# taz.de -- Fehlfarben mit neuem Album auf Tour: „Frühwerk am Hals wie ein M… | |
> Die Fehlfarben veröffentlichen mit „Xenophonie“ ein fantastisches neues | |
> Album: Seine Dringlichkeit und seine Wucht klingen unverschämt gut. | |
Bild: Fehlfarben auftragen: Peter Hein mit Coral-Lippenstift. | |
Fehlfarben sind die Blind Faith der deutschen Punkszene, eine „Supergroup“ | |
aus Mitgliedern von Bands der ersten Stunde, die ab 1977 rund um den | |
„Ratinger Hof“ in Düsseldorf entstanden waren. | |
Die Fehlfarben waren ihrer Zeit voraus. Nicht zufällig wurde vergangenes | |
Jahr ihr 1980 erschienenes Debütalbum „Monarchie & Alltag“ vom Rolling | |
Stone zum besten deutschsprachigen Album aller Zeiten gekürt. Die Kraft der | |
Musik und der Texte waren stilbildend. Und sie sind es noch. | |
Bis heute sind die Fehlfarben die einflussreichste Band aus jenen frühen | |
Tagen des deutschen Punk und New Wave geblieben, bevor alles den | |
Neue-Deutsche-Welle-Bach hinunterging. | |
## Den Zeittest bestanden | |
Trotz vieler Umbesetzungen, die Musiker haben sich ein Stück | |
Nicht-einverstanden-Sein bewahren können, ihre Musik hat den Zeittest | |
bestanden. Und die Werke der Fehlfarben, die seit ihrer Wiedervereinigung | |
2002 erschienen sind, fallen auch nicht hinter das Erreichte der frühen | |
achtziger Jahre zurück. | |
Die aktuelle Fehlfarben-Besetzung vereint Mitglieder von anderen | |
außergewöhnlichen NDW-Bands: Mittagspause, Family 5 (Sänger Peter Hein), | |
DAF und Mau Mau (Bassist Michael Kemner), Der Plan (Frank Fenstermacher und | |
Kurt Dahlke), S.Y.P.H. (Gitarrist Uwe Jahnke) und Pyrolator (das | |
Avantgardeprojekt des Keyboarders Dahlke) – nur die junge Schlagzeugerin | |
Saskia von Klitzing hat keine Wurzeln in der alten Punkszene. | |
Dass sich alle in der zwischendurch aufgelösten Band wieder | |
zusammengefunden haben, ist eine späte Gerechtigkeit wider den | |
kommerziellen Overkill ab 1982. Das 2002 geradezu prophetisch betitelte | |
Reunion-Album „Knietief im Dispo“ war ein Paukenschlag und seitdem | |
veröffentlichen die Fehlfarben regelmäßig neue Musik. Im Mai erscheint nun | |
„Xenophonie“, das bereits vierte Album seit ihrem Wiederaufleben. | |
## Direkte und ungekünstelte Produktion | |
Und es ist das beste der zweiten Fehlfarben-Ära geworden. Was schon beim | |
Albumtitel anfängt, einem Kunstwort mit hoher Verwechslungsgefahr. Wie | |
bereits der Vorgänger wurde auch „Xenophonie“ wieder mit dem Produzenten | |
Moses Schneider in den Berliner Hansa-Studios eingespielt. Schneider ist | |
bekannt für eine direkte und ungekünstelte Produktionsweise, die als Ideal | |
eine Annäherung an den Livesound einer Band wählt. | |
Weil Schneider – wie Kurt Dahlke im Interview erzählt – der Meinung ist, | |
dass heutzutage jeder daheim mit dem Computer Songs aufnehmen könne, eine | |
Liveproduktion einer Band aber immer noch etwas Außergewöhnliches, eben | |
nicht einfach Reproduzierbares wäre. | |
Zum ersten Mal in der Bandgeschichte entstanden die Songs also im Studio, | |
sang Peter Hein seine Texte direkt während der Aufnahme ein – statt wie bei | |
