# taz.de -- Künstler über CTM Festival in Berlin: „Wie kommen wir miteinand… | |
> Musik als Antwort auf Ressentiments: Kurator Jan Rohlf und Künstlerin | |
> Bao-Tran Tran über das CTM Festival für elektronische Avantgarde in | |
> Berlin. | |
Bild: Blick ins Liquide: das CTM Festival in Berlin | |
taz: Jan Rohlf, Bao-Tran Tran, „Fear Anger Love“ – unter diesem Motto ste… | |
das CTM Festival in diesem Jahr. Was bedeuten diese Begriffe für Sie? | |
Jan Rohlf: Mit dem Titel reagieren wir darauf, was in den vergangenen | |
Monaten, Jahren und auch Tagen um uns herum passiert ist. Wir haben – wie | |
viele andere auch – „Fear“ und „Anger“ gefühlt und fühlen dies imme… | |
Bei „Love“ im Sinne von Empathie, von Miteinander wäre die Frage, inwieweit | |
sie helfen kann, den gesellschaftlichen Zustand zu verbessern. Musik trägt | |
diese Emotionen in die Öffentlichkeit – das kann Bewusstsein und Wandel | |
erzeugen. Andererseits tragen viele rechtspopulistische Bewegungen ähnliche | |
Emotionen auf die Straße, bis in die Popkultur hinein. Deshalb stellen wir | |
damit auch die Frage, ob wir unsere Emotionen anders formulieren müssen als | |
diejenigen, die für ein derart geschlossenes Welt- und Menschenbild stehen. | |
Und, müssen Sie? | |
Rohlf: Ja. Gegenseitige Ablehnung wird uns auf Dauer nicht weiterbringen. | |
Wir erleben es zurzeit täglich: Ressentiment erzeugt Gegenressentiment. Bei | |
aller Entschlossenheit, uns gegen den gegenwärtigen reaktionären Backlash | |
zu stellen, müssen wir auch Wege finden, Polarisierungen zu überbrücken. | |
Wir sollten Emotionen nicht immer nur nutzen, um Ängste zu schüren und | |
Einheit zu beschwören. | |
Mit Slogans wie „We choose love“ oder „Love will win“ reagiert die | |
liberale, offene Gesellschaft oft auf repressive und regressive Phänomene. | |
Ist das formelhafte Verkürzen auch ein Problem? | |
Rohlf: Ich sehe es so: Angst betrifft alle Menschen und Gruppen. Sie | |
bedrängt einen so sehr, dass man an diesem Zustand etwas ändern muss. Wut | |
ist der Motor, mit dem wir die Angst überwinden, um zu einer Änderung zu | |
gelangen. Und wenn man politisch über Liebe nachdenkt, muss man | |
differenzieren zwischen denen, die nur die Menschen lieben, die so sind wie | |
sie – und denen, die auch diejenigen zu lieben bereit sind, die anders | |
sind. Wenn Pegida auf die Straße geht, dann empfinden die auch eine Form | |
von Empathie und Gemeinschaft. Aber es ist eine andere Form als die, die | |
wir hoffentlich vertreten. | |
Bao-Tran Tran: Liebe beschreibt politisch gesehen eine Art von | |
Zugehörigkeitsgefühl. Infolgedessen hat es den Effekt, jemanden | |
auszuschließen. Sich zu gruppieren, ist an sich etwas sehr Natürliches, | |
aber die Schnittstelle, andere auszuschließen, ist der gefährliche Part. | |
Eine Parole wie „Love will win“ ist eine andere Art zu sagen, man solle | |
sich solidarisch verhalten. Slogans und Hashtags sind keine Form von | |
Aktivismus, aber sie tragen zu einem Gemeinschaftsgefühl bei, das ich | |
bereichernd finde. | |
Müssen die Subkulturen mehr Offenheit gegenüber Andersdenkenden | |
signalisieren? | |
Tran: Auf jeden Fall. Es herrscht eine Geschlossenheit dem Teil der | |
Gesellschaft gegenüber, der nicht die Ressourcen und den Zugang zu Bildung | |
hat. | |
Erreichen Sie eine solche Klientel manchmal? | |
Tran: Bei manchen Shows spüre ich, dass die Stimmung im Club zum Beispiel | |
sehr testosterongeladen ist. Dann spiele ich für Menschen, mit denen ich | |
eigentlich wenig gemein habe, und bin an einem Ort, an dem ich mich unwohl | |
fühle. Für einige von diesen Leuten auf der Tanzfläche öffnet sich dadurch | |
eine neue Musikwelt und sie lernen andere Leute kennen. Das ist dann auch | |
schon eine Entwicklung. | |
Zu einem Festival wie dem CTM kommen dennoch nur Leute, die eine Affinität | |
zu Subkulturen haben. Bewegt man sich da in einer Bubble? | |
Rohlf: Ja und nein. Manche sagen, wir würden nur Gleichgesinnte erreichen. | |
Das stimmt nicht, glaube ich. Es kommen auch viele Leute zum Festival, die | |
nicht viel über Gender Equality oder Ähnliches nachdenken, für die Techno | |
