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# taz.de -- Regisseur über Oscar-Einreichung: „Krankenhäuser voller Infekti…
> Die Doku „Kollektiv – Korruption tötet“ von Alexander Nanau schildert
> Missstände im rumänischen Gesundheitswesen. Sie ist Rumäniens
> Oscar-Beitrag.
Bild: Die Investigativjournalist*innen Cătălin Tolontan und Mirela Neag bei d…
Der Regisseur Alexander Nanau begleitete für seinen Film „Kollektiv –
Korruption tötet“ eine Gruppe investigativer Journalist*innen beim
Aufdecken zahlreicher Missstände in Politik und Gesundheitswesen im
Anschluss an die Bukarester Brandkatastrophe von 2015. Damals waren durch
ein Feuer im Nachtclub Colectiv 64 Menschen gestorben. Der Film ist
Rumäniens Einreichung für den Oscar und einer der Favoriten auf den
Europäischen Filmpreis.
taz: Herr Nanau, was bewog Sie im Jahr 2015, nach der Bukarester
Brandkatastrophe, zur Kamera zu greifen?
Alexander Nanau: Ich wollte den Lügen nachgehen, die uns die Regierung
zusammen mit den Ärzten und Krankenhausdirektoren auftischte. Denn es hieß
von Anfang an, dass das rumänische Gesundheitssystem der Sache gewachsen
ist und die Brandopfer gerettet werden können, was in vielen Fällen eben
nicht der Fall war. Da wurden Menschenrechte mit Füßen getreten, das wollte
ich beleuchten. Gleichzeitig kam es nach dem Feuer zu großen
Demonstrationen gegen Korruption, denn der Club erfüllte keinerlei
Sicherheitsauflagen und es gab keine Notausgänge. Mich interessierte, was
sich da in dieser noch [1][jungen Demokratie Rumänien endlich bezüglich
eines möglichen Generationswechsels] in Bewegung setzte.
Zunächst einmal nahmen Sie allerdings Kontakt zu einigen
Investigativjournalist*innen auf?
Die gesamte Presse schien in den ersten Tagen nach der Katastrophe zu
versagen und glaubte diese Lügen. Nur diese Gruppe um den Journalisten
Cătălin Tolontan bei der Gazeta Sporturilor fing an, diese Falschaussagen
der Politiker und Ärzte bloßzustellen.
Gewährte man Ihnen auf Anhieb Zugang?
Erst einmal waren Tolontan und seine Kolleg*innen total dagegen, dass wir
sie mit der Kamera begleiten. Sie bestanden darauf, dass die Redaktion ein
geschützter Raum bleibt und die Informationen, die da zirkulieren, ebenso
sicher sind wie ihre Quellen. Erst als sie gesehen haben, welche Arbeit
unser eigenes Entwicklungs- und Rechercheteam leistete, zu dem ja auch
Journalisten gehörten, merkten sie, wie ernst wir es meinten.
Welche konkreten Vereinbarungen gab es bezüglich der Gespräche mit
Whistleblower*innen?
Wir bekamen rechtzeitig Bescheid, wenn jemand reinkam, und hatten dann fünf
Minuten Zeit. „Wenn sie euch vertrauen und sich filmen lassen, dann dürft
ihr dabei sein, ansonsten müsst ihr gehen“ – das war die klare Ansage. Wir
haben dann immer deutlich kommuniziert, worum es uns geht und dass wir
nichts publik machen, bevor der Film fertig ist.
Was sich vor Ihren Augen aufgetan hat, war ein erschütterndes Netz aus
Korruption, Lügen und Missständen im rumänischen Gesundheitswesen. Hatten
Sie mit etwas Derartigem gerechnet?
Nein, so schlimm hatte ich es nicht erwartet. Natürlich hat [2][Rumänien
als ehemaliges kommunistisches Land eine gewisse Tradition der Korruption].
Aber was Tolontan und seine Leute aufgedeckt haben und was alles in diesem
Zusammenhang passiert ist, damit konnte keiner rechnen. Wir waren alle
baff. Und die Dinge passierten mit einer Geschwindigkeit, dass ich
produktionsmäßig wirklich schauen musste, wie wir überhaupt einfangen
können, was wichtig ist, und wie ich das in Kino übersetzen kann. Mann
musste so schnell ja überhaupt erst einmal kapieren, was da wirklich vor
sich geht. Allein schon die Tatsache, dass eine Firma Desinfektionsmittel
streckt, ist ja schon kaum zu begreifen. Und das war nur die erste von
vielen Enthüllungen.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Dass Korruption auf diesem unmenschlichen Niveau passiert, das hat mich
erschüttert. Vor allem seitens der Ärzte. Dass Ärzte sich neben Politiker
stellen und lügen. Dass sie sagen, sie können diese Menschen behandeln,
obwohl sie wissen, dass ihre Krankenhäuser voller tödlicher Infektionen
sind und diese Patienten keine Chance haben. Das war schon ein Schock.
Selbst wenn Brandopfer auf internationalen Druck schließlich ausgeflogen
und zum Beispiel in Deutschland behandelt wurden, haben die rumänischen
Ärzte keine Informationen über die bakteriellen Infektionen mitgeschickt,
um keinen Einblick in die Zustände zu gewähren. Das hat zum Tod vieler
dieser Menschen geführt.
Woher kommen diese Auswüchse?
