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# taz.de -- Hamburger Künstlerkollektiv HGich.T: „Auf der Bühne ist rechts…
> Das Hamburger Künstlerkollektiv HGich.T über neue Mitglieder im
> Rentenalter, Existenzängste und Songs über die Schule.
Bild: Dr. Diamond: „Wenn die Neonfarben leuchten, dann geht es allen ein biss…
taz: An Ihrem neuen Album „Lecko Grande“ hat ein ungewöhnliches neues
Bandmitglied mitgewirkt. Der Exstaatsanwalt und Filmkritiker Dietrich
Kuhlbrodt alias „Opa 16“. Wie kam es zu seinem Engagement?
DJ Hundefriedhof: Wir suchten gerade für das Video zu unserem Track „Ich
liebe dich, egal ob du 16 bist“ eine ältere Person. Dann hat die
Dramaturgin Nadine Jessen, die wir von unseren Auftritten im Theater
Kampnagel kennen, uns an Dietrich Kuhlbrodt vermittelt. Der hat sofort
zugesagt. Wir wären genau das, worauf er jetzt Lust habe.
Und warum passt er zu Ihnen?
DJ Hundefriedhof: Er ist ein cooler, total umgänglicher Mensch ohne
Allüren. Der legt gleich los, wenn er auf etwas Bock hat, und hat Spaß an
der Sache. Ihm gefällt es so gut bei uns, dass er sogar auf Gage
verzichtet. So richtig viel könnten wir ihm ohnehin nicht bieten. Aber er
war ja auch Staatsanwalt, der wird schon eine ordentliche Rente bekommen.
Ist Herr Kuhlbrodt auch bei Ihren Auftritten dabei? Immerhin ist er schon
80 und auf der Bühne geht es bei HGich.T nicht gerade glimpflich zu.
Maike: Bei Auftritten in und nahe Hamburg ist er mit dabei. Aber weitere
Strecken, im Neunsitzer, die macht er nicht mit.
Vor allem bei Jugendlichen hat HGich.T absoluten Kultstatus erreicht. Wie
das?
Maike: Ich habe letztens Post bekommen von einem Azubi, der seine
Ausbildung abgebrochen hatte und nicht mehr weiterwusste. Er meinte, wir
geben ihm Kraft, weil wir das machen, was wir wollen. Er wolle, wie wir,
auch nicht für Halsabschneider arbeiten, die sich die Scheine nur in die
eigene Tasche stecken.
DJ Hundefriedhof: Wahrscheinlich stehen wir für diesen Ausnahmezustand von
der eigentlichen Lage, dass man arbeiten muss, um Geld zu verdienen.
Und Ihre exzessiven Auftritte machen diesen Ausnahmezustand erfahrbar?
Dr. Diamond: Auf der Bühne herrscht bei uns eine Art rechtsfreier Raum, da
werden vor allem die ungeschriebenen, gesellschaftlichen Regeln außer Kraft
gesetzt. Da kann sich danebenbenehmen, wer möchte, ohne dafür verurteilt zu
werden.
Steckt dahinter Punk-Nostalgie? Ohne sich dem als Lebensform verschreiben
zu müssen. Nach dem Motto: eine Stunde ausrasten, und dann wieder in sein
biederes Leben zurückkehren?
Karla Knyh: Ich finde es gut, wenn HGich.T ein Ventil sein kann, um zu
sagen, heute ist mir alles egal. So völlig aus dem normalen Leben
auszusteigen, ist ja auch etwas, wovor sich die meisten hüten. Es wird
einem heute so viel Angst gemacht um die eigene Existenz, damit werden die
Leute unter Kontrolle gehalten. Dann geht es darum, sich einfach mal für
fünf Minuten davon zu befreien und loszulassen.
Dr. Diamond: Unser Mitglied Tutenchamun hat es mal ganz einfach gesagt:
Wenn schon, dann schon. Das ist die Idee von Exzess.
Das wird bei Ihnen immer gern mit Drogenkonsum in Zusammenhang gebracht.
