# taz.de -- Club Transmediale Festival 2017: Körper sind dressierte Tiere | |
> Rebellion des tanzenden Körpers: Das Club Transmediale Festival 2017 mit | |
> dem Motto: „Fear Anger Love“ war auch politisch. | |
Bild: Unter vielen begeisternden Auftritten war ihrer der vehementeste: Moor Mo… | |
Wenige Tage, nachdem der US-amerikanische Präsident den Einreisestopp für | |
Menschen aus sieben Staaten unterschrieb, tanzen im Berliner Berghain rund | |
1.000 Verrückte aus 40 Ländern, als sei nichts gewesen. | |
Aber: Die Sprache der Körper als universalste Form der Kommunikation ist | |
auch eine Form von Rebellion. Nicht nur, weil Körper im Alltag dressierte | |
Tiere sind, sondern weil sich hier die Vielfalt der Menschheit offenbart: | |
Leute springen im Rhythmus auf und ab, wabern wie Bäume im Wind oder | |
bewegen sich wie Roboter zu den düsteren Breakbeats des Londoner | |
Instrumental-Grime-Duos Yally, nachdem sie von der wütenden | |
US-amerikanischen Rapperin Moor Mother angebrüllt wurden, bevor der | |
britische DJ und Producer Actress die Bewegungen mit seinem schwerelosen | |
House wieder weicher werden ließ. | |
Furcht, Wut und Liebe, diese Aggregatzustände des menschlichen Daseins, | |
bildeten den thematischen Rahmen des Club Transmediale Festivals 2017. Das | |
war auch in diesem Jahr nicht nur ein Sammelbecken für Nischenmusik aus | |
aller Welt, von indigenem Kehlkopfgesang aus Kanada (Tanya Tagaq) zu | |
mexikanischem Cumbia-Dubstep (Siete Catorce), sondern auch eine geradezu | |
dialektische, politische Angelegenheit. Das Motto wurde an den zehn | |
Festivaltagen so konsequent verfolgt, dass es David Foster Wallace sicher | |
glücklich gestimmt hätte. Forderte dieser doch vor 15 Jahren ein Ende der | |
Ironie, da sie längst nicht mehr die Mächte demaskiere, sondern als | |
Selbstzweck nur noch Ermüdungseffekte hervorrufe. | |
Womöglich muss es heute so sein: selbst in den vermeintlich schönsten | |
Momenten zugleich das Politische zu sehen. Auch wenn das am besten nicht | |
plakativ, sondern indirekt passiert – als Bewusstmachung dessen, was auf | |
dem Spiel steht. So drängten die Paradoxien der Gegenwart auf den | |
Mikrokosmos des Dancefloors. Was wäre, wenn die Sehnsucht der Neuen Rechten | |
nach einer homogenen Gesellschaft eintreten würde? Könnte ein Festival mit | |
KünstlerInnen aus aller Welt noch stattfinden? Wie würde sich deren Musik | |
anhören? Gäbe es überhaupt noch Musik? | |
Keine Trennung von Musik und Politik | |
Nicht weniger drängende Fragen boten Panels zu Themen wie „Diversität auf | |
dem Dancefloor“ oder „Die Zukunft der Identität“. Doch die theoretische | |
hinkte der angewandten Körper- und Identitätspolitik hinterher: Wie sich | |
eine solche Gegenöffentlichkeit anfühlt und anhört, ließ sich eher in den | |
Clubs und Theaterbühnen erleben. Das Techno-Duo NMO performte im Berghain | |
in der Mitte des Dancefloors statt auf der Bühne, ein simples, aber | |
effektives Symbol in Richtung Gleichheit. Robert Henke alias Monolake | |
hingegen, der danach auftrat, sagte vor wenigen Tagen angesichts der | |
US-Politik sowohl seine Professur als auch alle Gigs in den USA ab. | |
Abstrakter war da die Performance „The Great Dissapointment“ im HAU2, ein | |
Höhepunkt des Festivals. Obwohl oder vielleicht gerade weil der Hybrid aus | |
zeitgenössischem Tanz, Clubmusikoper und Poptheater des Künstlerkollektivs | |
NON mehr Fragen stellte als Antworten lieferte. | |
NON, gegründet von DJ Melika Ngombe Kolongo, dem | |
nigerianisch-amerikanischen Musiker Chino Amobi und dem queeren Sänger | |
Angel-Ho aus Kapstadt, setzte ganz auf die Macht des Sounds als | |
hierarchiefreies Phänomen. Die an beiden Enden der Bühnen platzierten DJs | |
spielten während der 80 Minuten Tracks zwischen Noise und Clubmusik, unter | |
anderem eine Version von Michael Jacksons „They Don’t Care About Us“ als | |
monsterhaft verlangsamten Remix. | |
Dazwischen gab es performative Einlagen der TänzerInnen oder von Angel Ho, | |
die mit rosa Perücke eine schrille Soloeinlage mit überdrehten Popgesten | |
und schiefem Gesang ablieferte. Oft blieb die Bühne leer. Dann tanzte nur | |
der Kunstnebel zu den Impulsen der Basswellen. Der Schwindel und das Gefühl | |
der Ortlosigkeit waren eine passende, wenn auch sehr abstrakte Metapher, um | |
die Absichten von NON zu zeigen: die Aufdeckung der unsichtbaren | |
Machtstrukturen in der Gesellschaft und die „Dekolonisierung des | |
Dancefloors“. | |
Mehr Wut und Liebe statt Angst | |
Ähnlich ambivalent ging es auch sonst zu. Die queere Musikerin Elysia | |
Crampton verwandelte den Festsaal Kreuzberg mit Fantasiesprache und | |
polyrhythmischen Beats in einen schamanistischen Tempel, die britische | |
Rapperin Nadia Rose überraschte im Club Yaam mit messerscharf vorgetragenen | |
Raps, die israelische MC Miss Red und The Bug vergruben das Publikum mit | |
magenerschütternder Musik unter einem verzückend dichten Nebel aus Sound. | |
Dass Wut und Liebe stets anwesend waren, „Fear“ hingegen aber kaum, ist | |
beruhigend: Zukunftsangst ist inzwischen die stärkste Waffe der sozialen | |
Disziplinierung. Eine bessere Zukunft, so scheint es, geht mit der Umarmung | |
des Ambivalenten und damit der Multiplikation einher. Dazu gehört auch die | |
Schaffung neuer Zugehörigkeiten, fernab von Ethnie, Staat oder Geld. Diesem | |
Anspruch wurde das Festival gerecht. | |
8 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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