# taz.de -- Wiener Label Editions Mego: Krisen beleben das Geschäft | |
> Das Wiener Label Editions Mego präsentiert sich als Werkstatt für | |
> abseitige Sounds - und setzt auf edel aufgemachte Vinyl-Editionen. | |
Bild: Konzentriert sich auf edel: Peter Rehberg (im Anzug). | |
Während man in Teilen der Musikbranche rätselt, mit welchen Onlineangeboten | |
wohl am ehesten Geld zu verdienen ist, wählen manche Kollegen andere Wege: | |
Der in Wien lebende Brite Peter Rehberg etwa konzentriert sich vornehmlich | |
auf edle Vinyl-Editionen. Als Betreiber des Labels Editions Mego widmet er | |
sich einem Medium, das seit ein paar Jahren eine Renaissance erlebt – und | |
veröffentlicht konsequent Musik, die ihrer Eigensinnigkeit halber nur ein | |
begrenztes Publikum erreicht. | |
Editions Mego gilt als Adresse für elektronische Musik der freizügigeren | |
Art. Auf dem Programm stehen abstrakte Computerstudien von Künstlern wie | |
Mark Fell, wüster Krach im Stil eines Geräuschbildhauers wie Daniel Menche | |
– oder des gemeinsamen Drone-Noise-Projekts KTL von Rehberg und dem | |
Gitarristen Stephen O’Malley, zugleich eine Hälfte der Doom-Band Sunn O))) | |
– und allerlei kosmische Klangreisen. Für Letztere steht insbesondere das | |
US-Synthesizer-Krautrock-Trio Emeralds, das mit dem wunderbar pastoralen | |
„Just to Feel Anything“ soeben sein zweites Album veröffentlicht hat. | |
Als wäre das noch nicht genug, hat Rehberg in den vergangenen zwei Jahren | |
eine Handvoll Sublabels gegründet, die seine unterschiedlichen Interessen | |
widerspiegeln. Angefangen mit Spectrum Spools, Ideologic Organ und Old | |
News, gibt es mittlerweile fünf neue Zweige, auf denen Rehberg | |
Elektronisches, Abwegiges oder Archivarisches veröffentlicht. | |
Anders als das Mutterschiff entstanden die Neugründungen in Kollaboration | |
mit Künstlern, die auf Rehbergs Label vertreten sind. Das Sublabel Spectrum | |
Spools ging aus einer Idee des Musikers John Elliott von den Emeralds | |
hervor. Einen Schwerpunkt von Spectrum Spools bilden analoge | |
Synthesizerklänge von Musikern mit Namen wie Bee Mask oder Gary War. | |
## Behandlung von Sexualstörungen | |
Daneben gibt es Wiederveröffentlichungen von kaum bekannten | |
Experimental-Musikern wie dem Noise-Veteranen Robert Turman oder dem | |
Sensations’-Fix-Gitarristen Franco Falsini. Gitarren und andere akustische | |
Instrumente finden sich vermehrt auf den Alben des gemeinsam mit Stephen | |
O’Malley gestalteten Labels Ideologic Organ. Hier gab unter anderem | |
Sun-City-Girls-Gitarrist Sir Richard Bishop sein „Intermezzo“ betiteltes | |
Album mit kontemplativ-freundlichen Genre-Streifzügen heraus. | |
Exklusiv auf Vinyl schließlich erscheinen die Katalognummern des Labels | |
„Old News“ mit Material des unerschöpflichen Experimentalisten Jim | |
O’Rour’ke. In der Regel sind sie, wie die aktuelle Ausgabe „Old News #8�… | |
aus unveröffentlichten Aufnahmen und vergriffenen frühen Werken | |
zusammengestellt. „Jim hat so viel Zeug in seinem Archiv, das nie zuvor das | |
Licht der Welt erblickt hat und ziemlich genial ist.“ | |
Angenehm überraschend klingt auch „Sensate Focus“ – ursprünglich eine | |
Bezeichnung für eine Methode zur Behandlung von Sexualstörungen, die von | |
den Sexualwissenschaftlern William H. Masters und Virginia E. Johnson | |
entwickelt wurde. Musikalisch bewegt sich das Label ebenfalls auf | |
ungewohnten Bahnen. Unter diesem Namen veröffentlicht der Klangforscher | |
Mark Fell neuerdings House. | |
Da Fell kein DJ im eigentlichen Sinne ist, kann die von ihm produzierte | |
oder gemischte Musik nur eingeschränkt als clubtauglich gelten. Für | |
