| # taz.de -- Zum 25. Todestag von Rory Gallagher: Schweiß und Passion | |
| > Er liebte den Blues, aber der Rock war nur eine halbe Umdrehung des | |
| > Lautstärkereglers entfernt. Erinnerungen an Rory Gallagher. | |
| Bild: Rory Gallagher, re., 1984 während eines Konzerts in Haiger-Allendorf | |
| Der legendäre New Yorker Musikkritiker Lester Bangs konnte mit | |
| spieltechnischer Virtuosität von Rockbands nie viel anfangen. Er ließ keine | |
| Chance aus, um über das britische Bluesrocktrio Cream zu lästern. | |
| Seltsamerweise hatte Bangs ihre Nachfolger Taste sofort ins Herz | |
| geschlossen. „Everybody else is just woodshedding!“ Alles andere ist | |
| Kinderkram, aber Taste seien mehr als nur ein weiteres „heavy voltmeter | |
| trio“, sie zelebrierten „progressive blues“. | |
| Taste klingen zerzaust und räudig wie Straßenköter, die Songstrukturen sind | |
| ornamentlos schlicht. So bieten sie genügend Raum für Rory Gallaghers in | |
| Schweiß und Passion ertrinkende Gitarrensoli. | |
| „Ich wäre nie in der Lage, mich zu wiederholen, weil es bei mir kein festes | |
| Konzept gibt“, hat er mal gesagt. Seine Mitstreiter sind alles andere als | |
| glücklich darüber. Bald nach dem elektrisierenden Auftritt beim | |
| Isle-of-Wight-Festival 1970 geben Taste ihre Trennung bekannt. Gallagher | |
| braucht keine Band, höchstens Adlaten | |
| Er macht weiter, wie er bei Taste aufgehört hat – eklektisch. Er bleibt dem | |
| Blues zwar stets treu, aber nie konsequent. Sowohl auf den Soloalben als | |
| auch auf der Bühne ist der Rocker stets in Reichweite, manchmal nur eine | |
| halbe Umdrehung des Lautstärkereglers entfernt. | |
| ## Seine alte 61er-Signature-Strat | |
| Er ist ein trick- und fintenreicher Folkbluesman, der mit seiner | |
| Akustischen jede schwarze Spelunke in den Südstaaten abgekocht hätte, aber | |
| wirklich zum Abheben bringt ihn erst seine alte 61er-Signature-Strat mit | |
| der Fertigungsnummer 64351. | |
| Ihr Ton ist mindestens so unverwechselbar wie seine Stimme. Schon bei Taste | |
| ist sie so zugerichtet, wie sie dann ins kollektive Gedächtnis eingeht: | |
| durchgenudelt, zerdengelt, die Sunburst-Lackierung bis auf das Holz | |
| runtergerockt. | |
| Mitte der Siebziger hielt sich hartnäckig das Gerücht, Gallagher werde | |
| Mick Taylor [1][bei den Stones] ersetzen. Zum Glück ist er dem Pfad des | |
| Geldes nicht gefolgt, denn in diesem festen Bandkorsett hätte er nicht das | |
| machen können, was er wollte. Gitarre spielen. „When was the last time you | |
| heard a guitarist really play guitar?“, steht in jener Zeit Anfang der | |
| 1970er auf seinen Tourplakaten. Eine Frage, die sich nicht mehr stellte, | |
| wenn man eines seiner Konzerte besuchte. | |
| ## Nachdenken über die Gitarre | |
| Gallagher ist flink, liquide, aber noch kein Saiten-Irrwisch der | |
| Überschallklasse. Er nimmt sich schon mal die Zeit, über sein Instrument | |
| nachzudenken, löst dann in aller Seelenruhe die Akkorde in ihre Einzeltöne | |
| auf und besitzt genügend dramaturgisches Gespür, um zu bemerken, wann der | |
| Solospaß ein Ende haben muss. | |
| Dass man so etwas Virtuosität nennen kann – geschenkt. Gallagher schafft | |
| es, auch auf größeren Bühnen seinen Auftritten die Intimität eines Clubgigs | |
| zu verleihen. Entsprechend lässt er die Verstärker-Gigantomanie aus, er | |
| bleibt beim „kleinen, voll aufgedrehten Combo-Amp, der auf dem Stuhl auf | |
| und ab hüpft“. | |
| Mit dem Album „Against the Grain“ von 1975 beginnt seine kompositorisch | |
| reifste und energetischste Phase. Gallagher ist auf der Höhe seiner Kunst, | |
| seine Band ist eingespielt und lockt ihn aus der Reserve. | |
| ## Grenzen überschreiten | |
| Oder vielleicht ist es auch umgekehrt. Bei „Souped-up Ford“ tritt er das | |
| Pedal bis zum Blech durch, und der aufgedrehte Boogie transformiert sich | |
| unter seinen Händen in eine pumpende Hard-Rock-Nummer. Hier hat er Blut | |
| geleckt, denn in der Folge kommt es immer häufiger zu solchen | |
| Grenzüberschreitungen. | |
| Seine Plattenfirma Chrysalis hat nichts dagegen, im Gegenteil, sie | |
| engagiert Deep-Purple-Bassist Roger Glover als Produzenten, und so enthält | |
| das folgende Album „Calling Card“ mit „Moonchild“ und „Secret Agent�… | |
| zwei grandiose Riffer, die von da an obligatorischer Teil im | |
| Live-Repertoire sind. | |
| Auch die Nachfolge-Werke „Photo-Finish“ und „Top Priority“ offerieren | |
| ruppigen Blues-Rock, der in den ekstatischen Momenten immer wieder | |
| Hard-Rock in den Schwitzkasten nimmt. | |
| ## Auftritt in der Rockpalast-Nacht | |
| Spätestens nach seinem Auftritt in der ersten [2][Rockpalast-Nacht] am 23. | |
| Juli 1977 kennt ihn in Deutschland jedes Kind. In dieser Nacht der langen | |
| Soli durfte man einen Künstler bei der Arbeit betrachten, dessen | |
| vielgestaltiges, trickreiches, trotzdem nie manieriertes oder | |
| selbstgefälliges Spiel für ihn selbst eine ewig sprudelnde Quelle der | |
| Freude war. | |
| Gallagher steht während der gesamten 85 Minuten so unter Strom, legt eine | |
| solche spielerische Eloquenz an den Tag, dass man fast erschrocken zur | |
| Kenntnis nimmt, wie er sich hinter der Bühne in den schüchternen, um Worte | |
| ringenden Jungen vom Lande zurückverwandelt. | |
| ## Marode Leber | |
| Am Ende sieht er ein wenig aus wie der fette Frosch, den er im „Bullfrog | |
| Blues“ besingt. Für Eingeweihte kaum überraschend, wird Gallagher 1995 ins | |
| Krankenhaus eingewiesen, um seine marode Leber durch eine frische zu | |
| ersetzen, da ist er gerade mal 47 Jahre alt. Er fängt sich einen Virus ein | |
| und erkrankt an einer Lungenentzündung, von der er sich nicht mehr erholt. | |
| Am 14. Juni stirbt er. | |
| Bis zuletzt war er durch Clubs und kleine Hallen getingelt. Was er an | |
| Geschwindigkeit und Verve eingebüßt hatte, macht er mit Gefühl und | |
| Straßenweisheit wieder wett. Und wenn das nicht reichte, gab es immer noch | |
| die Liebe der ihm zu Füßen liegenden Addicts. | |
| 14 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frank Schäfer | |
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