# taz.de -- Absurder Thriller „La Gomera“ im Kino: Korrupt sind nahezu alle | |
> In Corneliu Porumboius gesellschaftskritischem Thriller „La Gomera“ | |
> lernen Kriminelle zu pfeifen. Die Handlung springt fröhlich durch die | |
> Zeit. | |
Bild: Verhandlungen nach Mafia-Art: Cristi (Vlad Ivanov) in Bedrängnis auf La … | |
Corneliu Porumboius Film „La Gomera“ verwirrt zunächst: Zwei Männer am | |
Fährhafen von La Gomera. Sie wechseln ein paar Sätze, ein Handy wird | |
ausgeschaltet. Dann fahren sie mit einem Jeep zu einer Verabredung ins | |
Hinterland. | |
Die Verabredung der Männer verweist auf die Vorgeschichte der Handlung, im | |
Zentrum der Vorgeschichte steht eine Frau: Gilda. Die sitzt in der nächsten | |
Szene im Gegenlicht rauchend in einer Art Ferienhaus auf einem Sessel. Sie | |
zeigt Cristi, er war einer der beiden Männer vom Hafen und ist rumänischer | |
Polizist, sein Zimmer. Gilda öffnet die Tür zur Terrasse mit Blick auf | |
Palmen, Pool und Meer. Er solle vergessen, was in Bukarest passiert sei. | |
Rückblende. Kalt, grau, Bukarest. Gildas Haar weht pittoresk im Wind. | |
Der rumänische Regisseur Corneliu Porumboiu beginnt die Erzählung seines | |
neuesten Films „La Gomera“ etwa in der Mitte der Handlung. Eine | |
Frauenstimme informiert per Anruf die Polizei: Der Matratzenfabrikant Zsolt | |
wäscht Geld aus dem Drogenhandel. Die Polizei überwacht ihn. Eine | |
ehrgeizige Staatsanwältin beschließt, Kokain in der Fabrik zu platzieren, | |
um Zsolt festnehmen zu können. Der Plan führt ins Nichts, außerdem gibt es | |
kurz vor der Verhaftung einen Toten in der Fabrik. | |
Ein Pick-up verlässt mit Matratzen auf der Ladefläche, in denen sich das | |
Geld befindet, gerade rechtzeitig die Fabrik. Zsolt wurde gewarnt. Die | |
Lücke heißt Cristi: Der Polizist und der Geldwäscher kennen sich. Die | |
Polizei beginnt, Cristi zu überwachen. Gilda überzeugt ihn dennoch, ihr zu | |
helfen, Zsolt zu befreien. Der Plan führt nach La Gomera, wo Cristi El | |
Silbo lernen soll, die traditionelle Pfeifsprache der Insel, um von der | |
Polizei ungestört kommunizieren zu können. | |
## Der Aufbau ist ausgesprochen effizient | |
Porumboiu greift ausgehend vom Anfang im Fährhafen von La Gomera bis zur | |
Hälfte des Films immer wieder in der Zeit zurück, entfaltet die Handlung in | |
Kapiteln, die die einzelnen Akteure vorstellen: Gilda, die Pfeifsprache, | |
Zsolt und so weiter. Erst als alle Elemente zusammengeführt wurden und | |
Cristi nach Rumänien zurückkehrt, geht die Handlung weiter voran. Das | |
Erstaunliche ist, dass sich dieser Aufbau im weiteren Verlauf als | |
ausgesprochen effizient erweist. Sobald die Handlung linear verläuft, fällt | |
einem auf, wie viele Informationen man im ersten Teil bekommen hat. | |
Cristi spielt mit offenen Karten, überzeugt mit der Versprechung des Geldes | |
die Staatsanwältin, ihm zu helfen, Zsolt zu befreien. Korrupt sind in dem | |
Film nahezu alle, nur Cristis Vater, Kader der kommunistischen Partei in | |
Rumänien, war, wie Cristis Mutter betont, unbestechlich. „La Gomera“ zeigt | |
Cristi als Kriminalpolizisten, dem das Geschick für große Kriminalität | |
abgeht, den es jedoch in eine Handlung verschlägt, die eine Nummer zu groß | |
für ihn ist. | |
In dieser Lage hilft ihm seine Schweigsamkeit. Doch während die anderen | |
schweigen, um ihre Absichten nicht offenzulegen, dient Cristis Schweigen | |
keinem Zweck. | |
## Grundstruktur des Kriminalromans genutzt | |
Fast alle Details, die in dem Film zunächst als Zierwerk erscheinen, fügen | |
sich im Nachhinein schlüssig in die Handlung ein. Porumboiu macht sich in | |
dem Film die Grundstruktur des Kriminalromans zunutze: das Spiel mit dem | |
Offenlegen und Zurückhalten von Informationen. Indem er die Handlung zu | |
Beginn des Films in Einzelteile zerlegt, kann er sie am Ende auf | |
überraschende Weise zusammenfügen, ohne ein Feuerwerk an Offenbarungen zu | |
brauchen, die Kriminalromane am Ende so oft unglaubwürdig erscheinen | |
lassen. | |
Porumboiu zeigt in „La Gomera“ eine Gesellschaft, in der niemand glaubt, | |
mit der Arbeit, die er verrichtet, auf Dauer über die Runden zu kommen. Die | |
