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# taz.de -- Neue Dub-Alben: Punky Reggae Party mit House
> Die Alben von The Orb mit Lee Perry, Adrian Sherwood und Kings of Dubrock
> spielen mit der Dialektik von Kontinuität und Bruch. Sie schweben im
> „Hardcore Continuum“.
Bild: In drei neuen Dub-Alben treten Bass und Beat zum dialektischen Tanz an.
„Dub ohne Bass ist wie Bach ohne Finger – impossibile.“ So spricht Jacques
Palminger von den Kings of Dubrock. Der Bass von The Orb ist mächtig genug,
um einen Rave zusammenzuhalten. Einen Rave britischer Prägung wohlgemerkt,
die Fortsetzung der Punky Reggae Party der späten Siebziger mit den Mitteln
von House und Techno.
Später verästelt sich die Rave-Linie, es kommen (und gehen): Jungle, Drum
’n’ Bass, Garage, Two-Step, Grime, Dubstep, UK Funky …
Hardcore Continuum hat der britische Kritiker Simon Reynolds diese seit 35
Jahren heißlaufende Spirale genannt: Neuerfindung, Etablierung, Zerstörung,
Neuerfindung … die ewige Dialektik von Kontinuität und Bruch, Bass und
(Break-)Beats.
Reynolds wurde kritisiert für sein Hardcore Continuum, klar kann man die
verschlungenen Wege von Punk in London 77 zur – als Beispiel – gerade nach
Südafrika schielenden Bassmusik aus dem Hause Hyperdub nicht auf den einen
verbindlichen Begriff bringen.
## Dunkelmänner-Postpunk
Dennoch eignet sich Hardcore Continuum als Arbeitstitel, unter dem sich die
drei vorliegenden Neuerscheinungen besprechen lassen. Auf diese oder jene
Art bewegen sich die beteiligten Künstler darin oder fühlen sich diesem
musikethisch und -ästhetisch verpflichtet, ohne das jemals so zu
formulieren.
Das fleischgewordene Hardcore Continuum ist der Gründer von The Orb, Dr.
Alex Paterson aus dem Londoner Stadtteil Battersea. Angefangen hat er als
Roadie bei Killing Joke, Hardcore an deren Dunkelmänner-Postpunk war vor
allem der wuchtige Bass von Martin „Youth“ Glover.
Unter dem Namen Youth ist der Jugendfreund von Paterson bis heute ein
gefragter Produzent und Garant für Bassvolumen. Auf dem neuen
Orb-&-Perry-Album spielt er Bass, zudem hat er einen Remix angefertigt,
sprechender Titel: „Youth Gigantic Dreadnaught Dub Mix“.
Paterson bezeichnet sich selbst als „Punk & Acid House Veteran“, er ist für
immer Punk, weil er nicht bei Punk hängen geblieben ist, für immer Acid
House, weil er nicht bei Acid House hängen geblieben ist. Das gilt für alle
Kandidaten hier.
## Mit Palais Schaumburg um die Welt
Auch für Thomas Fehlmann, Patersons Partner bei The Orb. Fehlmann,
Schweizer in Berlin, produziert seit vielen Jahren Technotracks für das
Kölner Kompakt-Label.
Mit Gudrun Gut hat er den Ocean Club gegründet, und seit Ende 2011 feiert
er eins der spektakulärsten Comebacks seit Muhammad Ali: Mit Palais
Schaumburg reist er um die Welt, Japan dreht durch, gut 30 Jahre nach dem
Ende der Hamburger Postpunk-Band.
Pop macht Geschichte, Pop verhandelt seine eigene Geschichte. Auch auf „The
Orbserver in The Star House“. Paterson & Fehlmann treffen Lee Scratch
Perry. Mittlerweile 76, lebt Perry von dem Ruf, einer der großen Baumeister
der jamaikanischen Musik zu sein.
Als Produzent ist er vor allem in den siebziger Jahren verantwortlich für
die Blüte von Reggae und Dub. An die Glanzzeit erinnert das neue Album mit
einem Remake von „Police and Thieves“. Punkgeprägte kennen die
paradigmatische Straßen(kampf)szene von The Clash, mit denen Perry mal
zusammengearbeitet hat, das unschlagbare Original stammt von Junior Murvin.
## Problem des Gipfeltreffens
Auf Perrys Produzentenkonto geht auch „The Heart of The Congos“ von der
Vokalgruppe The Congos, das Roots-Reggae-Album, auf das sich alle einigen
können. Auf diesen Klassiker spielt hier der Track „Congo“ an, und da
beginnt das Problem des Gipfeltreffens.
The Orb verbinden von jeher die Liebe zum Dub mit zeitgenössischer
Elektronik, so wie sie den Geist von Punk mit dem von Rave kurzgeschlossen
haben. Lee Perry hat sich in den vergangenen Jahr(zehnt)en verwandelt: vom
begnadeten Produzenten zum Faktotum, zum Maskottchen seiner glorreichen
Vergangenheit.