zum Beispiel immer ein Männerding war und die das auch nicht hinterfragen. | |
Trotzdem erreichen wir wahrscheinlich weder Pegida-Anhänger noch AfD-Wähler | |
– wie man sich denen gegenüber noch weiter öffnet, ist eine gute Frage, | |
denn Begegnungen jenseits der Gruppenzugehörigkeit sind wahrscheinlich das | |
Einzige, was helfen kann. Ich habe aber keine Antwort darauf. | |
Das CTM Festival ist sehr mainstreamfern, vielleicht schreckt das auch | |
Leute ab. | |
Rohlf: Das mag sein. Aber wir haben auch bekannte Acts wie zum Beispiel | |
Virgil Abloh dabei. | |
Tran: Ja, und Tommy Genesis. Ich glaube, ein Festival an so vielen | |
verschiedenen Venues zu machen, ist auch schon eine gute Methode, um mehr | |
Leute zu erreichen. | |
Rohlf: Gerade wegen des Themas „Fear Anger Love“ hatte ich überlegt, ob man | |
Musikprojekte einlädt, die für etwas stehen, was man eigentlich total | |
ablehnt. Einfach, um sich dem auszusetzen. Und zu sehen: Wie kommen wir | |
miteinander klar, wie reagieren wir aufeinander? Aber in dem Moment, wo | |
Leute Politiken artikulieren und aktiv betreiben, die darauf basieren, | |
andere Leute abzuwerten, muss man eine Grenze ziehen. Das ist die | |
Situation, in der wir uns eigentlich gerade ständig befinden. | |
Wie kann experimentelle und elektronische Musik überhaupt auf Gesellschaft | |
reagieren? | |
Rohlf: Egal, wie abstrakt sie ist: Musik hat immer schon eine | |
Vorgeschichte, sie wird von jemandem gemacht, sie wird auf bestimmten Wegen | |
vermittelt und erfahren. Aber auch der Sound an sich reagiert ja immer | |
schon auf eine Geschichte von Sound – diese kann man zum Beispiel brechen | |
oder kritisieren. Nehmen wir Bao und die junge Szene gerade in Berlin: Für | |
sie ist es selbstverständlich, Musik aus unterschiedlichsten Ecken dieser | |
Welt miteinander zu verschränken. Das ist eine völlig andere Geste als ein | |
Sound, der an eine Fehlinterpretation der weiß und männlich geprägten | |
Industrial Music der 70er Jahre anknüpft. | |
Sound an sich ist oft eine sehr körperliche Erfahrung. Haben Sie ein | |
Beispiel, wie der Klang beim CTM unsere Wahrnehmung beeinflusst? | |
Rohlf: Nehmen wir den niederländischen Klangkünstler Thomas Ankersmit, der | |
dieses Jahr spielen wird. Der arbeitet mit Infrasound, also mit Frequenzen | |
an der oder unterhalb der Hörgrenze. Er spielt mit Raumresonanzen, so | |
entsteht eine Landschaft aus Klangzonen. In manchen ist es laut, in anderen | |
ganz leise, an anderen Stellen spürt man nur Vibrationen. Je nachdem, wie | |
man sich im Raum bewegt, verändert sich auch das eigene Empfinden. Wir sind | |
dem Künstler und seinen Medienmaschinen unterworfen, der aus einer | |
Machtposition heraus agiert, aber wir haben eben auch eigene | |
Handlungsmöglichkeiten. Da fragt man sich automatisch: Wie bewegen wir uns | |
in Räumen? Wie kommunizieren wir miteinander? Wie reagieren wir auf Medien? | |
Frau Tran, Sie machen Clubmusik – welche körperlichen Erfahrungen spielen | |
da eine Rolle? | |
Tran: Ich versuche eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Leute | |
wohlfühlen und viel tanzen – aber wo auch eine gewisse Spannung herrscht. | |
Der Fokus liegt für mich auf dem Tanzen, Musik ist für mich an erster | |
Stelle körperlich. Ich reagiere aber auch auf meine eigenen Emotionen und | |
die der Tanzenden. Es kommt vor, dass während meines Sets etwas passiert, | |
das bestimmte Gefühle auslöst – und ich entsprechend auflege. | |
Es gibt jedes Jahr ein opulentes Programm, 10 Tage Dauerbeschallung. Warum | |
erschlägt die Leute das nicht? | |
Rohlf: Vielleicht tut es das sogar – aber genau das ist die Idee: Wir | |
wollen, dass die Leute ihre persönlichen Ressourcen überschreiten: Wie viel | |
schaffe ich mir anzusehen und -hören, was kann ich davon aufnehmen, was | |
kann ich an Eindrücken verarbeiten. Wir erzeugen einen temporären | |
Ausnahmezustand, in dem die Leute geöffneter sind. Das ist ja auch das, was | |
Club ausgemacht hat und ausmacht. | |
Herr Rohlf, ist es als Kurator eines Festivals für elektronische Avantgarde | |