Karla Knyh: Es gibt nun mal einige Themen, da horchen die Menschen sofort
auf: Wenn es um Drogen geht, aber auch wenn es um Sex, menschliche
Tragödien und Verfall geht. Das kickt am besten, aber auch nur dann, wenn
es einen nicht selbst betrifft. Niemand möchte ein Junkie sein, der am
Hauptbahnhof rumhängt, aber trotzdem gucken alle hin. Niemand möchte
Hartz-IV-Empfänger sein, trotzdem interessiert es alle, in was für Löchern
die so wohnen. Alle schalten gern den Fernseher ein und schauen sich den
Bodensatz der Gesellschaft an. Es ist Voyeurismus, so wie an einem
Autounfall vorbeizufahren. Man ist froh, dass man selbst nicht beteiligt
ist, und schaut trotzdem auf die Blutenden.
Auch in Ihren Songs werden Hartz IV, Drogen und Sex thematisiert. Sehen Sie
das als Persiflage auf diese Art Sensationsgeilheit?
Karla Knyh: So würde ich das nicht sagen. Wir selbst sind davon ja auch
nicht völlig ausgenommen.
DJ Hundefriedhof: Man kann unsere Show als Persiflage verstehen, aber man
kann aus uns auch ernsthafte Schlüsse ziehen. Ebenso lässt sich das, was
wir machen, als Lebensphilosophie sehen. Oder ein bisschen softer einfach
als Spaß. Diese Vielschichtigkeit ist ja gerade das Besondere an HGich.T.
Und die spiegelt sich auch im Publikum wieder. Da stehen Satanisten,
16-Jährige, VW-Golf-Fahrer Schulter an Schulter. Unser Ziel ist es, alle zu
vereinen.
Der Track „Die letzten Titten von Bethlehem“ von Ihrem neuen Album handelt
ähnlich wie der Smashhit „Hauptschuhle“ vom Debütalbum vom Scheißebauen …
der Schule. Was reizt Sie an der Schule als Themengebiet?
Karla Knyh: Damals, in der Schulzeit, ist viel mehr passiert. Nicht
wirklich, aber subjektiv empfunden, war mehr los. Wenn man älter wird,
passieren nicht mehr so viele überraschende Sachen. In der Jugend geschieht
vieles zum ersten Mal und das ist wahnsinnig aufregend. Deswegen ist die
Schule als Thema so spannend.
Ein anderer roter Faden, der sich durch Ihre Videoclips, Bühnenklamotten
und Klangwelt spannt, ist die Trash-Ästhetik der Neunziger. Was ist daran
reizvoll?
Dr. Diamond: Die meisten von uns sind in den Neunzigern aufgewachsen oder
waren damals jung. Und wenn es, wie damals, grässlich bunt ist, wenn die
Neonfarben leuchten, dann geht es allen ein bisschen besser.
DJ Hundefriedhof: Es hat auch viel damit zu tun, wie man mit wenigen
Mitteln Effekte erzielt. Was die Videos angeht, ist es zum Beispiel eine
einfache Art, Witz zu vermitteln. Wenn, wie im Video zu „Goa Goa MPU“ sich
das Rad vom fahrenden Motorrad nicht dreht, ist das sehr lustig.
Sehen Sie sich eigentlich eher als Musiker oder als Performancekünstler?
Maike: Bei uns gibt es beides, auch innerhalb der Gruppe.
DJ Hundefriedhof: Auf der Steuererklärung steht Performancekünstler. Wir
sind aber auch Cutter, Grafikdesigner, Kameramänner und -frauen. Da gibt es
mal erst einen Text, mal erst die Musik, mal erst ein Video. Diese
Mischformen sind auch letztendlich am wirksamsten. Die Kombination aus
allem, was geht, ist toll. Und was gibt es Schöneres, als gemeinsam mit
vielen Freunden daran zu arbeiten?
## HGich.T: „Lecko Grande“ (Tapete/Indigo), live: 10. 11. Krefeld, 17. 11.
Frankfurt am Main
9 Nov 2012
## AUTOREN
Carla Baum
## TAGS
Techno
Techno
Ai Weiwei
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