früheren Produktionen erst nachdem die Band die Musik eingespielt hatte. | |
Und tatsächlich ist „Xenophonie“ von einer Wucht und Dringlichkeit, die die | |
Fehlfarben seit ihrem Debütalbum nicht mehr erreicht haben. | |
## Kein Album, keine Texte | |
Da Peter Hein grundsätzlich seine Texte erst zur Aufnahmezeit schreibt, | |
sind sie auch politisch aktuell und kommen inhaltlich auf den Punkt. Heins | |
Credo: „Kein Album, keine Texte. Was soll ich jetzt einen Text über ein | |
Problem von vor sieben Jahren singen? Texte für die Schublade zu schreiben, | |
das ist Papierverschwendung, Stiftverschwendung und Fingerverschwendung. | |
Und sind wir ehrlich: Einen Vierzeiler auf einen Song zu knallen, das | |
bekomm ich schon auch noch spontan hin“. | |
So wütet Hein auf „Xenophonie“ gegen Ratingagenturen, die | |
Parteienlandschaft und den lieben Gott. Hein gelingt in einem der schönsten | |
Momente des Albums gleichzeitig an der Tatenlosigkeit der Masse zu | |
verzweifeln, zur Revolution aufzurufen, den Herrgott zu beschimpfen und | |
sich in typisch Hein’scher Lakonie letztendlich einfach nur das nächste | |
Bier herbeizuwünschen. | |
„Was passiert in Bankenland? / Wann werden Banken wieder niedergebrannt? / | |
Hört hier wer einen Aufruf zur Gewalt? /Bleibt nach der Revolution die | |
Küche kalt? / Was hat der Bärtige sich da wieder gedacht? / Hat mir wer ein | |
Bier mitgebracht?“ | |
## Postpunk aus der Hüfte | |
Bei aller Wut schlängelt sich Hein entspannt durch die Songs, während die | |
Band einen Postpunk aus der Hüfte spielt, der vor allem im Gegensatz zum | |
manchmal etwas schal wirkenden Vorgängeralbum so unverschämt frisch klingt, | |
wie das einer Ansammlung alter Kerls um die 50 eigentlich genau genommen | |
gar nicht gelingen dürfte. | |
Der Wunsch, einfach nur nach dem neuen Album beurteilt zu werden, spiegelt | |
sich in den Texten wider, lautet eine Zeile doch: „das Frühwerk am Hals wie | |
ein Mühlstein“, und spielt auf jenes übermächtige Debütalbum an, wie Hein | |
im Interview bestätigt. | |
In der Fehlfarben eigenen Widersprüchlichkeit sieht er es zwar als | |
vollkommen richtig an, dass „Monarchie & Alltag“ regelmäßig zum besten | |
deutschsprachigen Album aller Zeiten gewählt wird – „Welche denn auch | |
sonst?“ –, Hein ist es augenscheinlich aber auch leid, dass alle | |
nachfolgenden Werke, an denen er beteiligt war, nicht die gleiche | |
Wertschätzung erfahren. | |
## 20 Jahre bis zur Goldenen Schallplatte | |
Selbst im letzten Jahr wurden noch 25.000 Exemplare des Debütalbums | |
verkauft – in Anbetracht dessen, dass es 20 Jahre gedauert hat, bis | |
„Monarchie & Alltag“ im Jahr 2000 eine Goldene Schallplatte für 250.000 | |
verkaufte Einheiten erhielt, ein weiterer Beleg, wie stark ihr Debüt in die | |
Jetztzeit strahlt. | |
Geld sieht die Band für ihr Debüt aufgrund ihres damaligen Plattenvertrags | |
aber kaum. Genau wie sie auch wenig Hoffnung in die modernen | |
Auswertungsmöglichkeiten, etwa den Streaming-Dienst Spotify, haben. Kurt | |
Dahlkes jüngste Spotify-Abrechnung ergab, dass alle Tracks, die weniger als | |
