# taz.de -- Gruselkrautmusik von Datashock: Verdammt gutes Lauschgift | |
> Das saarländische Experimentalkollektiv Datashock komponiert akustische | |
> Gespenstergeschichten. Es ist ein psychedelisches Labyrinth. | |
Bild: Spielen auch auf Parkplätzen: Datashock | |
Das Experiment als Kompositionspraxis hat sich spätestens in den fünfziger | |
Jahren in der E-Musik und im Jazz etabliert. Heute bildet es auch das | |
Fundament vieler Randgebiete des Pop. Viele Künstler nutzen das | |
musikalische Forschen dabei zum Feinschliff, manch eine Band macht es auch | |
zur Grundlage ihres Spiels. Ein Beispiel dafür ist das kürzlich erschienene | |
Album „HD Trailer“ von Datashock. | |
Es ist ein psychedelisches Labyrinth, das sich binnen Sekunden ausbreitet | |
und das Experiment als Kern verrät. Zwitschern und Pfeifen überlagert sich | |
mit dumpfem Klackern und Schaben. Alles rotiert ohne Pulsschlag. | |
Geräuschhaftigkeit prägt das Album. Kaum ein Klang verrät beim ersten Hören | |
seinen Ursprung. War es eine schrill geblasene Flöte, eine sich | |
überschlagende Klarinette oder doch synthetischer Ton? | |
Im Hall verschmelzen entrückte Flächen zu kosmischen Orgeln und bleiben | |
stetig im Wandel. Minimalistische Gitarrenmelodien werden zu pochendem | |
Rasseln und lösen schließlich in endloser Repetition alles in flimmernde | |
Weite auf. Indische Harmonik und Sitarklänge bilden eine Episode und | |
verschwinden wieder im Irrgarten. | |
## Die Psyche triezen | |
Seit seiner Gründung 2003 in Saarlouis ist das Kollektiv Datashock über die | |
Grenzen der saarländischen Kleinstadt hinausgewachsen und umfasst gut zwölf | |
Mitglieder – Multiinstrumentalisten, die in wechselnder Besetzung spielen | |
und sich ausprobieren. Sie beschreiben die eigene Musik als „Gruselkraut“ | |
und das passt exakt. In derselben nervösen Grauzone zwischen Verstand und | |
Empfindung, in der Gruseln entsteht, breitet sich auch „HD Trailer“ aus. | |
Die Klänge triezen die Psyche und verzerrte Bilder in rascher Folge werden | |
zu skurrilen Filmen. | |
Gruseln traumatisiert nicht. Es erzeugt Spannung, kitzelt das | |
Unterbewusstsein und schenkt der Fantasie Geschichten. „HD Trailer“ ist | |
trotz seiner Verschrobenheit nirgends bösartig düster, sondern bleibt immer | |
offen. Es ist eine Einladung an das Unterbewusstsein, eine Reise in | |
parallele Welten anzutreten. Die Verbindung zu Krautrock ist gleichermaßen | |
naheliegend. | |
Der Komponist Karlheinz Stockhausen sagte einmal im Interview über die | |
Gruppe Can, deren Grundhaltung sei „musikalisch forschend“ – eine | |
freundliche Unterstellung, die sich auch den Musikern von Datashock machen | |
ließe. Das kollektive Miteinander erinnert an die Münchner Sphärenrocker | |
Amon Düül, manch rhythmischere Passage auch an die Berliner Progpioniere | |
Tangerine Dream. Und der geräuschhafte Charakter lässt an die Hamburger | |
Band Faust denken, die zwischen Klang und Musik keine Grenze zog und etwa | |
auch Lastwagen und Baustellen als Inspirationsquellen angab. | |
## „Abonnieren Sie die Zukunft“ | |
Und dann ist da noch Datashocks ureigener Humor, der Brücken zur | |
gesellschaftlichen Realität schlägt. Sie nennen es selbst ihre „pietätlose | |
Sicht“ auf die Gegenwart. Das Absurde lacht ins Gesicht kritikwürdiger | |
Zustände. „Abonnieren Sie die Zukunft“ heißt eines der vier Stücke, die | |
zusammen fast vierzig Minuten Spieldauer haben. | |
Nicht weniger Zungenbrecher als seine Referenz ist der Titel „Cloudkraut | |
kaut Krautcloud“. „Vapen vs. Chemtrails“ setzt mit E-Zigarettenrauch und | |
dem Mythos von Flugzeugkondensstreifen zwei auf Wasserdampf basierende | |
Phänomene der jüngsten Geschichte gleich. „Silicon Valley unplugged“ trei… | |
das augenzwinkernde Zaunpfahlwinken in Richtung der Internetgesellschaft | |
schließlich auf die Spitze. | |
Jan Stütz, Mitglied von Datashock, nahm „HD Trailer“ im Dezember 2014 in | |
Darmstadts autonomen Zentrum Oetinger Villa auf, einer Bastion der freien | |
Szene im Rhein-Main-Gebiet. Ein weiteres Mitglied des Kollektivs, Pascal | |
Hector, betreibt das kleine, aber feine Label Meudiademorte Records, | |
Plattform vieler der rund 30 Veröffentlichungen der Gruppe. Datashock sind | |
fest verankert in jenem subkulturellen DIY-Netzwerk, das aus Hunderten | |
Bands, Clubs und Labels besteht und weit über Landes- und Genregrenzen | |
hinausreicht. | |
Statt finanzieller Mittel schafft gegenseitige Hilfe mit Expertise und | |
technischem Zubehör eine alternative Basis. Spaß, der Wunsch sich zu | |
verwirklichen und das zu teilen, was man tut, genügen als Triebkraft. | |
Gewissermaßen stammt „HD Trailer“ somit selbst aus einer Parallelwelt. | |
Letztlich ist es auch ein gesellschaftliches Experiment, in dem das | |
musikalische stattfindet, das ganz wirklich immer neue Sphären schafft und | |
erhält. | |
6 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Tabea Köbler | |
## TAGS | |
Krautrock | |
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