Das komplette rumänische Gesundheitssystem müsste von Grund auf erneuert
werden. Denn es geht schon in der Medizinschule los, wo man die Professoren
bezahlen muss, und geht weiter, wenn man dafür bezahlen muss, die
gewünschte Stelle in einem Krankenhaus zu bekommen. Das gesamte System ist
auf Korruption aufgebaut, nicht auf medizinischem Fortschritt oder
wissenschaftlichen Standards. Es liegt nach wie vor in den Händen von alten
Säcken, die immer noch aus der Zeit Ceaușescus stammen oder zumindest sehr
schnell nach der Wende Karriere gemacht haben. Die wird man nie dazu
bringen, anders zu handeln. Das sind die Leute, die nach der Katastrophe im
Colectiv auch beschlossen haben, dass keine Opfer ausgeflogen werden. Denn:
Das Geld wird schön hier ausgegeben.
Wer sich diesen Methoden entgegenstellt, lebt nicht ungefährlich, wie Sie
im Film zeigen. Da werden den Journalist*innen recht eindeutig Drohungen
zugetragen. Haben Sie selbst so etwas erlebt?
Das nicht. Aber ich hatte meine eigenen Quellen beim Geheimdienst und
wusste, dass mein Telefon abgehört wird. Und mir wurde irgendwann klar,
dass wir verfolgt werden. Das habe ich allerdings nie als Bedrohung an sich
gesehen, sondern wusste, dass die einfach sehen wollen, ob ich, da ich so
nah dran bin am gefürchtetsten Journalisten des Landes, selbst
Informationen habe. Wir hatten höchstens Angst, dass vielleicht bei uns im
Studio eingebrochen wird und die Festplatten mitgenommen werden. Deswegen
waren wir sehr vorsichtig und haben jeden Abend das Material auf
unterschiedlichste Weise gespeichert und auch außer Landes gebracht.
Ein weiterer Protagonist in „Kollektiv – Korruption tötet“ ist der junge
Gesundheitsminister Vlad Voiculescu, der zu der nach dem Colectiv-Brand
einberufenen Übergangsregierung gehörte.
Unser Glück war, dass Vlad eben kein Politiker, sondern wie alle in diesem
Kabinett parteilos war und von außen geholt wurde. Er hatte sich ein junges
Team zusammengestellt, alles Freunde aus verschiedensten Ländern, allesamt
Experten, entweder aus dem Journalismus oder der Medizin. Für ihn war
Transparenz eines der wichtigsten Anliegen. Es gab für ihn keinen guten
Grund, dass das Gesundheitsministerium Geheimnisse vor der Bevölkerung hat,
jeder Bürger sollte das Recht haben, genau zu wissen, welche Entscheidungen
da getroffen werden. Seine einzige Bedingung war, dass ich ohne Team,
sondern ganz allein komme. Für mich war klar, dass wir niemanden ungefragt
filmen, der ins Ministerium kommt. Aber dafür durften auch Vlad und seine
Leute mir nie sagen, dass ich die Kamera ausmachen solle, damit niemand auf
die Idee kommt, man könne mir vorschreiben, was ich filme und was nicht.
Ihr Film endet mit der Parlamentswahl 2016, bei der die schon vor der
Brandkatastrophe regierenden Sozialdemokraten an die Macht zurückkehren und
die Übergangsregierung ablösen. Das wirkt wie ein bitteres, hoffnungsloses
Finale.
Für mich ist die Geschichte, die ich in „Kollektiv – Korruption tötet“
erzähle, eine sehr positive. Ich will nicht bestreiten, dass wir in extrem
polarisierten Gesellschaften leben, die immer mehr von Populisten
übernommen werden. Aber wir sehen ja die engagierten Protagonisten im Film.
Und wir sehen, wie im Grunde ein einziger Mensch, nämlich die Ärztin, die
der erste Whistleblower ist, wirklich etwas bewegen kann.
Hat sich denn seither etwas verändert?
Die rumänische Zivilgesellschaft ist definitiv heute eine andere. Es gibt
neue, reformatorische Parteien aus jungen Leuten. Und um den Politikern zu
beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, in kurzer Zeit ein gutes
Krankenhaus bauen zu können, wurde mithilfe von privaten Spenden innerhalb
von zwei Jahren ein erstklassiges Krankenhaus für Krebskranke gebaut. Sogar
die [3][Band Metallica] hat eine Viertelmillion Euro beigetragen. Die
politische Klasse lügt aber natürlich weiter, dass sich die Balken biegen,
gerade jetzt im Vorfeld der nächsten Wahl am 6. Dezember.
Wie ist denn aktuell, gerade im Zuge der bevorstehenden Wahlen, die
Situation der Presse in Rumänien? Kämpft Cătălin Tolontan immer noch allein
auf weiter Flur?
Nein, da hat sich auch einiges getan. Es gibt inzwischen wunderbare
Plattformen von unabhängigen Journalisten, die enorm investigativ sind und
sehr viel Korruption ans Tageslicht bringen. Außerdem wurde Tolontans
Zeitung Gazeta Sporturilor inzwischen vom Schweizer Ringier-Verlag
aufgekauft und dort in die größte rumänische Tageszeitung Libertatea
integriert. Er hat inzwischen mehrere Investigativ-Teams aufgebaut, die in
den verschiedensten Feldern arbeiten. Im Moment sind diese Journalisten in
meinen Augen die stärkste Oppositionskraft, während die Fernsehsender –
auch die privaten – sozusagen stillgestellt wurden mit Covid-Hilfen. Von
denen jedenfalls kommt keine Kritik an der Regierung. Und wer in Rumänien
fernschaut, dürfte dort auch nicht ein einziges Mal gehört haben, dass
„Kollektiv – Korruption tötet“ der rumänische Oscar-Kandidat ist.
3 Dec 2020
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## AUTOREN
Patrick Heidmann
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