# taz.de -- Band „Die Nerven“ über Angst: „Keine Welt für sensible Mens… | |
> Die Band „Die Nerven“ aus Stuttgart hat Angst. Angst vor Menschen ohne | |
> Meinung. Angst vor gesellschaftlichem Konsens. Und davor, dass die Butter | |
> teurer wird. | |
Bild: „Die Nerven“ sehen wirklich ein bisschen genervt aus. Sind sie auch, … | |
taz: In dem [1][Video zu „Angst“], einem Song von Ihrem Album „Fun“, si… | |
man Sie an einer Haltestelle stehen und mit einem Bus zu einem Jugendclub | |
fahren. Dort spielt die Band Tocotronic Playback zu Ihrer Musik. Wie sähe | |
das Setting für Ihre neuen Songs aus? | |
Julian Knoth: Wir suchen uns immer nichts sagende Orte für Videos. Das ist | |
faszinierend. Wenn ich mir Orte für andere Songtexte vorstelle, dann sind | |
das auch solche Nichtorte. „Gerade deswegen“ ist für mich zum Beispiel ein | |
Song, wo jemand durch die Straßen läuft. | |
Max Rieger: Da stell ich mir immer so eine Einkaufspassage vor, und da | |
sitzt einer, und seine Nase blutet. | |
Knoth: Und die Leute starren ihn an. Das ist eigentlich auch die Aussage | |
des Songs. Was geht in so einem vor? Er ist an einem Nichtort, an einem | |
Ort, wo eigentlich niemand auffällt. Aber er fällt eben auf, weil seine | |
Nase blutet. | |
In Ihrem Song „Dreck“ singen Sie, was Sie an sich selbst und an der Stadt | |
stört. Wie haben Sie diesen Text geschrieben? | |
Knoth: Den Song habe ich aus einer beschreibenden Perspektive geschrieben. | |
Der Originaltext war „Du machst den Mund auf / zählst deine Narben / deine | |
Frisur stört dich unheimlich / deine Haut juckt.“ Wir haben darüber | |
diskutiert und fanden, dass es viel zu wertend ist. Dann hab ich den Text | |
auf mich selbst gedreht, also „Ich mach den Mund auf / zähl meine Narben“ | |
und sofort. Wenn ich über mich singe, ist es nicht mehr wertend, und dann | |
kann ich den Text so machen. Wir reden viel über Texte und tauschen uns | |
aus. Wenn einer sagt: „Dieses Wort klingt voll blöd“, dann versuchen wir | |
eine Lösung zu finden, bis es gut klingt. | |
Rieger: Für den Songtext von „Barfuß durch die Scherben“ hatte ich mir | |
vorgenommen, einen Text über uns als Band zu schreiben, wie wir touren. | |
Alle stellen sich das glamourös vor: „Boah, geil! Die touren jetzt voll | |
rockstarmäßig.“ Aber de facto sitzen wir immer im Bus und verbringen viel | |
Zeit auf Raststätten. „Barfuß durch die Scherben“ ist ein Song über | |
Raststätten. Auch so Orte, die unwirklich sind. | |
Ihre Texte sind prägnant und klingen wie aggressiv vorgetragene Gedichte. | |
Sie halten sich an kein übliches Strophe-Refrain-Schema. Wie entstehen | |
solche Texte? | |
Knoth: Es sind Worte und Sätze, die in meinem Kopf auftauchen und die ich | |
dann aufschreibe. Verschiedene Satzstücke, die anfangs noch nichts | |
miteinander zu tun haben, bastle ich dann wieder zu etwas zusammen. Ich | |
collagiere sie, indem ich Gedanken aufsammle und sie wieder neu | |
zusammensetze. Meine Herangehensweise geht auch so ein bisschen in die | |
Dada-Richtung. | |
Rieger: Ich habe festgestellt, dass ich nur Texte schreiben kann, wenn’s | |
mir nicht gut geht. Es sind Gemütszustände, und ich versuche, diese | |
auszudrücken, ohne sie zu offensichtlich werden zu lassen. Die Kunst ist, | |
Worte zu finden, die in dem Kontext auf die Art und Weise noch nicht | |
verwendet worden sind. Wenn ich schreibe, dann schreibe ich sehr viel. Und | |
irgendwann hab ich 20.000 Zettel, und dann nehm ich mir einen raus, wo ich | |
auf den ersten Blick sehe, okay, das könnte jetzt taugen – für den Moment, | |
für den Song. | |
Knoth: Es geht bei den Texten von uns beiden auch immer sehr stark um den | |
Klang der Worte, wir setzen sie quasi als Instrument ein und weniger, um | |
mit ihnen eine konkrete Aussage zu treffen. | |
Wann entsteht die Musik dazu? | |
Rieger: Die Musik entsteht erst mal unabhängig davon. Wir fangen an zu | |
spielen. Irgendwann sagen wir dann: Stopp, das könnte ein Anfang sein. | |
Innerhalb weniger Sekunden ist ein Text da. Das muss intuitiv sein. | |