Auch bei The Orb spielt Perry wieder den wunderlichen Schamanen, den crazy
Onkel aus dem Weltraum, der komisches kosmisches Zeug erzählt, und das mit
fremden Zungen. Als Produzent tritt Perry hier nicht in Erscheinung, das
übernimmt Thomas Fehlmann im hauseigenen Starhouse Studio, idyllisch
gelegen auf dem Landsitz in der Uckermark. Perry spricht, singt, brabbelt,
bramarbarsiert.
Nun ist der begnadete Produzent so wenig ein begnadeter Sänger, wie Mesut
Özil ein brillanter Torwart wäre. An die Honigstimmen der Congos kommt er
schon gar nicht ran. Komischerweise funktionieren die Reminiszenzen an die
eigenen Meisterwerke trotzdem.
## Echo von weit her
Genau als Reminiszenz, als Echo von weit her, der Kopf hört die alten
Originale mit und bleibt eben nicht beim naheliegenden Urteil, früher war
alles besser, stattdessen denkt der Kopf: Toll gemacht damals, Lee Scratch
Perry, danke, dass du mich noch mal dran erinnert hast.
Dass dieses Memory-Spiel klappt, liegt am flüssigen Groove von The Orb.
Fehlmann und Paterson tappen nicht in die Authentizitätsfalle, sie
versuchen erst gar nicht, den Dub-Sound der historischen Aufnahmen zu
rekonstruieren oder sich irgendwie irie ranzukumpeln.
Perrys Kindskopf-Gebrabbel wird zum puren Sound oder zum selbstironischen
Kommentar der eigenen Vergangenheit. Auch der Orb-Vergangenheit. Die
recyceln hier „Little Fluffy Clouds“ ihren Ambient-Rave-Hit von 1991.
„Also, Mr. Perry, wie hat eigentlich der Himmel ausgesehen, als Sie jung
waren?“, fragt Gudrun Gut mit ihrer Trademark-Lasziv-Stimme.
„Weiße Wolken, blauer Himmel“ krächzt Scratch. „Und goldene Wolken.“
„Golden Clouds“ heißt der Track. Auch der britische Produzent Adrian
Sherwood hat häufig mit Perry zusammengearbeitet. Er wächst auf im London
der Siebziger, mit Punk und karibischen Soundsystems.
## Produktive Konfrontation
1980 gründet er das On-U-Sound-Label, mit zweiundzwanzig. 30 Jahre später
stehen die Namen Sherwood und On-U-Sound noch immer für die produktive
Konfrontation von Punk und Reggae.
„Survival & Resistance“ heißt das neue Album, Überleben & Widerstand,
heroische Worte. Daran gemessen kommt die Musik zurückhaltend daher, für
Sherwoods Verhältnisse fast schon in sich gekehrt, der Berserker mal
kontemplativ.
Ein in sich ruhender Bass bildet das Gravitationszentrum dieser Miniaturen,
gesungen wird selten. Von der Militanz älterer On-U-Sound-Alben ist nicht
viel übrig, geblieben ist die Babylon-muss-fallen-Rhetorik und mit ihr ein
Anti-Imperialismus, der mit den Jahren nicht überzeugender wird.
„Kings of Dubrock inna Disco Style“ heißt es auf „Fettuccini“, hier is…
Bass meistens am Hüpfen, der heilige Ernst des Dub will sich nicht
einstellen. Am Hamburger Hafen trifft Hardcore Continuum auf Humor
Kontinuum. Humor Marke Pudel Club, dafür stehen Leute wie Viktor Marek
(alias Vittorio Marese, Produttionisti), Rica Blunck (Belezza Canto) und
Jacques Palminger (Voice Parole).
## Onomatopoetisches Namedropping
Der Tic mit dem Italienischen zieht sich wie ein Faden durch das Album, ein
grün-rot-weißer wie das Cover, das macht sich gut beim onomatopoetischen
Namedropping: „Tapper Zukie, Firehouse / Cicciolina, Eek-A-Mouse / Chica
Rica, Yellowman, in da speaker / Dillinger, Jacques Dutronc, Dalida, in da
Bong.“ Oder auch: „I-Roy, U-Roy, Fettuccini / Lio, Jacno, Sabatini / Tullio
De Piscopo / Celentano, Max Romeo.“
Bei Dubrock kommt es drauf an, was man draus macht. Hochkomikschnöseln wird
„Fettuccini“ nicht schmecken, zu fett, zu viel Hannibal Selector trifft
Germanys next Dub Model inna Club Pudel: „Wässer Deine Hundezunge / wir
spucken uns in die Lunge / Paranoia wie Aleister Crowley / Was wir sagen,
bleibt in St. Pauli streng vertrauly.“ Trau keinem outta Pauli.
The Orb ft. Lee Scratch Perry present: „The Orbserver in The Star House“
(Cooking Vinyl/Indigo)
Adrian Sherwood: „Survival & Resistance“ (On-U-Sound/Rough Trade)
Kings of Dubrock: „Fettuccini“ (Staatsakt/Rough Trade)
17 Sep 2012
## AUTOREN
Klaus Walter
## TAGS
Postpunk
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Brasilien
Techno
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