manchmal schwer, öffentlichen Geldgebern zu erklären, was man da eigentlich | |
macht? | |
Rohlf: Schon. Es ist ja auch so: Wir wollen zwischen den Stühlen sitzen. | |
Wir glauben nicht daran, dass es uns voranbringt, wenn man Musik immer nur | |
in Szenen wie Improv, Jazz, Klassik oder elektronische Musik aufgliedert. | |
Es gibt so viel unterschiedliche ineinander greifende Ansätze zu Sound und | |
Kunst und Musik, die wollen wir aufgreifen und verstärken. Das Fördersystem | |
ist aber sehr statisch auf sehr einzelne Sparten ausgelegt. Das läuft der | |
Realität und auch der Gesellschaft hinterher – die ist auch vielerorts | |
hybrider und vielfältiger. Uns gibt es nun seit 18 Jahren, und wir haben in | |
all den Jahren immer wieder Förderungen bekommen. Aber wir haben es nicht | |
geschafft, eine strukturelle Förderung zu bekommen, die es uns ermöglicht, | |
langfristiger zu planen. | |
Wie gleichberechtigt geht es beim CTM zu? | |
Rohlf: Wir waren da nicht in allen Jahren so vorbildlich, wir wurden dafür | |
auch zu Recht kritisiert. In diesem Jahr haben wir im Line-up 44 Prozent | |
Frauen und 49,5 Prozent Männer dabei – und dann noch Personen, die sich | |
weder als Frau noch als Mann verstehen und gemischte Projekte. | |
Frau Tran, wie erleben Sie das Geschlechterverhältnis in Clubs, bei | |
Festivals generell? | |
Tran: Es ist keine Selbstverständlichkeit, als Frau DJ und Produzentin zu | |
sein. Von Tontechnikern oder Veranstaltern wird man oft anders behandelt: | |
Sie kommentieren das Aussehen, erklären ausgiebig das Equipment – Sachen, | |
die eigentlich kein Thema sein sollten. | |
Aber die Aufmerksamkeit für das Thema ist gerade voll da. | |
Tran: Ja, manches wird dadurch aber auch fragwürdig. Zum Beispiel, wenn | |
Veranstaltungen mit „All-Female-Line-up“ beworben werden. Es sollte kein | |
Aushängeschild für einen Clubabend sein, dass da Frauen spielen, es sollte | |
normal sein. | |
27 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
## TAGS | |
CTM Festival Berlin | |
elektronische Musik | |
CTM Festival Berlin | |
Techno | |
Musikfest Berlin | |
CTM | |
CTM Festival Berlin | |
Popkultur | |
Elektro | |
Krautrock | |
Musik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kunstschau beim Berliner CTM-Festival: Man klickt sich halt so durch | |
Ein Blick in die Räume des Dazwischen, in denen es auch arg muffig zugehen | |
kann: Die CTM-Ausstellung „Interstitial Spaces“ im Kunstraum Kreuzberg. | |
Film zum deutschen Techno: Gegen den Tag | |
In „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ schaut Romuald Karmakar DJs wie | |
Ricardo Villalobos und Roman Flügel über die Schulter. | |
Club Transmediale Festival 2017: Körper sind dressierte Tiere | |
Rebellion des tanzenden Körpers: Das Club Transmediale Festival 2017 mit | |
dem Motto: „Fear Anger Love“ war auch politisch. | |
Eindrücke vom CTM-Festival Berlin: Böse Geister vertreiben | |
Ausgeschwärmt in Theater und Clubs: „Fear, Anger, Love“ ist Motto des 18. | |
CTM-Festival. Elektronische Musik, Filme und Performances. | |
Elektronische Musik in Mexiko: Es rauscht und klingt und kracht | |
Eine Schau in Berlin zeigt die Historie der elektronischen Musik in Mexiko | |
– und wie sie sowohl Landes- als auch Zeitgeschichte reflektiert. | |
Musikerinnen gegen Trump: Songs to Save America | |
Die Popwelt von Madonna bis zu den Gorillaz meldet sich wegen Trump zu | |
Wort. Viele Künstlerinnen sammeln Geld für Bürgerinitiativen. | |
The xx mit neuem Album: Intimität als Show | |
Am Freitag erscheint „I See You“, das neue Album von The xx. Und | |
tatsächlich hat sich die britische Band damit neu erfunden. | |
Gruselkrautmusik von Datashock: Verdammt gutes Lauschgift | |
Das saarländische Experimentalkollektiv Datashock komponiert akustische | |
Gespenstergeschichten. Es ist ein psychedelisches Labyrinth. | |
Neues Album von Martha Wainwright: Wenn es Kaugummis regnet | |
Die kanadische Singer-Songwriterin inszeniert ihr Album „Goodnight City“ | |
ungewohnt elektronisch. Und doch bleibt der Wainwright-Kosmos klassisch. |