Manchmal sind das auch Leerstellen. Dann gibt’s ein Demo, eine | |
Probeaufnahme, und ich setz mich zu Hause hin und schreib noch einen | |
zweiten Vierzeiler. | |
Knoth: Alles ist also zusammengebastelt, collagiert. | |
Sie meinten bei einem Interview, dass bei Ihnen die Devise war, möglichst | |
laut zu sein und viel Lärm zu machen. | |
Knoth: Damals wollten wir Aufmerksamkeit bekommen. Wir mussten von uns | |
überzeugt sein, als wir angefangen haben, weil da sonst niemand war. Wir | |
mussten es uns selbst einreden. Wir mussten so laut sein. | |
Rieger: Vielleicht auch als Stilmittel. | |
Ihre Songs sind immer noch laut und hören sich wütend an, Ihre Grundhaltung | |
wirkt ziemlich rebellisch. Viele nennen Sie deshalb eine Punkband. Was | |
macht Sie denn so wütend? | |
Rieger: Wenn Butter schon wieder 20 Cent teurer geworden ist. Oder Tabak. | |
Also, dann bin ich wütend. | |
Und Sie, Herr Kuhn? | |
Kevin Kuhn: Eher verängstigt. | |
Rieger: Das bin ich auch. | |
Knoth: Ja, wir sind unsicher. Das überspielen wir bloß immer. | |
Kuhn: Nicht unsicher, aber ich kann gar nicht durch Stuttgart laufen, ohne | |
meine Kopfhörer und meinen Walkman auf Anschlag zu haben. Ich muss mich | |
abschotten. | |
Was macht Ihnen Angst? | |
Kuhn: Ein Beispiel wäre, wenn Leute zu sehr mit sich selbst beschäftigt | |
sind. Und auch, wenn Menschen keine eigene Meinung haben, aber sich einem | |
populären Konsens anschließen. | |
Knoth: Eigentlich geht’s uns darum, dass wir machen können, was wir wollen. | |
Und das wollen wir auch durchsetzen. Dafür stehen wir ein und kämpfen wir. | |
Das wirkt dann möglicherweise rebellisch. | |
Rieger: Wir wollen ja nicht anklagen, sondern einfach immer bloß | |
durchprügeln, dass wir das machen können, was uns interessiert, und dass | |
wir uns nicht an irgendwelche Bewertungskriterien halten müssen. | |
Hatten Sie das Gefühl, es bestünde Druck, in Businessstrukturen | |
hineinzupassen ... | |
Knoth: Dass die da sind und es keinen Ausweg gibt. Und das hat uns auch | |
früher wütend gemacht. Jetzt haben wir Strukturen gefunden, die anders sind | |
und die wir selbst geschaffen haben. | |
Kuhn: Ich hab das Gefühl, dass man in der Realität gar nicht funktionieren | |
kann, sich in irgendwas hervortun kann, weil einem gar nicht die Chance | |
dazu gegeben wird. Manchmal merken die Leute gar nicht, wie scheiße sie | |
sind. | |
Warum? | |
Kuhn: Als ich mit dem Zug hierhergefahren bin, war da eine Familie, die | |
sich nur angeschrien hat. Nur weil sie versucht hat, Sitzplätze zu finden. | |
Es ist einfach der alltägliche Umgang. Zoff bei so harmlosen Dingen. | |
Vielleicht bin ich auch einfach nur zu sensibel. | |
Rieger: Es ist auf jeden Fall keine Welt für sensible Menschen. | |
Knoth: Genau. | |
Kuhn: Ich möchte aber lieber sensibel als abgestumpft sein. | |
Sie mögen es nicht, mit anderen Bands verglichen zu werden ... | |
Kuhn: Gern mit Nirvana, warum nicht? (alle lachen) | |
… oder in irgendein Genre gepresst zu werden. Was stört Sie daran? | |
Knoth: Schubladendenken. | |
Rieger: Diese Einschränkung. Dieses Einordnen, Absortieren, Abheften, | |
Ad-acta-Legen. | |
Warum haben viele Leute dieses Bedürfnis, Musik einzuordnen? | |
Rieger: Weil man durchaus an der Komplexität der modernen Welt verzweifeln | |
kann, wenn man nicht anfängt, sie fein säuberlich in Rechtecke zu | |
organisieren. | |
Knoth: Das macht ja jeder für sich selbst, aber es ist überheblich, wenn | |
das als Meinung vorgegeben wird. | |
Rieger: Vor Kurzem haben wir erfahren, ein namhafter Kritiker denkt, wir | |
seien arrogant, weil wir sagen, dass wir was Eigenes machen ... Das ist | |
doch total abstrus. Jemanden dafür zu beleidigen, dass er sein eigenes Ding | |
macht, das find ich so bizarr. Das ist wirklich arrogant. Ich mach doch | |
nicht irgendwas, was es schon 20-mal gegeben hat. | |
22 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ZwtAntTR8q4 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
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