1.000 mal gespielt worden sind, überhaupt nicht vergütet wurden. | |
## Bürde und Altersvorsorge | |
Auch aus anderen Gründen ist „Monarchie & Alltag“ daher für die Band | |
wichtig, weil deshalb eben weiterhin Zuschauer zu den Konzerten kommen, um | |
sich „Paul Ist Tot“ zu wünschen. „Was wir dann auch spielen müssen – … | |
gerne tun. Denn lieber ’Paul Ist Tot‘, als wenn sie sich ’Ein Jahr (Es ge… | |
voran)‘ wünschen?“, sagt Bassist Michael Kemner. Das wurde einfach zu oft | |
zweckentfremdet, von der RTL-Vorabendshow bis zur Demo-Beschallung. | |
Ewig unzufrieden damit, auf die Lorbeeren der Vergangenheit zu vertrauen, | |
ist das neue Werk „Xenophonie“ somit auch eine Kampfansage an alle, für die | |
Fehlfarben immer noch nur „Monarchie & Alltag“ sind. | |
Der Vorschuss ihres Plattenlabels Tapete hat genau für fünf Studiotage | |
gereicht, und hört man das Resultat, so ist man geneigt zu sagen: gut so. | |
Heins Texte müssen wohl auch mit einer Musik unterlegt sein, die nur nach | |
vorne geht und nicht nach hinten blickt. | |
Schon lange klang Peter Heins Verweigerung gegenüber allem und jedem nicht | |
mehr so aggressiv, und die krachend eingespielten Gitarrenriffs | |
unterstreichen das nur noch. Und so tragen Fehlfarben eben nicht nur den | |
Monarchie-Mühlstein aus ihrer Vergangenheit durch die Konzertsäle der | |
Republik, sondern veröffentlichen auch 2012 noch die wichtigsten Kommentare | |
zum Jetzt. | |
Fehlfarben: „Xenophonie“ (Tapete/Indigo); live: 27. April Darmstadt , 24. | |
Mai Berlin, 25. Mai Hamburg, 26. Mai Köln | |
26 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Ihle | |
## TAGS | |
Fehlfarben | |
Postpunk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Musiker Peter Hein über Trotz: „Ich würde uns nicht kaufen“ | |
Das erste Album der Band Fehlfarben ist ein Klassiker. Peter Hein, Texter | |
und Sänger, arbeitete weiter im Büro. Ein Gespräch über Erwartungen und | |
Verweigerung. | |
„Über … Menschen“ von den Fehlfarben: Ungewohnte Weltumarmung | |
Das neue Werk der Fehlfarben ist grundsympathisch. „Über … Menschen“ ist | |
schnittig im Postpunksound und zaudernd in den Lyrics. | |
Neue Postpunk-Alben: Katzengold für die Krise | |
Wut, Nachdruck und Glanz: Bands wie Candelilla und Die Nerven beweisen mit | |
zündenden Alben, dass in Sachen Postpunk noch einiges geht. | |
Fehlfarben-Sänger Peter Hein: „Instrumental ist kacke“ | |
Fehlfarben-Sänger Peter Hein sieht seine Songwriter-Arbeit pragmatisch: | |
„Ein Lied braucht einen Text“. Der späte Punk über Fan-Trösten und das n… | |
Album Glücksmaschinen“. | |
Dokureihe über 80er Jahre: Suche nach dem Sound der Zukunft | |
Punk ist die Keimzelle der Jugendbewegungen in den 80ern. Mit "Welcome to | |
the 80s" bietet Arte ab Dienstag einen Einsteigerkurs in sechs Lektionen an | |
(22.55 Uhr). | |
Fehlfarben-Sänger schreibt Roman: Ein Punk auf Bildungsreise | |
Peter Hein ist ein Freund klarer Worte. Jetzt hat der Fehlfarben-Sänger | |
sein erstes Buch geschrieben. "Geht so" versammelt prägnante Beschreibungen | |
deutscher Städte. |