Einzigen, die mit ihrer Erwerbsarbeit im Reinen sind, sind die | |
Drogenhändler. Cristi bessert sein Gehalt durch Korruption auf, die | |
Staatsanwältin setzt zunächst auf eine Karriere, zögert jedoch keine | |
Sekunde, ebenfalls auf das schnelle Geld aus der Korruption einzuschwenken. | |
Porumboiu begann seine Regielaufbahn 2006 mit der absurden Komödie „A fost | |
sau n-a fost?“ (12:08 East of Bucharest), in der ein Dorf darüber streitet, | |
ob die Revolution in Rumänien nicht eigentlich in dem kleinen Ort begonnen | |
habe. Der Wettstreit um das symbolische Kapital, Ursprungsort der | |
politischen Umwälzung von 1989 zu sein, ist in „La Gomera“ dem Wettstreit | |
um das Geld gewichen. | |
## Sinn für schrägen Humor | |
Als die rumänische Neue Welle Mitte der 2000er Jahre nach der Goldenen | |
Palme in Cannes für Cristian Mungius „4 luni, 3 săptămâni și 2 zile“ (… | |
Monate, 3 Wochen und 2 Tage“) in aller Munde war, war Corneliu Porumboiu | |
mit dem Humor seiner Filme ein Ausreißer. Im Auseinanderfließen der Neuen | |
Welle in ein Meer eigenständiger Regiepositionen ist Porumboiu neben Radu | |
Jude und Cristi Puiu heute sichtbarer als Mungiu, der gemeinsam mit seiner | |
Frau Anca unterdessen vor allem als Produzent tätig ist. | |
Wie Porumboiu wechselt auch Radu Jude zwischen Spiel- und Dokumentarfilmen. | |
Doch während Jude sich in den letzten Jahren offensiv der rumänischen | |
Geschichte und ihrer blinden Flecken wie dem Antisemitismus und dem | |
Faschismus Ion Antonescus annahm, durchzieht Porumboius Filme immer wieder | |
die Neigung ins Absurde. Die Absurdität erweist sich in Porumboius Filmen | |
jedoch verlässlich als präziser Blick um die Ecke auf die Gegenwart. | |
In dem Dokumentarfilm „Al doilea joc“ (Das zweite Spiel, 2014) unterhielt | |
sich der Regisseur zu Bildern eines Fußballspiels von 1988 mit seinem | |
Vater, der damals Schiedsrichter der Partie war. Im Gespräch werden die | |
Umbrüche der Zeit dazwischen reflektiert. [1][Der Spielfilm „Comoara“ (Der | |
Schatz, 2015)] weist einige Ähnlichkeiten mit „La Gomera“ auf. Zwei | |
Nachbarn begeben sich auf Schatzsuche. Wie in seinem neuesten Film | |
arbeitete Porumboiu auch bei „Comoara“ mit dem Bildgestalter Tudor Mircea | |
zusammen. | |
2018 lief der Dokumentarfilm „Fotbal Infinit“ (Infinite Football) im Forum | |
der Berlinale, der das unermüdliche Bemühen eines rumänischen Beamten | |
zeigt, das Fußballspiel zu revolutionieren, um mehr Ballbewegung zu | |
erzeugen und weniger Verletzungen zu riskieren. | |
## Die Außenwelt bricht in die Handlung ein | |
Auch „La Gomera“, der seine Premiere letztes Jahr im Wettbewerb des | |
Filmfestivals von Cannes feierte, ist trotz der Krimihandlung mit Humor | |
durchwoben. Er findet sich in dem Film vor allem dann, wenn die Außenwelt | |
mit ihrer Kontingenz in die Handlung einbricht. Die Jagd nach dem Geld | |
droht im dauerimprovisierenden Reagieren auf Veränderungen immer wieder in | |
eine Farce zu kippen. | |
Aber auch kleine Hindernisse geraten schnell außer Kontrolle: So spendet | |
Cristis Mutter eine Tüte voller Geld, mit dem ihr Sohn über die Jahre | |
bestochen wurde, einem Priester. Statt weiter nachzufragen, renoviert der | |
mit dem Geld lieber die Kirche. Als Cristi nachfragt, wiegelt er ab und | |
drückt ihm zum Dank eine Ikone in die Hand. Auch in anderen Details schlägt | |
sich Porumboius Drang zur Komödie nieder: Gerade als die Drogenhändler | |
Cristi für seine Rückkehr nach Rumänien präparieren, klopft ein | |
US-amerikanischer Regisseur auf Suche nach Drehorten an der Tür und wird | |
umgehend umgebracht. | |
Porumboius „La Gomera“ ist eine kluge Komödie über europäische | |
Gesellschaften, nachdem diese vor allem an den Rändern Europas in der | |
Finanzkrise gelernt haben, wie prekär ihr Reichtum geworden ist. Porumboiu | |
erweist sich mit seinem neuesten Film einmal mehr als einer der | |
interessantesten Regisseure für Komödien, einem Genre, das sich im | |
europäischen Film in der halbwegs anspruchsvollen Spielart keiner großen | |
Beliebtheit erfreut. Man sollte „La Gomera“ gebührend genießen. | |
13 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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