Versuchswillige bietet sie aber eine willkommene Erweiterung des | |
Bewegungsrepertoires. „Es ist schon als Clubmusik gedacht“, wie Rehberg | |
hervorhebt. Für Editions Mego fasste Fell seine bisherigen | |
Sensate-Focus-Werke zu dem verschachtelten Remix-Album „Sentielle Objektif | |
Actualité“ zusammen. | |
## Frei vom Würgegriff | |
Editions Mego gibt es in seiner jetzigen Form seit sechs Jahren. Rehberg | |
hatte zuvor gemeinsam mit Ramon Bauer und Andreas Pieper unter dem Namen | |
Mego neue Standards in der Computermusik gesetzt. Von 1994 bis 2005 | |
untersuchte man Störgeräusche und andere Unwägbarkeiten der | |
rechnergestützten Klangerzeugung. Rehberg veröffentlichte unter dem Namen | |
Pita mehrere Soloalben, die den tragbaren Computer von seiner schroffen | |
Seite präsentierten. Mit Christian Fennesz und Jim O’Rourke gründete er das | |
improvisierende Laptop-Trio Fenn O’Berg, das seine Musik virtuell zwischen | |
Wien und Chicago komponierte. | |
In den Neunzigern habe elektronische Musik den „Würgegriff des | |
anglo-amerikanischen Rock ’n’ Roll und Blues dezentralisiert“, in dem die | |
Musik während der vorangegangen 30 Jahre festgehalten gewesen sei. „Du | |
musstest aus London oder New York sein, um in einer Band zu spielen, | |
geschweige denn, auf einem Label zu erscheinen. Elektronische Musik hat all | |
das aufgelockert, hauptsächlich weil es keinen Gesang gab. Impuls der | |
elektronischen Musik war, frei zu sein und neue Sachen auszuprobieren.“ | |
Rehberg besinnt sich mit Editions Mego daher auf die Frühphase der | |
elektronischen Musik: In Zusammenarbeit mit der Pariser Institution Groupe | |
de Recherches Musicales (GRM), in den Fünfzigern vom | |
Musique-concrète-Pionier Pierre Schaeffer gegründet, wird in der Reihe | |
„Recollection GRM“ Material aus den Archiven des Studios | |
wiederveröffentlicht, darunter Meilensteine der Geräuschmusik. Ein | |
Highlight ist das für Dezember geplante Album „Presque Rien“ des | |
französischen Komponisten Luc Ferrari. Mit der ersten gleichnamigen | |
Komposition sorgte Ferrari 1970 für eine Kontroverse, weil er scheinbar | |
nichts weiter tat, als den Alltag eines jugoslawischen Fischerdorfs | |
akustisch abzubilden. | |
## Was schlecht ist für den Mainstram ist gut fürs Experiment | |
Rehberg übersieht bei aller Leidenschaft für die Urimpulse der | |
elektronischen Musik keinesfalls, dass es auch dort längst konservative | |
Tendenzen gibt. Selbst der Umgang mit Computern habe sich gewandelt. „Als | |
die Leute in den Neunzigern begannen, Computer in nichtakademischer Weise | |
zu benutzen, war das eine große Grauzone. Niemand wusste, wie das alles | |
funktionierte, man probierte auf gut Glück.“ | |
Heute sei es mit Programmen wie Logic und Ableton viel einfacher, | |
Ergebnisse abzuspeichern und zu reproduzieren – auf Kosten der | |
Experimentierfreudigkeit. „Ich denke, das ist einer der Gründe, warum sich | |
viele Musiker für modulare Analog-Synthesizer in Verbindung mit Computern | |
interessieren. Wir leben ohnehin in einer Welt, in der Analoges mit | |
Digitalem im Einklang steht. Darin liegt für mich die Zukunft. Es muss | |
nicht alles Schwarz und Weiß sein.“ | |
Für das Sortiment seines Katalogs findet Rehberg jedenfalls genügend | |
Abnehmer – über die Lage der Branche im Allgemeinen macht er sich eh wenig | |
Sorgen. „Wenn Mainstream-Kultur in der Krise steckt, ist das gut fürs | |
Experimentieren. Man muss einfach etwas machen und danach aussortieren.“ | |
26 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
Tim Caspar Boehme | |
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