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# taz.de -- Theater im Internet „Spy On Me“: Der Hund heißt Bruno
> Das Festival „Spy On Me“ am HAU in Berlin wurde ins Internet verlegt.
> Theater digital: zwischen Telekonferenz, Vogelgezwitscher und Leerlauf.
Bild: Fröhliche Welt der digitalen Selbstverwirklicher: Screenshot eines Video…
Für ein Festival, das sich in Zeiten von Corona mit dem Internet
beschäftigt, ist das ein hübscher Programmierfehler. Das Programm von „Spy
On Me“ am HAU an diesem Wochenende musste zwar wie alle anderen
Kulturveranstaltungen in Berlin abgesagt werden. Aber die Organisatoren
haben sich größte Mühe gegeben, die Veranstaltung so weit wie möglich
trotzdem online durchzuführen.
Nicht alle Performances und Präsentationen konnten ins Internet übertragen
werden. Aber im Programm auf der Website des Theaters steht nun neben den
Veranstaltungen, die doch stattfinden, als Veranstaltungsort
„[1][HAU-Youtube-Kanal]“. Wenn man auf den Link klickt, öffnet sich ein
neues Fenster. Man sieht – eine Onlinekarte, auf der das Theatergebäude des
HAU markiert ist.
Das mag zwar wie eine bittere Erinnerung daran wirken, dass man sich dort
eben derzeit leider nicht zum Kunstkonsum einfinden kann. Aber tatsächlich
dürfte der falsche Link natürlich dem Umstand geschuldet sein, dass die
ganze Veranstaltung in höchster Eile umgebaut wurde. In den letzten Tagen
schien sich das auf der Website veröffentlichte Programm fast im
Stundentakt zu ändern, und man konnte sich förmlich vorstellen, wie hinter
den Kulissen hektisch geplant und koordiniert wurde.
Das Ergebnis mag nicht so glamourös wie die Übertragung von Bizets „Carmen�…
aus der Staatsoper sein. Trotzdem gab es einige interessante Ansätze, aber
auch einigen Leerlauf. Keiner der Künstler hatte für YouTube, Facebook und
Telegram – die Plattformen, die die traditionelle Bühne ersetzt hatten –
eine genuine Form der Performance gefunden. Das sagt über diese Plattformen
möglicherweise mehr als über die Künstler.
Auch James Bridle, der Eröffungsredner, konnte sich eine Bemerkung darüber
nicht verkneifen, dass man bei der Veranstaltung zwar die Dominanz von
einigen Tech-Riesen im Internet kritisieren würde, aber andererseits auf
genau diese für die Übertragung der Veranstaltung angewiesen sei.
Bridle hatte seinen Vortrag irgendwo in Griechenland auf dem Land
aufgenommen, wo das Internet für Liveübertragungen nicht gut genug ist. So
sehen wir den Künstler, der mit seinem Buch „New Dark Age: Der Sieg der
Technologie und das Ende der Zukunft“ zu einer Art apokalyptischer Reiter
des Internets geworden ist, im Freien vor einer gelben Mauer sitzen.
Die Sonne kommt von links oben. Die Vögel zwitschern. Ab und zu hören wir
einen Hund bellen. Irgendwann zeigt uns Bridle ein Bild von dem Hund des
Nachbarn. Der heißt Bruno.
Die typische Keynote ist das auf jeden Fall nicht. „Schön da“, denkt man,
während Bridle starke Thesen und schockierende Tatsachen präsentiert. Wie
GPS Autofahrer in den Grand Canyon und damit in den sicheren Tod gelotst
hat. Wie bei „Pokemon Go“ die Fundorte für Pokemons an große Unternehmen
verkauft wurden, die diese gleich neben ihren Filialen postierten.
## Neue Qualität?
Wie bei YouTube die Videos von Verschwörungstheoretikern auftauchen, wenn
man nach Material über den Klimawandel sucht. Als Alternative empfiehlt er
selbst organisierte Netzwerke. Die Möglichkeit zum Kommentar wurde kaum
genutzt, auch wenn Bridle kurz im Chat auftauchte und zur Teilnahme
aufrief. Dabei könnte gerade diese direkte Interaktion zwischen Performern
und einem kleinen Kreis von Onlinezuschauern eine neue Qualität bei
derartigen Veranstaltungen sein.
Eine Totalüberforderung für die Sinne war am nächsten Tag ein Stream, der
als Tutorial für die Entwicklung von Gesichtsfiltern für Instagram
angekündigt war, sich aber als ein Gespräch zwischen den russischen
Künstlerinnen Alla Popp und Ksti Hu über ebendiese Filter entpuppte. In
Russland hätten die Filter eine politische Bedeutung, erfuhr man von Popp,
die selbst Filter entwickelt, die den auf Instagram propagierten
Schönheitsidealen widersprechen.
Weil man für im Netz geäußerte Ansichten schnell im Gefängnis landen
könnte, würden in Osteuropa stärker die Möglichkeiten der digitalen Medien
zur Identitätsverschleierung genutzt. Mit den virtuellen Masken komme man
selbst der Cyborgexistenz näher, die man sich hier selbst gestalten könne.
## Digitaler Gesichtsschutz
Wer dabei genau auf den Monitor guckte, konnte gleichzeitig lernen, wie man
mit der Software Spark AR selbst eine solchen digitalen Gesichtsschutz
baut. Anstrengend, aber lohnend. Von diesem Zeitpunkt an übernahm die
Gruppe DGTL FMNSM weitgehend die Veranstaltung und führte einen Chat nach
dem anderen an, der nicht im ursprünglichen Programm vorgesehen war.
Irgendwann hatte man das Gefühl, an einer Telekonferenz teilzunehmen, bei
der man aber nicht mitreden durfte. Die Grenze zwischen Darsteller und
Publikum verläuft bei Online-Performances offenbar anders als im
„richtigen“ Theater. Das kann für den Zuschauer ebenso frustrierend sein
wie die zeitweise recht mäandernden Gespräche.
Es bedeutet aber auch, dass man in der Planung munter drauflosimprovisieren
kann. Vom ursprünglichen Programm ist wenig übrig geblieben, dafür werden
am kommenden Wochenende lauter Veranstaltungen gestreamt, die offenbar
gerade erst erdacht werden.
23 Mar 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/channel/UCWU0QgefOC8CcR7uzzwWwTQ
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
## TAGS
Theater
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