| # taz.de -- Unsound-Festival in Krakau: Wohin wir tanzen | |
| > Das Unsound-Festival forscht an der Grenze des Hörbaren. Was auf den | |
| > Bühnen klanglich geschieht, wird im Gesprächsforum auf die Probe | |
| > gestellt. | |
| Bild: Meister Moondog liebte sie wie kaum jemand: traditionelle Gamelanklänge | |
| „You have the possibility now to write music that exists only in our | |
| collective mind … what is happening right there in the middle in the | |
| vacuum?“, fragt eine Stimme in den holzgetäfelten Ballsaal des Hotels | |
| Forum. Anna Zaradny, eine Größe der polnischen Elektronikszene, läuft auf | |
| der Bühne konzentriert um einen Tisch, dreht an Knöpfen, fabriziert | |
| Knistern, spielt Samples ab. Ein durchlaufender gerader Puls interessiert | |
| sie nicht, minutenlang lässt sie Text und Inhalt der eingewobenen Aufnahme | |
| dominieren. | |
| Im Nebenraum gestaltet Zaradnys Landsmann Paide das vollkommen anders. | |
| „Sonic Waves Enthusiast“ steht auf seinem Shirt, und passend dazu jagt er | |
| den Rhythmus über sonische Basswellen ganz unmittelbar durch den Leib in | |
| die Füße. Es ist die erste von drei großen Feiern in dem modernistischen | |
| Bau, einem ehemaligen sozialistischen Prestigehotelprojekt, allesamt Teil | |
| des [1][Unsound-Festivals in Krakau]. | |
| Zum vierzehnten Mal hat Mat Schulz das Unsound kuratiert. Dislocation | |
| lautet das bewusst offen gehaltene Konzept. Die Musik, die hier ihren Platz | |
| findet, sucht nach der Grenze des Machbaren, Hörbaren, nach neuen Klängen | |
| und Wirkungen, neuer Technik, forscht in neuen intermedialen | |
| Brückenschlägen, neuer Aufführungspraxis, neuen Themen. | |
| Schulz’ursprüngliche Motivation, das Festival zu organisieren, erwuchs aus | |
| der Begeisterung für die sozialistische Untergrundmusik Polens. Damals wie | |
| heute ist das Festival fest in der Szene des Landes verwurzelt – und | |
| unmittelbar mit dem Politischen in der Musik verknüpft. Als eine von vielen | |
| möglichen Interpretationen von dislocation finden sich schwerpunktartig | |
| Künstler auf dem Festival, die Elemente traditioneller Musik aus | |
| verschiedenen Kulturkreisen in einen neuen Kontext transportieren. | |
| ## Kulturhybridisierung oder Imperialismus | |
| Etwa das Kollektiv F5 aus Uruguay, die mit live gespielten | |
| Candombé-Trommeln Techno einen neuen Taktgeber leihen. Eomac aus Irland, | |
| der hier „Bedouin Trax“ erstmals vorstellt, mischt islamische Musik zu | |
| Techno. Und der libanesische Künstler Rabih Beaini, der mit dem ersten | |
| Schlag jedes Sets hinter seinem Pult wild zu tanzen anfängt, trifft mit | |
| einer 808-Drum-Machine auf das indonesische Duo Senyawa, die | |
| Klangtraditionen ihres Landes mit theatralischem Metal auf selbstgebauten | |
| Instrumenten kombinieren. | |
| Was auf den Bühnen klanglich geschieht, wird im Gesprächsforum diskursiv | |
| auf die Probe gestellt. Florian Meyer, als Don’t DJ auf der Bühne, fragt im | |
| Talk „Authentic Exoticism“, ob das Verwenden exotischer Elemente eine | |
| positive Kulturhybridisierung sei – oder vielleicht doch eher Teil des | |
| westlichen Imperialismus. | |
| Da während der Vorbereitungen des Festivals mit dem Brexit eine unerwartete | |
| Form von dislocation für das internationale Organisationsteam Realität | |
| wurde, beschlossen die Kuratoren, mit Absicht als Zeichen gegen das | |
| Auseinanderdriften britische Künstler hervorzuheben. Samstagnacht gehörte | |
| die große Bühne im Forum ausschließlich britischen Künstlern. | |
| Viele der geladenen Künstler thematisieren aktuelle Entwicklungen. Das | |
| griechische Kollektiv Embassy For The Displaced zeigte „Where Land Meets | |
| Sea“, einen Kunstfilm über die Zustände auf der Insel Lesbos, wo Tausende | |
| Geflüchtete strandeten, den der britische Ambient-Noise-Künstler Helm | |
| vertonte. | |
| Dean Blunt mit seinem Projekt Babyfather geht Gesellschaftskritik in seinen | |
| Texten subversiver und persönlicher an, rappt über Alkoholprobleme und | |
| Eifersucht, Sex und wie er nicht funktioniert und provoziert aus dem Nebel | |
| aus Dampf und Bass heraus in alle Richtungen. Death Grips, die ihr erstes | |
| Konzert in Polen spielen, treffen trotz ähnlich bissigem Gestus und ihrem | |
| charakteristisch garstigem Sound vor allem auf Jubel und springende Massen. | |
| Überhaupt ist das meiste von dem, was hier erklingt, vor allem ein direktes | |
| körperliches, bislang meditatives Erlebnis. Die | |
| Industrial-Ambient-Kooperation Body Sculptures bestreitet das letzte | |
| Konzert am Sonntag gemeinsam mit der Sinfonietta Cracovia in der | |
| Filharmonia Krakowska. Synthesizer und verzerrter Wave-Gesang treffen auf | |
| klirrende Bläser und Streicherflimmern, bis ein allumfassendes Dröhnen den | |
| Klangraum ganz und gar für sich einnimmt. Die Augen sehen die Geigen wild | |
| spielen, die Ohren hören nichts. | |
| Führt man sich die Unmöglichkeit eines ähnlich gewagten Klangexperiments am | |
| selben Ort vor dreißig Jahren vor Augen, erhält man eine weitere Randnotiz | |
| über die politische Dimension von Klang. | |
| 25 Oct 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.unsound.pl/ | |
| ## AUTOREN | |
| Tabea Köbler | |
| ## TAGS | |
| Techno | |
| Krakau | |
| Festival | |
| elektronische Musik | |
| Krakau | |
| Krautrock | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| elektronische Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Musikfestival in Polen: Flower-Power, polyrhythmisch | |
| Das Unsound-Festival in Krakau ist auf der Suche nach neuen Klängen. Dort | |
| ist nun auch die Musik des Komponisten Moondog angekommen. | |
| Gruselkrautmusik von Datashock: Verdammt gutes Lauschgift | |
| Das saarländische Experimentalkollektiv Datashock komponiert akustische | |
| Gespenstergeschichten. Es ist ein psychedelisches Labyrinth. | |
| Experimentelle Musik: Sound der friedlichen Koexistenz | |
| Moscoman veröffentlicht sein Debütalbum „Shot in the Light“ und mischt | |
| orientalische Sounds zu einem tanzbaren Eklektizismus. | |
| Elektronikfestival „Unsound“ in Krakau: Geschichte tanzen | |
| Die Genres verflüssigen sich: Das hervorragend kuratierte und praxisnahe | |
| Elektronikfestival „Unsound“ in Krakau. |