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# taz.de -- Kunstschau beim Berliner CTM-Festival: Man klickt sich halt so durch
> Ein Blick in die Räume des Dazwischen, in denen es auch arg muffig
> zugehen kann: Die CTM-Ausstellung „Interstitial Spaces“ im Kunstraum
> Kreuzberg.
Bild: Es geht um Netzkulturen in der CTM-Schau: Die Installation „Chthonic Ri…
So kann ein Zwischenraum also auch aussehen: Ein zugemülltes Zimmer. Die
Jalousien sind runtergezogen, Zeugs liegt auf dem Boden. Das Bett, eine
Matratze auf dem Boden, nicht gemacht. Mangaposter an der Wand. Leere
Chipstüten und ausgelöffelte Suppendosen. Und natürlich drei
Computermonitore auf einem vollgekramten Schreibtisch, die in einem
offensichtlich aus den Fugen geratenen Leben eine Form der Kontrolle
suggerieren. Man klickt sich halt so durch.
Durch ein Netz, welches das Sozialleben ersetzt hat. Und das Linderung für
die eigenen Defizite liefert, auf der Suche nach einer verloren gegangenen
Außenwelt. Und diese Linderung besteht aus Ballerspielen,
Internetpornografie, Beschwerden über die eigene Unzulänglichkeit in
Internetforen und das Planen von Rache dafür, dass die Welt einen nicht
haben möchte.
So sieht die Welt der „Incels“ in der Installation „Non-Player Character�…
(2019) von Michael Wick im Kunstraum Kreuzberg aus, die am Eingang der
Ausstellung „Interstitial Places“ zu sehen ist. Die Präsentation ist
[1][Teil von CTM] – ehemals als Club Transmediale bekannt, dem Festival,
das sich erfolgreich aus dem Berliner Medienkunstfestival Transmediale
herausgeschält hat – und beschäftigt sich mit Zwischenräumen und
Übergangszuständen.
„Incels“ steht für „Involuntary Celibacy“, ein Internetphänomen, zu d…
sich junge Männer zugehörig fühlen, die keine Geschlechtspartnerin finden –
möglicherweise, weil ihr unappetitlicher Lebensstil zwischen Internetsucht,
Masturbation und Junk Food wenig attraktiv ist. Das stellt die Arbeit
detailgetreu nach. Internetforen wie 4Chan sind in den letzten Jahren zu
Nährböden für die Incel-Szene geworden, die dort die „Beta-Revolution“
herbeiwünschen, also den Aufstand der Zu-kurz-Gekommenen.
## Umgang mit Nischengruppen
Die Broschüre zur Ausstellung legt nahe, dass man durch die Installation zu
einem „empathischen Umgang“ mit dieser „Nischengruppe“ finden soll, „…
die oft herabgeschaut wird“. Geht’s noch?
Die Incels mögen eine Internetsubkultur sein, die „zwischen verzweifelter
Selbstinszenierung und Abtauchen in die hemmungslose Welt der
Internetpornografie versucht, eine Beziehung zu sich selbst, ihrer
Sexualität und Identität als Mann zu finden“, wie es in der Broschüre
weiter heißt. Aber vor allem sind sie wohlstandsverwahrloste Heulsusen, die
ihren eigenen Selbsthass und die Tatsache, dass Mutti oder „the girl next
door“ sie angeblich nicht genug liebt, als Vorwand nehmen, um im Netz
Sexismus, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus zu verbreiten.
Oder um gleich gewalttätig zu werden. Der zum Glück größtenteils
gescheiterte Möchtegern-Amokläufer von Halle gehört genauso zu dieser Brut
wie Elliot Rodger. Der ist hier in einem Video in der Installation zu sehen
ist, in dem er wie in einem Werbefilm mit dem Auto durch Kalifornien
gondelt. Rodger hat 2014 in der University of California Santa Barbara
sechs Menschen erschossen, weil er mit 22 immer noch Jungfrau war, wie er
auf YouTube zu Protokoll gab. Verständnis und Empathie sind hier vollkommen
unangebracht.
## Realweltliche Gewalt
Möglicherweise handelt es sich bei dieser Arbeit um ein Beispiel dafür,
dass die Bezüge zwischen dem, was an menschenfeindlichem Gelaber „im Netz“
stattfindet, und realweltlicher Gewalt immer noch nicht verstanden worden
sind. Oder es ist ein gründlich in die Hose gegangenes Beispiel für die Art
von Identitätspolitik, bei der man Leuten, die sich selbst zu Opfern
erklären, widerspruchslos Verständnis entgegenbringen muss.
Die gedankenlose Darstellung einer erzreaktionären, tendenziell
gewalttätigen Internetszene verblüfft umso mehr, weil CTM in der
Vergangenheit Diversität in den Mittelpunkt gestellt hat.
Auch in dieser Ausstellung ist unter anderem die Arbeit „Safety Travelling“
zu sehen, in der die österreichische Künstlerin Nural Moser ihre
Erfahrungen bei internationalen Flugreisen mit Burka durch Fotos
dokumentiert. Als Tochter eines ehemaligen Muslims geht es ihr dabei um
Geschlechtergleichberechtigung und sexuelle Befreiung, die Burka ist für
sie „ein visuelles Symbol für die stärksten Methoden der Unterdrückung von
Frauen und sozialer Apartheid“. Bei der Eröffnung der Ausstellung
beunruhigte sie die Besucher durch lautstarke Auftritte, bei denen unter
Burka Dessous und Lacklederstrümpfe zu sehen waren. Man kann nur hoffen,
dass sie so nicht den Furor derjenigen auf sich zieht, die mit der Burka
ihr regressives Frauenbild durchzusetzen versuchen.
Um eine andere Art von Kontrolle und Machtausübung geht es bei der
Installation „Chthonic Rites“ von Wesley Goatley, bei der sich auf einem
Büroschreibtisch ein iPhone und ein Alexa-Lautsprecher über Überwachung und
Zensur im Internet unterhalten. Na ja, ehrlich gesagt, redet meist das
iPhone, während Alexa Einkaufslisten anlegt. Und ab und zu blinkt der
Monitor des Apple-Computers auf, als wollte er daran erinnern, dass es
keine richtigen Diskussionen in der falschen Hardware gibt.
31 Jan 2020
## LINKS
[1] /CTM-Festival-in-Berlin/!5657706
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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CTM Festival Berlin
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