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# taz.de -- US-Musikerin Moor Mother: Ihre Musik kratzt an der Schädeldecke
> Die afroamerikanische Künstlerin Moor Mother schenkt der Welt ein
> Noise-Punk-HipHop-Beben. Was das ist, ist nun in Berlin zu erleben.
Bild: Künstler werden für Promofotos ja gerne vor Naturkulissen gestellt: Moo…
Die Musik von Moor Mother Goddess ist dunkel, sehr dunkel. Die
amerikanische Musikerin und Aktivistin Camae Ayewa aus Philadelphia macht
einen punkig-elektronischen Rap, den sie selbst mit so unterschiedlichen
Begriffen wie „Black Ghost Songs“, „Witch Rap“ „Coffee Shop Riot Gurl
Songs“ benennt. Will man ihn ohne Etiketten fassen, dann ist er eine
klanglich ausbrechende Erzählung von der düsteren Geschichte der
Afroamerikaner in den USA. Die elektronisch produzierten Tracks von Moor
Mother Goddess (etwa als „Maurische Gottesmutter“ übersetzbar) sind ein
nervöses Zucken, das von unheilvoller Ruhe durchbrochen wird. Ihre Texte
sind unverschlüsselt und wütend („Everything ain’t ok“), gespickt mit
Zitaten afroamerikanischer Bürgerrechtler, Opfer von Rassismus.
Auf ihrem jüngsten Album „Fetish Bones“ (Don Giovanni Records, 2016), ist
mit „Creation Myth“ ein Stück, das den düsteren Kosmos der Künstlerperso…
Moor Mother Goddess offenbart. Mit einer tiefen, aus der Kehle gewürgten
Stimme verkörpert Camae Ayewa das harte Los afroamerikanischer BürgerInnen.
Sie ist eine schwarze Gaya, die in einem historischen Kreislauf gebiert,
leidet, stirbt: „I have had babies“, rappt sie, „and I have been bleeding
since 1866 to the present time.“
Vom Civil Rights Act 1866, der die Afroamerikaner juristisch vom
Sklavendasein befreite, bis heute zählt sie die blutigen Daten der
schwarzen Geschichte in den USA auf und endet bei den tödlichen
Polizeischüssen auf Schwarze, wie sie zuletzt vorkamen: „I dragged my
bloody belt to 1919 … I still had enough blood in my throat to live nine
further murders … Only God knows how I made it to Ferguson“.
Ein „wilder Akt der Erinnerung“ nennt Richard Foster Moor Mothers
Raptechnik im britischen Magazin The Quietus. Und diesen „wilden Akt“
vollzieht sie auch instrumental, wenn Camae Ayewa rituelles Trommeln,
Gospelgesänge, Passagen aus John Coltranes ekstatischem Saxofonspiel, wie
sie der Wu-Tang-Clan-Produzent RZA sampelte, als unruhige Geister in ihre
Tracks wiederkehren lässt. „Wir sind in einem historischen Kreislauf
eingeschlossen, alles kommt wieder“, sagt sie im Gespräch.
## Ästhetik des Afrofuturismus
„Yesternow“, da, wo gestern, heute und morgen zusammenfallen – mit dieser
Wortschöpfung interpretiert der britische Kulturwissenschaftler Kodwo Eshun
das Geschichtsverständnis hinter der literarischen und kulturelle Ästhetik
des Afrofuturismus. „Die Zukunft kommt aus der Vergangenheit und lässt die
Gegenwart vibrieren“, schrieb er 1998 in seinem Essay „Heller als die
Sonne“, im dem er diese Ästhetik theoretisierte.
Camae Ayewa versteht sich als afrofuturistische Künstlerin. Sie nimmt in
ihren musikalischen Zitaten und politischen Aktionen direkt Bezug darauf.
Elemente aus Science-Fiction, Ahnentum und magischem Realismus kombiniert
der Afrofuturismus mit nicht westlichen Kosmologien, um die Notlage von
People of Color zu erfassen und historische Ereignisse aus der
Vergangenheit zu befragen.
Sun Ra, Afrika Bambaataa und heute Künstlerinnen wie Missy Elliot und
Janelle Monáe entwickelten aus dem afrofuturistischen Blick auf die Black
Culture für ihre Musik ein utopisches Zukunftsbild, doch Moor Mother
Goddess spielt den dystopischen Part.
## Produktionen auf dem Tablet-Computer
Ihr Terrain ist die Straße. In ihrem Artwork inszeniert sie sich in einer
schon totgeweihten Neuen Welt. Eine neogotische Kirchenruine oder die
rissigen Wände leer stehender Brickstone-Häuser bilden die Kulisse. Auf
einem Albumcover spielt sie als schwarze Braut im weißen Gewand die Orgel
für ihre eigene Vermählung. Camae Ayewa lebt seit über zehn Jahren in
Philadelphia, Heimat von Sun Ra. Als Aktivistin arbeitet sie in den
Sozialwohnungsblocks, wo sie mit ihrer Partnerin Kunst- und Schreibkurse
unter dem Titel „Black Quantum Futurism“ anbietet.
Ihr musikalischer Werdegang begann so: Raps bei Open Mics, Produktionen zu
Hause auf dem Tablet-Computer. Seit 2012 ist sie Moor Mother Goddess und
noch immer schaltet sie in ihrem Heimstudio historische Aufnahmen über
eigene Recordings und schickt von dort aus ein Noise-Punk-HipHop-Beben in
die Welt, dessen Sound so unausweichlich ist wie der Dreck in der
Großstadt.
Dreck gibt es auch in den Black-Science-Fiction-Geschichten von Octavia
Butler oder Samuel Delany, die von Essayisten wie Kodwo Eshun als
afrofuturistische Literatur ausgemacht werden. Doch projizieren diese
Autoren ihre Geschichten auf eine Welt nach dem Desaster, auf
postapokalyptische Zustände, in denen Ethnie und Nation neu geordnet
werden. Camae Ayewas Musik ist noch nicht im weit entfernten Armageddon
angelangt. Ihre Musik ist absolut heutig und kratzt mit ihrer klanglichen
Gegenwart an der Schädeldecke.
1 Feb 2017
## AUTOREN
Sophie Jung
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