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# taz.de -- Neue Postpunk-Alben: Katzengold für die Krise
> Wut, Nachdruck und Glanz: Bands wie Candelilla und Die Nerven beweisen
> mit zündenden Alben, dass in Sachen Postpunk noch einiges geht.
Bild: Zerpflücken romantische Liebeskonzepte: Candellila.
Wie soll man musikalisch auf die Krise reagieren? Was ist die Musik
zurzeit? Hierzulande versucht man es momentan mit einer altbekannten, aber
deswegen nicht weniger interessanten oder relevanten Antwort: Postpunk.
Candelilla – zweites Album „Heart Mutter“ – und Die Nerven – Debütal…
„Fluidum“ – sind die südlichen Vertreter einer neuen Musikergeneration, …
sich lose um diese Genreeinordnung versammeln lässt. Dazu gehören die
Hamburger von 1000 Robota und Trümmer, in entfernterer Verwandtschaft auch
Zucker, und Messer aus Münster, Kollegen von den Nerven auf dem Label This
Charming Man.
Man könnte fast von einer kleinen Bewegung sprechen, da sie einen Gegenpol
zu den poppigeren deutschsprachigen – wobei Ja, Panik und Candelilla auf
Deutsch und Englisch singen – Bands bilden, die vom Berliner Label
Staatsakt vertreten werden: Ja, Panik, Hans Unstern, Die Türen oder Die
Heiterkeit. Die Nerven veröffentlichen nun ihr Debütalbum „Fluidum“. Laut
Fremdwörterlexikon erstens „etwas Fließendes“ und zweitens „die von etw…
oder jemand ausgehende Wirkung“.
Das von dem Album ausgehende Fluidum: Trotz, Wut, aber auch Stolz auf das
Außenseitertum, bisweilen wurde der All-Boy-Band deswegen schon Arroganz
und Überheblichkeit vorgeworfen. In Kombination mit dem Endzeitpathos der
Texte und den Noise-Einflüssen in der Musik erinnern Die Nerven an alte
Helden des Westberliner Noise-Punk wie Mutter.
## Stolz auf das Außenseitertum
Aber der Reihe nach: Aufmerksamkeit erregten die Stuttgarter zunächst mit
ihrem Cover von Lana Del Reys „Summertime Sadness“. Im Vortrag und in der
Übersetzung von Nerven-Sänger Max Rieger gewinnt die trotzige Lebenslust
von „Sommerzeit Traurigkeit“, wie die Bearbeitung heißt, an Nachdruck: „…
trage heute mein rotes Kleid / Ich fühle mich heute Nacht elektrisch / Habe
meinen Schatz an meiner himmlischen Seite / Vor nichts fürchte ich mich
mehr.“
Dazu haben Die Nerven in Anlehnung an das Original eigens ein Video mit
Aufnahmen einer 8-mm-Kamera produziert. Erstes Bild: die Ankunft in
Amerika. Auf „Fluidum“ fällt das ironisch-subversive Spiel mit den Rollen …
Mann singt Frauentext – weg.
Das ist einerseits eine verpasste Gelegenheit, andererseits wäre dann die
überraschende Stimmigkeit des Debüts vermutlich nicht in der Form
durchzuhalten gewesen. Die Grundhaltung ist auf dem gerade 30 punkige
Minuten dauernden Album wie im Song „Die Bösen“ formuliert: „Ich sehe 1.…
Menschen / Die wissen, was sie wollen / Ich sehe 1.000 Menschen / Und ich
bin nicht dabei.“
Zu rohem, trockenem Sound der in der klassischen
Gitarre-Bass-Schlagzeug-Besetzung antretenden Nerven wird das Vokabular der
Antriebslosigkeit und das unabdingliche Warten auf den Tod durchdekliniert:
„Ich folge einer Linie bis in den Tod / Morgen ist es so weit“, heißt es im
Stück „Bald“.
## Existenzialisten-Punk
Durchbrochen wird das höchstens von ein wenig Kritik an der eigenen
Generation und sich selbst: Andere Frauen, Städte und Sprachen helfen auch
nicht, um uns vom Warten auf das Ende abzulenken – Existenzialisten-Punk.
Wesentlich postmoderner geht es dagegen bei Candelilla zu. Schon der Titel
„Heart Mutter“ ist aus zwei Sprachen zusammengeklebt, die Songtexte leben
von der Strategie der Bricolage: „Wir kitten Teil an Teil an Teil /Und
heraus kommt kein Ganzes“, singen sie in „30“.
Das spielt nicht auf das Lebensalter an, sondern gehört zum Konzept der
Band. Die Songs tragen keine Titel im eigentlichen Sinn, sie sind
durchnummeriert. Auf „Heart Mutter“ werden die Sprachversatzstücke Nummer
21 bis 34, ausgenommen 24, vertont.
Es versteht sich von selbst, dass es mit „28“, „30“ und „27“ losgeh…
keine Rücksicht auf vorgefertigte Abzählreime genommen wird. Die Einflüsse
reichen von Noise über Punk bis zu den Riot Grrrls, immer wenn das Klavier
erklingt, denkt man kurz an die Dresden Dolls.
## Groove trotz Lärm
Produziert wurde „Heart Mutter“ von Steve Albini in Chicago, der schon mit
Schwergewichten wie den Pixies, The Jesus Lizard oder Nirvana
zusammengearbeitet hat. Sein Klangbild ist trocken, jeder Schlag, jeder
Akkord mit Bestimmtheit und bewusst gesetzt.
Das hindert Candelilla aber nicht daran, trotz allem Lärm ziemlich zu
grooven wie im Song „25“, in dem die Rhythmusmaschine aus Bass, Schlagzeug
und einem Basslauf auf dem Klavier den Song auf simple, aber wirkungsvolle
Weise vorantreibt.
Textlich halten es Candelilla mit Slogans: „Wir sind viel klüger als euer
hot, hot topic“, heißt es in „21“. „If you call it surface / I call it
truth“ in „26“ oder „This is just a romantic concept“ in „23/33“.…
kann als eine Maxime für das ganze Album gelten. Candellila haben ein
romantisches Konzept: hier das Subjekt, die Band, die Liebe, das Ganze,
alles wird zerlegt und versuchsweise wieder zusammengekittet, um es gleich
wieder zu zerstören.
Nur eine Forderung hat Candelilla noch: „Was uns noch zusteht / Ist, uns
selbst wiederzufinden / In all dem hässlichen Sumpf / We find some golden
mica!“, schreit die Band in „30“. In all dem hässlichen Sumpf ein wenig
Katzengold. „Heart Mutter“ und „Fluidum“ trotzen den Krisenzeiten mit e…
gehörigen Portion Wut musikalischen Glanz ab.
21 Feb 2013
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
## TAGS
Postpunk
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