# taz.de -- Postpunk-Schwaben-Musik: Keine Zeit für Zärtlichkeit | |
> Schon wieder Postpunk aus Stuttgart: Die Band Karies und ihr | |
> anstrengendes, aber auch schönes Album „Es geht sich aus“. | |
Bild: Wahrscheinlich wurden sie durch den Genuss von Maultaschensuppe hypnotisi… | |
„Alles ist wahr und es ist vernünftig, wie es ist“, singt Benjamin Schröt… | |
trocken, ja er ruft es fast. „Alles muss sich ändern, um zu bleiben, wie es | |
ist“, so singt er weiter und wiederholt noch mal „Alles muss sich ändern�… | |
Das Stück heißt „Jugend“ und ist auf dem schönen Debütalbum „Es geht … | |
aus“ von Karies, das kürzlich beim Label This Charming Man erschien. | |
Wer die dem Titel zugrundeliegende österreichische Redewendung kennt, dem | |
wird auch der nüchterne Ausdruck etwas sagen. „Es geht sich aus“ bedeutet | |
„wird schon wieder“ oder „passt schon“. In den Albumtitel lässt sich | |
allerdings auch ein Abgesang auf den Positivismus hineinlesen. Und eine | |
Menge Passivität. Er wirkt wie das klingende Manifest einer Bewegung, die | |
noch gar nicht weiß, dass es sie gibt – und die mit der Erkenntnis ihrer | |
Existenz schon eines ihrer Ziele erreicht hätte. | |
Auf musikalischer Ebene führen Karies eine Reihe klanglicher Traditionen | |
weiter, die mit lauten Gitarren den Istzustand infrage stellen. Freilich | |
klingen Karies beim Lärmerzeugen noch etwas unschlüssig, sie wissen noch | |
nicht, in welche Richtung genau es gehen soll. | |
Auf jeden Fall steckt in ihrem Sound die aufrührerische Energie des | |
britischen Postpunk, aber auch die dissonante Experimentierfreude von | |
No-Wave, und gelegentlich kommt auch der polare Permafrost von Coldwave zum | |
Vorschein. All die Referenzen und Zitate wirken hingeworfen, nie | |
schwerfällig. | |
## Die Direktheit der Muttersprache | |
Die vier Musiker kommen aus Stuttgart, genauer: aus dem direkten Umfeld der | |
Band Die Nerven. Diese Nähe ist hörbar, aber Karies klangen immer schon | |
dichter und rauer als ihre Kollegen. In stoischer Wiederholung treiben Bass | |
und Schlagzeug maschinengleich durch alle Songs. Sie halten die | |
minimalistischen Melodien und fragmentierten Texte zusammen. Alles ist auf | |
das Wesentliche eingedampft, fast zu karg. | |
Über dem sehr eingängigen Bassriff, der wirkt wie eine Karikatur seiner | |
selbst, heißt es in „Keine Zeit für Zärtlichkeit“: „Du glaubst, es nic… | |
schaffen, doch sei ganz beruhigt / Das Leben wird mit allem fertig / Das | |
Leben wird auch mit dir fertig“. Darin schwingt wieder die Passivität mit, | |
die auch Hilflosigkeit bedeuten kann. Auch Pathos taucht in den | |
Textfragmenten auf. Irgendetwas bewahrt Karies aber stets davor, prätentiös | |
zu wirken, und macht die Direktheit der Muttersprache erträglich. | |
Vielleicht ist es die Ironie, vielleicht auch das Bruchstückhafte der | |
Musik. | |
„Es geht sich aus“ bricht im Gleichschwung aller Instrumente an. Nahtlos | |
verzahnen sie sich in ein nervös tänzelndes, repetitives Miteinander. | |
„Siehst du mich nicht neben dir, da steh ich doch“, ruft Schröter und wird | |
lauter als sonst. Isolation – die Unfähigkeit, sich zu binden – ist das | |
wichtigste Thema der Texte. | |
Ein vergleichbarer Zustand findet sich auch in den vielen offenen Melodien, | |
in der Getriebenheit der Rhythmen, die sich kaum je verlangsamen, und in | |
der ständig dräuenden Anspannung, die eher lauert, als dass sie offen | |
ausbricht. Überhaupt tritt der Songtext bei Karies wie ein | |
gleichberechtigtes Instrument auf, das ergänzt und illustriert, so wie es | |
die Musik umgekehrt auch zu tun vermag. | |
## Opti-Pessimismus-Glas | |
Kurz vor dem Finale bricht das Tempo schließlich doch ein. In dem Song | |
„Einheiten“ drückt eine verzerrte Gitarre bluesige Wendungen aus. Auch | |
inhaltlich tritt der Widerspruch, den Karies verschärfen, hier am | |
deutlichsten zutage: „Ich will, dass du verstehst / Warum du mich nicht | |
verstehst“. Es ist nur scheinbar eine auf ein Winziges reduzierte Forderung | |
nach Annäherung und Verbindung. Der Konflikt steckt schon in der Aussage | |
selbst. | |
Direktheit, aber auch das Abwegige und Komplizierte zeichnen den Stil von | |
Karies aus. Schon das Cover zeigt ein zur Hälfte mit Wasser gefülltes Glas, | |
was recht verlässlich Assoziation zu der bekannten Frage nach Optimismus | |
oder Pessimismus mit sich bringt. | |
Die Band macht Andeutungen, die keine mehr sind, ohne Aussagen zu treffen. | |
Trotzdem wirkt es nie platt. Vielmehr liegt dem eine kommunikative Methode | |
zugrunde, die eine gewisse Sicherheit gibt: Alles, was verstanden wurde, | |
ist richtig, obwohl es gar nicht gesagt wurde. Und das bringt ein Gefühl | |
von Verbundenheit mit sich, das all der besungenen Isolation entgegensteht. | |
15 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Tabea Köbler | |
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