# taz.de -- Elektronische Musik in Mexiko: Es rauscht und klingt und kracht | |
> Eine Schau in Berlin zeigt die Historie der elektronischen Musik in | |
> Mexiko – und wie sie sowohl Landes- als auch Zeitgeschichte reflektiert. | |
Bild: Unter dem Titel „Fear. Anger. Love“ widmet sich die CTM 2017 Mexiko | |
Es ist ein denkwürdiger Zeitpunkt, um nach Mexiko zu blicken. Vor wenigen | |
Tagen erst ordnete US-Präsident Donald Trump an, eines seiner | |
Wahlversprechen in die Tat umzusetzen: den Bau einer Mauer zwischen den USA | |
und dem südlichen Nachbarland. Für kommenden Dienstag war eigentlich ein | |
Treffen zwischen Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und Trump angesetzt – | |
Peña Nieto cancelte es, weil ihm Trumps Provokationen in Sachen Mauerbau zu | |
weit gingen. Der Nachbar wird für Mexiko zur Bedrohung. Gleichzeitig kämpft | |
das Land mit eigenen Problemen: Korruption, Drogenkartellen, einer erneuten | |
politischen Krise. | |
Beim CTM Festival, dem Berliner Festival für experimentelle und | |
elektronische Musik, richtet man nun in einer Begleitausstellung den Fokus | |
auf das lateinamerikanische Land. Das passt nur zu gut, hat aber eigentlich | |
andere Gründe: Schon seit 2014 ist der mexikanische Klangforscher und | |
Kurator Carlos Prieto Acevedo mit dem CTM verbunden. | |
Damals sprach er in einer Lecture über seine Recherchen zur Geschichte der | |
elektroakustischen wie experimentellen Musik seines Heimatlands. Daraus | |
entstand die Idee zur Ausstellung; das von Kulturinstitutionen und Politik | |
initiierte duale Jahr Mexiko-Deutschland ermöglichte sie. | |
„Critical Constellations of the Audio-Machine in Mexico“, so der Titel der | |
Schau, visualisiert Acevedos Forschungen. Acevedo fächert damit nicht nur | |
Klangkunst chronologisch auf – Sound und Musik sind bei ihm Ausdruck ihrer | |
Zeit und stehen für gesellschaftliche Entwicklungen: „Ich habe | |
herausgefunden, dass ich durch Sound etwas anders lesen kann“, sagt er. | |
„Ich kann damit politische Realitäten und ontologische Dimensionen von | |
Gesellschaften erforschen und Geschichte neu erzählen.“ | |
## Konkrete Wandpoesie | |
Das zu tun, ist der Anspruch der Ausstellung. Acevedo arbeitet mit Sound, | |
aber nicht nur auditiv. Zwar rauscht und klingt und kracht es tatsächlich | |
in allen Räumen des Künstlerquartiers Bethanien, viele Arbeiten bilden den | |
Klang jedoch auch visuell ab. „Pocos cocodrilos locos“ steht da zum | |
Beispiel in großen Buchstaben an der Wand – ein konkretes Gedicht von | |
Mathias Goeritz aus dem Jahr 1967. In einem anderen Raum laufen zwei Videos | |
von Zügen – Sinnbilder für die Industrialisierung und dem damit in Mexiko | |
verbundenen Boom der Eisenbahn. | |
Acevedo benutzt Metaphern, um das Auf und Ab in der Geschichte Mexikos seit | |
Beginn des 20. Jahrhunderts zu beschreiben. Sie stehen für | |
nationalistische, kosmopolitische wie postnationale Tendenzen. | |
Indiofuturismus hat er eine davon genannt. Sie ist beeinflusst von der | |
Arbeit des mexikanischen Musikpädagogen Carlos Chávez, dessen Kompositionen | |
von indigener Musik und starken Rhythmen geprägt sind. | |
Zeitgenössische Positionen erzählen indes von der politischen Realität des | |
Landes. Soundkünstler Mario de Vega präsentiert unter anderem die | |
Dokumentation einer Arbeit aus dem Jahr 2007. Damals inszenierte er im | |
Garten des Museums El Eco in Mexico City eine Explosion, die die Presse | |
zunächst als terroristischen Akt beschrieb. De Vega kam vor Gericht; die | |
Fotografien von der Aktion zu zeigen, verbot man ihm. Hier zeigt er sie nun | |
erstmals – stille Bilder, die im Kopf nachhallen. Das ist, was de Vega | |
interessiert: Wie sich Sound materialisiert, wie er sich ausweitet und dann | |
andere Formen annimmt. | |
## Gegen Zäune hämmern | |
Der Klangkünstler Félix Blume geht dem Ursprung des Klangs auf den Grund. | |
Er hat ein Stück eines metallenen Schutzzauns aus Mexiko nach Berlin | |
transportiert. Im Jahr 2013 war es vor dem Senatsgebäude in Mexico City | |
aufgebaut und sollte dort Demonstranten zurückhalten, die gegen eine | |
Verfassungsänderung protestierten – es ging damals um Privatisierung im | |
Energiesektor. | |
Wütende Mexikaner hämmerten gegen den Zaun, eine theatralische Geste, die | |
erfolglos blieb. Das Gesetz wurde trotzdem verabschiedet. Mit einem | |
Kontaktmikrofon hatte Blume das Hämmern und Klopfen damals aufgenommen. | |
Jetzt lässt er den Schall den umgekehrten Weg gehen, überträgt ihn wieder | |
auf das Objekt und nutzt das Metall als Resonanzkörper. | |
Arbeiten wie die von de Vega und Blume lesen sich wie ein Verweis auf das | |
Motto des diesjährigen CTM Festivals: „Fear Anger Love“. Die Angst vor dem | |
Terror, mit dem de Vega spielt. Die Wut, die Blume dokumentiert. Und die | |
Liebe? „Mexiko ist ein Land, das die Energie hat, sich jederzeit neu zu | |
erfinden“, sagt Carlos Prieto Acevedo. Es braucht viel Liebe, um daran | |
immer wieder zu glauben. | |
27 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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