit „St. Anger“ als Garagenpunks und n… | |
später als Kunstkonkubinen von Lou Reed („Lulu“) neu erfinden wollten, sind | |
unmissverständlich vorbei. Der Vorgänger „Death Magnetic“ hat sie wieder | |
auf die Spur gesetzt, und die führte direkt in die eigene Geschichte. Das | |
Album war ein Kotau vor der Orthodoxie und dabei gar nicht übel – ein | |
Paradebeispiel gelungener Traditionspflege, eine liebevolle Hommage an die | |
althergebrachte Kunst der Eisenverbiegerei, wie sie in den Mittachtzigern | |
gepflegt wurde. Lars Ulrich hatte sich sogar von seiner geliebten | |
Mülltonnensnare getrennt, die wohl so etwas wie street credibility | |
vorgaukeln sollte. Glaubte ihm ja doch keiner. Wir Altmetaller jedenfalls | |
hatten nur darauf gewartet, ließen wieder einmal fünfe gerade sein und | |
nahmen sie mit offenen Armen auf. | |
Dass Metallica nun ein kleines bisschen wie ihre eigenen Epigonen klangen, | |
geschenkt – alles war besser als „Lulu“. Die darauffolgenden Versuche, das | |
klassische Werk zu vitrinieren, erst jüngst mit weihevollen, geradezu | |
großkotzig aufgemotzten „Deluxe Editions“ von „Kill ’Em All“ und „… | |
Lightning“, setzten den eingeschlagenen Weg fort. So war von vornherein | |
klar, was einem bei „Hardwired . . . To Self-Destruct“ erwarten würde, | |
zumal alle Beteiligten vorher beteuert hatten, man werde nicht | |
herumexperimentieren. Aufatmen allenthalben. | |
Die Band zeigt also noch einmal, wo sie herkommt. Aber während bei „Death | |
Magnetic“ der Rekurs auf die Achtziger in erster Linie Fanschar-intern | |
Relevanz beanspruchen konnte, koinzidiert er jetzt mit einer Zeitstimmung, | |
zumindest in der westlichen Welt, so dass man Metallica ohne große | |
Klimmzüge zur Band der Stunde und „Hardwired . . . To Self-Destruct“ zur | |
passenden Tonspur der aktuellen Zeitläufte erklären könnte. | |
Wenn sich in Politik und Gesellschaft, in Bad und WC der | |
80er-Jahre-Katastrophismus zurückmeldet, wenn also alles den Bach | |
runterzugehen scheint, dann ist Gitarrist und Sänger James Hetfield immer | |
noch der richtige Mann, der einem diesen Befund glaubwürdig ins Gesicht zu | |
bellen vermag. Und das macht er auch gleich auf dem agil loshoppelnden | |
Auftaktsong „Hardwired“, einem ganz alten, ganz flinken Thrash-Hasen. „In | |
the name of desperation / In the name of wretched pain / In the name of all | |
creation / Gone insane / We’re so fucked / Shit outta luck / Hardwired to | |
self-destruct“. | |
## Ab ins Mythologische | |
In „Atlas, Rise“ überführt er diese Zeitdiagnose ins Mythologische. Atlas, | |
der alte Schwerathlet, wird niedergedrückt von dem unerträglichen Gewicht | |
dieser Welt, er verzagt, gerät ins Straucheln, schlägt lang hin. Kein | |
Wunder, dass dabei einiges durcheinandergerät auf der Erde. Aber da kommt | |
ja auch schon Hetfield um die Ecke und will helfen. „How does it feel on | |
your own? / Bound by the world all alone“. Aber der Titan kann nicht nur | |
auf des Shouters Mitgefühl zählen, er bekommt auch moralische Unterstützung | |
angeboten. „All you bear / All you carry / All you bear / Place it right | |
on, right on me.“ Eine Art symbolische Therapie, an dessen Ende die | |
eindringliche Aufforderung steht, jetzt aber verdammt noch mal wieder an | |
die Arbeit zu gehen. „Atlas, rise!“ In der Rolle des Motivationspsychologen | |
hat der Künstler für Hetfield noch ein Wörtchen mitzureden. | |
Wen das lyrisch nicht so überzeugt, darf sich an einer | |
sechseinhalbminütigen Suite erfreuen, die noch einmal alles auffährt, was | |
die US-Band zu ihren besten Zeiten musikalisch zu bieten hatte: das | |
