# taz.de -- Techno und Minimal aus Köln: Nachts im gelben Taxi | |
> Vogelgezwitscher, Glöckchen, Harfen, dann ein holpriges Orchester. | |
> Michael Mayer schickt sich mit „Mantasy“ an, den Kölner Minimalsound zu | |
> erneuern. | |
Bild: Italo-Disco weht direkt aus den Fenstern eines Yellow Cab. | |
Die Psyche ist eine raffinierte Angelegenheit. Einigermaßen besonders im | |
Speziellen, ein bisschen berechenbarer im allgemeinen Querschnitt. Vor | |
allem aber gibt es hübsche Mechanismen. Michael Mayer, Jahrgang 1971, | |
Technoproduzent und Teilhaber des Kölner Labels Kompakt, hat sich dieses | |
Räderwerk zunutze gemacht – das Ergebnis, sein neues Album „Mantasy“, da… | |
als kleiner Kunstgriff gelten. | |
Welcher Psycho-Finte sich Mayer dabei bedient, ist schnell erzählt: Flucht | |
aus der aktuellen Situation in eine bessere Wirklichkeit aus bukolischen | |
Erinnerungsstücken und Sehnsüchten jedweder Couleur. Winkel, in denen | |
seltsame Attraktionen hausen, gesammelte Töne aus Spielzimmern und | |
Soundtracks. | |
Das könnte als Alarmsignal verstanden werden, befindet sich Kompakt doch in | |
einer Umbauphase. Goldesel wie DJ Koze emanzipierten sich erfolgreich mit | |
eigenen Produktionsstätten, der Label-Backkatalog verkauft sich gut, | |
trotzdem wird hinter den Kulissen von „Krise“ oder „Selbstfindung“ | |
gesprochen. Vielleicht ist der Rückschluss aber auch nichts als | |
stümperhafte Küchenpsychologie. | |
So oder so – dass eine der tragenden Säulen des Hauses sich nach „Touch“ | |
vor acht Jahren wieder an ein Soloalbum gesetzt hat, ist eine gute Sache | |
und klingt auch noch, wie es klingen soll: Verträumt, aber düster, entrückt | |
und verspielt, naiv und deswegen sinnlich. | |
## Ein Massagesalon voller Liebeskummer | |
Mayer, der „Mantasy“ verschmitzt als „Egotrip“ bezeichnet, hat ein Werk | |
vorgelegt, das unverkrampft zwischen Space-Synthies, Old-School-House und | |
zuckrig-schwülen Thriller-Soundtracks à la „Der Tod kommt zweimal“ | |
changiert. | |
Der Trip durch die verstiegene Innerlichkeit beginnt mit Ambient. „Sully“ | |
braucht etwas, bis der dramatische Gefühlsteppich die Mündung in kitschiges | |
Gewässer passiert – ein Massagesalon voller Liebeskummer. Weit kopfloser | |
stapft „Lamusetwa“ mit klagenden Synthesizern und Breaks ins Surreale und | |
landet in „Wrong Lap“ aufgeräumt an einem Ort, wo Justice-ähnliche | |
Verzerrungen über einem blechernem Marschtrupp zirkulieren. | |
Der Titeltrack „Mantasy“ changiert hingegen irgendwo zwischen Italo-Disco | |
und Stacey Q und weht direkt aus den Fenstern eines Yellow Cab, in dem sich | |
Michael Alig für die Nacht einrichtet. Finstere Vorboten also, an denen | |
spätestens „Roses“ keinen Zweifel mehr lässt: Eine orakelhafte Frauenstim… | |
dringt verführerisch und gleichsam distanziert durch Versatzstücke aus Dub | |
und Minimal. | |
## Vogelgezwitscher, Glöckchen, Harfen | |
Der Track „Baumhaus“ generiert die wohligsten Momente auf „Mantasy“: | |
Vogelgezwitscher, Glöckchen, Harfen – Reigen der Idylle, ein Schlusstrack, | |
der versunken, inbrünstig, süßlich wirkt. Und als Kontrast zu den stumpfen | |
Reminiszenzen an einen Minimal-Sound, den man bei Kompakt schon länger | |
nicht mehr zu hören bekommt. | |
Es holpert und zappelt roh, manchmal so ungestüm wie ein Orchester | |
schriller Soundmachines, dessen Knöpfe nach dem Zufallsprinzip bedient | |
werden. Auf den letzten Metern lässt Mayer dann Jeppe Kjellberg von Who | |
Made Who animierende Zeilen in der phlegmatischen Gangart singen, dazu | |
Pophouse mit Streichern – „Good Times“, from way back, als die Tanzfläche | |
noch ohne Smartphones war. Und so ist „Mantasy“ ein zu großen Teilen | |
ausformulierter Eskapismus. Einer, der heute bestens funktioniert. | |
6 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
## TAGS | |
Techno | |
Köln | |
Brasilien | |
House | |
Techno | |
Kino | |
Neues Album | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tecno Brega Compilation: Mode und Verzweiflung | |
Tecno Brega regiert den Dancefloor im Norden Brasiliens. Geprägt wird der | |
Stil von Musikern und Tänzern gleichermaßen. | |
Hans Nieswandt remixt Hildegard Knef: Angenehm radikal | |
„Guten Morgen Paul“ wurde zu „Mmmorgen Paul“: Hildegard Knef in der | |
„Remixed – 12 Versions“-Variante des House-Veteranen Hans Nieswandt. | |
Hamburger Künstlerkollektiv HGich.T: „Auf der Bühne ist rechtsfreier Raum�… | |
Das Hamburger Künstlerkollektiv HGich.T über neue Mitglieder im | |
Rentenalter, Existenzängste und Songs über die Schule. | |
Filmstart „Fraktus“ von Studio Braun: Nostalgie kennt keine Würde | |
Das Dadatrio Studio Braun erkundet mit seinem Klamaukfilm „Fraktus – Das | |
letzte Kapitel der Musikgeschichte“ die Anfänge des Techno. | |
Hercules & Love Affair: „Ich war zu Tränen gerührt“ | |
Andy Butler von Hercules & Love Affair über den Zusammenhang von House und | |
Punk, seine Haltung zu Obama und die USA vor der Wahl. | |
Wiener Label Editions Mego: Krisen beleben das Geschäft | |
Das Wiener Label Editions Mego präsentiert sich als Werkstatt für abseitige | |
Sounds - und setzt auf edel aufgemachte Vinyl-Editionen. | |
Neues Album der Band Grizzly Bear: Langsames Gift | |
Auf ihrem Album „Shields“ präsentiert sich die US-Band Grizzly Bear | |
runderneuert. Es dominieren reduktionistische Arrangements und Stilwechsel. |