Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Musikfestival in Polen: Flower-Power, polyrhythmisch
> Das Unsound-Festival in Krakau ist auf der Suche nach neuen Klängen. Dort
> ist nun auch die Musik des Komponisten Moondog angekommen.
Bild: Meister Moondog liebte sie wie kaum jemand: traditionelle Gamelanklänge
„Wir spielen alles genau so, wie Moondog es aufgeschrieben hat“, sagt der
schwedische Künstler Stefan Lakatos und beugt sich über die Trimba. Die
Trommel aus dreieckigen Holzkästen, die er mit einer Rassel schlägt, klingt
warm und sonor. Er begleitet die Gruppe Kyai Fatahillah – ein Gamelan-,
also ein traditionelles indonesisches Ensemble. Gemeinsam spielen sie
Stücke des Komponisten Moondog – zum ersten Mal überhaupt in einer solchen
Besetzung.
Das Konzert am Samstag ist Teil des Unsound-Festivals in Krakau. In
gemusterten Hemden und schwarzen Kappen sitzen die Musiker im Schneidersitz
auf der Bühne des modernen Kongresszentrums ICE, ihre Körper bewegen sich
mit der Musik und machen die sprachlose Kommunikation zwischen den Spielern
sichtbar. Den gewaltigen Xylophonen vor sich entlocken sie Patterns, die
sich aufschichten, melodiös verweben und rhythmisch gegeneinanderlaufen.
Gelegentlich spielt eine Bambusflöte dazu.
Sie spielen knapp zwei Dutzend kurze Stücke, darunter so bekannte wie
„Voices of Spring“ von 1971. Jedes ist anders – manches wie ein fröhlich…
Pfeifen aus den Straßen New Yorks, manches polyrhythmisch verschlungen. Am
Ende stehen sie da, barfuß, fassen einander lachend um die Schultern und
blicken in ein stehendes Publikum, das tosend applaudiert.
## Der Minimal Music zugerechnet
Moondog, eigentlich Louis Thomas Hardin, wurde 1916 geboren. Als Kind
besuchte er oft ein Reservat der Arapaho, deren Rhythmen ihn inspirierten
und all seinen Kompositionen zugrundeliegen. Mit 16 Jahren verlor er sein
Augenlicht bei einem Sprengstoffunfall. Auf der Blindenschule in Iowa
lernte er Violine und Klavier und begann schließlich in Eigenregie
akribisch Kontrapunkt zu studieren – jenes konservative kompositorische
Prinzip europäischer Musiktradition machte er zu seinem Dogma und schuf ein
ureigenes Werk, das klanglich am ehesten der amerikanischen Minimal Music
ähnelt.
1943 ging er nach New York und nannte sich Moondog, nach seinem
Blindenhund, der nicht aufhören wollte, den Mond anzuheulen. In
Wikingerkluft spielte er auf seiner selbstentworfenen Trimba und einer
Zither Straßenmusik in der 6th Avenue und wurde zur Berühmtheit Manhattans.
Jahrelang ging er bei den Proben der New Yorker Philharmoniker ein und aus.
Wenn er dirigierte, führte er das Orchester als gleichberechtigtes Mitglied
mit seiner Trommel an, ähnlich wie in der Spieltradition des Gamelan die
Trommel Kendang das Tempo leitet, Anfang und Ende vorgibt. 1974 reiste
Moondog zu zwei Konzerten nach Deutschland – und blieb dort bis zu seinem
Tod 1999.
Nun ist er also auch in Krakau angekommen. Stefan Lakatos, ein langjähriger
Freund und Schüler Moondogs, hat das Projekt initiiert. Zwei Wochen
verbrachte er in Indonesien, um mit dem achtköpfigen Gamelanensemble Kyai
Fatahillah unter der Leitung des renommierten indonesischen Komponisten
Iwan Gunawan die Stücke zu erarbeiten. Die Instrumente wurden eigens für
das Projekt gebaut, um westliche Tonarten spielen zu können. Es sind
Xylophone und Marimbas aus Bambusrohren in unterschiedlichen Größen und
Formen. In Indonesien heißen sie Gambang und Jegog und sind traditionelle
Instrumente, obgleich die im Gamelan typischen metallenen Glockenspiele und
Gongs in dieser Besetzung fehlen.
## Neue Funktionen von Musik
Seit 15 Jahren präsentiert das Unsound-Festival in Krakau eine Oktoberwoche
lang Künstler aus den Randgebieten der Popmusik, die nach neuen Klängen,
Ausdrücken und Funktionen von Musik suchen. Stilistische Grenzen gibt es
nicht, obgleich ein großer Teil dem elektronischen Spektrum zuzuordnen ist.
Die ebenso unterschiedlichen Austragungsorte sind quer über die Stadt
verteilt: Im brutalistischen Hotel Forum am Weichselufer, einem ehemaligen
Prestige-Bau aus dem Spätsozialismus, finden pulsierende Technopartys
statt.
Im historischen Juliusz-Słowacki-Theater sitzt das Publikum unter barocken
Fresken und mit rotem Samt behangenen Balkonen. Mit intermedialen
Brückenschlägen und Diskussionen sucht das Festival auch immer nach
intellektuellem Diskurs und gesellschaftlicher Verortung. In diesem Jahr
hat Festivalgründer und Kurator Mat Schulz „Flower-Power“ zum Thema gemacht
– mit der selbst erklärten Absicht, einer von Unsicherheit und moralischen
Erdrutschen geprägten Welt etwas entgegenzusetzen.
18 Oct 2017
## AUTOREN
Tabea Köbler
## TAGS
Krakau
Festival
Festival
Ambient
Straßenmusik
Techno
Global Pop
Musik
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Unsound“-Festival in Krakau: Beim Splongeflux stockt der Atem
„Unsound“ widmet sich Dada und KI: Das Elektronik-Festival in Krakau bleibt
interessiert an Neuem. Eine Bilanz der Ausgabe 2023.
Neues Album von US-Künstlerin Grouper: Die Gegenwart drängelt in die Lücke
Traumverloren somnambul: Liz Harris veröffentlicht unter ihrem Alias
Grouper watteweichen Ambient-Sound. „Grid of Points“ heißt ihr neues Werk.
Der große Auftritt eines Straßenmusikers: Singen gegen Joko & Klaas
Der Straßenmusiker Sinan Öztürk tut alles für Musik – sogar zum
Spontanauftritt bei Joko und Klaas’ neuer Show ließ er sich hinreißen.
Warum tut man sich das an?
Unsound-Festival in Krakau: Wohin wir tanzen
Das Unsound-Festival forscht an der Grenze des Hörbaren. Was auf den Bühnen
klanglich geschieht, wird im Gesprächsforum auf die Probe gestellt.
Global Pop-Festival in Berlin: Regenguss und Sufi-Trance
Das „By The Lake“-Festival ist wie ein Weltmusik-Festival für Leute, die
das Wort „Weltmusik“ hassen.
15. Todestag des Musikers Moondog: Der Wikinger der 6th Avenue
Im Sommer 1974 zog der blinde New Yorker Künstler Louis Hardin in die BRD.
Seine Percussion-Musik mit Anleihen aus Jazz und Klassik ist singulär.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.