intrikate, den Takt in immer kleinere Teile verhackstückende Riffing, das | |
die symbiotische Beziehung von Rhythmusgitarre und Drums bezeugt; die | |
kompakten, melodisch ineinander geschobenen, sich zu symphonischen Wänden | |
auftürmenden, ebenso urwüchsigen wie artifiziellen Akkord-Formationen; | |
diese panisch gehetzte, an sich selbst irr werdende Leadgitarre, die sich | |
nach ihrem Veitstanz in langen, schwebenden, berückend schönen | |
Harmoniefolgen verliert; und eine Stimme, die zwischen Leidenspathos und | |
atavistischem Furor vermittelnd eine hübsche Pophookline mit einer | |
Intensität befeuert, als ginge es hier eben nicht nur um ein bisschen | |
Musik, sondern um etwas wirklich Existenzielles. | |
Dem üblen Zustand dieser Welt zum Trotz will Hetfield Hopfen und Malz noch | |
nicht verloren geben. Das demonstriert er auch mit dem fulminanten | |
Midtempo-Kartoffelstampfer „Now That We’re Dead“. Hierbei verleiht Hetfie… | |
der Hoffnung Ausdruck, dass vielleicht gerade in Anbetracht der düsteren | |
Zeiten das Licht am Ende des Tunnels nur umso heller scheint. „When all is | |
pain, may it be / It’s all we’ve ever known / When flame consumes, may it | |
be / It warms our dying bones / When loss has won, may it be / It’s you I’m | |
madly fighting for / When kingdom comes, may it be / We walk right through | |
that open door.“ Und man kann nur inständig für Hetfield beten, dass er | |
hier nicht die alte Tante Religion meint, die ihm den Ausweg aus der Misere | |
weist. | |
Aber auch bei diesem Song sind es nicht nur die am Pathos eines Walt | |
Whitman geschulten Worte, mit eisernem Meißel in den Fels geschlagen, die | |
einen enormen Effekt machen. Auch instrumental hat das Stück einiges zu | |
bieten – einen Song im Song, der nach Kirk Hammetts probatem | |
Winkelschleifersolo mit ordentlich Funkenflug ein opulentes Riffgelage | |
darbietet, in dem die beiden Zecher sich immer wieder zuprosten und | |
schließlich unterhaken, um Seite an Seite ins Licht zu marschieren. | |
## Warnung vor der Apokalypse | |
Songs wie diese oder auch die allerletzte Raketenstufe „Spit Out the Bone“, | |
die vor der maschinellen Apokalypse warnt und musikalisch vorführt, wie | |
schnell und mit welcher klinischen Präzision das gehen kann, wären auch auf | |
den kanonischen Metallica-Alben nicht negativ aufgefallen. Umso | |
erstaunlicher und ärgerlicher, dass die Band sich immer wieder mit weniger | |
zufrieden gibt. Weil man nun mal den Längsten hat und sich das bitteschön | |
auch in der Spieldauer manifestieren soll, wird jede Note rausgehauen. | |
Produzent Greg Fidelman, eher Toningenieur als Pferdeflüsterer, der Typ an | |
den Reglern, zumindest kein Gegenspieler auf Augenhöhe wie zuletzt Rick | |
Rubin, war ebenfalls nicht willens oder nicht in der Lage, die Spreu vom | |
Weizen zu trennen. Und so enthält dieses mit zwölf Songs und 77 Minuten | |
Spieldauer lange, viel zu lange Doppelalbum auch eine knappe halbe Stunde | |
Streichmasse. Dazu gehört ausgerechnet die mordslangweilige Lemmy-Hommage | |
„Murder One“. Dieser uninspirierte Stapel von Akkordbauklötzen fällt beim | |
ersten Grabeshuster des Metal-Patriarchen in sich zusammen. | |
Wie man einer Band die Ehre erweist, hat Lemmy einst unmissverständlich | |
vorgemacht – mit seiner kongenialen Liebeserklärung „R.A.M.O.N.E.S“. Die | |
war sogar besser als das Original. Das hier ist bloß üble Nachrede und hat | |
abgesehen von ein paar schlecht geklauten Phrasen mit seiner Heiligkeit gar | |
nichts zu tun. | |
17 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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