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# taz.de -- Musiker Peter Hein über Trotz: „Ich würde uns nicht kaufen“
> Das erste Album der Band Fehlfarben ist ein Klassiker. Peter Hein, Texter
> und Sänger, arbeitete weiter im Büro. Ein Gespräch über Erwartungen und
> Verweigerung.
Bild: „Ich höre mir meine Platten nicht an, niemals“: Peter Hein.
Peter Hein macht einen genervten Eindruck. Wahrscheinlich ist er immer
genervt. Er war einer der ersten Punks in Deutschland. In Düsseldorf sang
er Ende der Siebziger bei Charley’s Girls, bei Mittagspause, dann bei
Fehlfarben. Die Band veröffentlichte 1980 ihr Debütalbum „Monarchie und
Alltag“, das heute als eines der ganz großen Pop-Werke aus Deutschland
gilt.
Hein brüllte Zeilen ins Mikro, die das Lebensgefühl der Generation nach
1968 auf den Punkt brachte: „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den
meine Mutter noch nicht weggewaschen hat.“ Das Album kam in die Charts,
Fehlfarben wurden berühmt. Doch bevor sie auf Tour gehen konnten, stieg
Peter Hein aus. Lange Jahre sang er in seiner neuen Band Family 5 für einen
kleinen Zirkel von ergebenen Fans. Dann wurden die Fehlfarben reaktiviert.
Eben ist ihr Album „Über … Menschen“ erschienen. Und Peter Hein gibt
Interviews – oder auch nicht.
taz.am wochenende: Herr Hein, sind Sie ein alter Sack?
Peter Hein: Aber ja!
Was macht einen zu einem alten Sack?
Das Alter?
Auf der neuen Platte Ihrer Band Fehlfarben singen Sie über sich selbst:
„Ich alter Sack.“ Das hört sich ja fast an wie ein Ehrentitel.
Nein, das ist doch eher eine Selbstbeschimpfung. Oder so.
Für mich klingt es wie eine trotzige Umwidmung. Der alte Sack wehrt sich,
indem er das Altesacktum stolz vor sich her trägt.
Das sind doch Wortklaubereien. Wenn ich sage, ich bin ein alter Sack, dann
bin ich ein alter Sack. Mehr heißt das nicht.
In einer Welt, in der Rentner zu „Silver Surfern“ ernannt werden und der
Jugendwahn seltsame Blüten treibt, ist eine solche Selbstbezichtigung ein
Statement.
Wir waren doch eh nie jung. Jungsein, das haben wir abgelehnt. Ich war nie
jung. Ich bin schon alt in das Gewerbe eingestiegen.
Wenn Sie sich umsehen, fühlen Sie sich dann sehr einsam?
Ich fühle mich wie immer. Mittendrin. Die Welt und mein Leben sind so, wie
sie immer waren. Über das andere weiß ich nichts. Ich habe ja mit
Jugendlichen keinen Kontakt. Und Jugendliche sind für mich alle, die jünger
sind als 50. Wie die ticken, das weiß ich nicht.
Dafür schreiben Sie aber ziemlich bösartige Songs über diese Jugendlichen.
Eben, ich schreibe Songs, damit ich das nicht noch mal erklären muss. Ich
kann nur sagen: So sehe ich das – und gut isses. Ich bin des Erklärens
nicht fähig.
Wie alt fühlen Sie sich?
Kann ich nicht sagen. Mir ist das egal.
Halten Sie sich fit? Yoga?
Nein, auf keinen Fall.
Joggen?
Nee. Ich mach gar nichts, das ist das Gesündeste, was man machen kann.
Stattdessen Rauchen und Trinken?
Geraucht habe ich noch nie. Sollte ich vielleicht bald mal mit anfangen.
Und Trinken wie immer: also normal, so zehn, zwölf Weinchen am Tag. Nein,
das ist Quatsch.
Sind Sie beleidigt, wenn man sagt, Fehlfarben machen mittlerweile
Altherrenrock?
Altherrenrock ist jedenfalls mittlerweile hörbarer als Jungspund-Punk. Der
strengt nicht mehr so an. Aber den höre ich eigentlich auch nicht. Was wir
machen, das ist Rock, den alte Säcke und eine nicht so alte Frau absondern.
Altherrenrock ist das nicht, aber auch kein Punk. Das, was da mal war, oder
warum man so geworden ist, das ist noch da. Aber der Begriff Punk macht
keinen Sinn mehr.
Was ist vom Punk bis heute übrig geblieben?
Drauf geschissen. Und: Schnell, laut und lustig sein. Und wenn es überall
schnell und lustig ist, dann kann es auch mal traurig und langsam sein. Die
ewige Trotzphase.
Sehen Sie sich noch in dieser Trotzphase?
Ich fürchte ja. (Langes Nachdenken, schweres Durchatmen, Schweigen.) Da sag
ich jetzt nichts mehr.
Ist das nur Trotz oder schon systematische Verweigerung?
Verweigerung? Ich mach doch überall mit.
Überall?
Schön brav bei allem. Außer wenn ich keine Lust mehr habe.
Als Fehlfarben mit dem ersten Album „Monarchie und Alltag“ in die Charts
kamen, haben Sie die Band verlassen. Sie haben Ihr Leben lang
Erwartungshaltungen enttäuscht.
Hab ich gemacht, ja, teilweise. Aber darüber hab ich nicht nachgedacht, ich
überlege nicht so viel. Ich fand eben die eine Möglichkeit, für die ich
mich entschieden hatte, besser als die andere. Ich hab keine Lust, darüber
nachzudenken, und ich fange auch jetzt nicht damit an, nur weil die taz das
wissen will.
Die Verweigerungshaltung auszudehnen auf ein Interview, in dem man über
Verweigerung reden soll, ist zwar konsequent, aber im konkreten Fall etwas
schwierig.
Ich kann dazu nichts sagen, wenn ich nicht darüber nachdenke. Das ist doch
keine Verweigerung. Verweigerung war für mich auch keine politische
Strategie, ich hatte nie eine politische Strategie im Leben. Ich hab mit
Politik eh nix am Hut, ich bin ja nur Bürger wie die meisten anderen auch.
Die Songs des Albums „Monarchie und Alltag“ hatten für viele Menschen eine
große Bedeutung. Wir könnten darüber reden, ob das noch so ist. Wie Sie das
mitbekommen. Und warum das so ist.
Dazu kann ich sagen: Ja, das ist noch so. Das merke ich, weil immer wieder
Menschen mit mir darüber sprechen wollen, weil ich die alten Platten
unterschreiben soll, weil mir Leute sagen, dass diese Platte für sie
bedeutend war. Aber warum das so ist? Das weiß ich doch nicht, warum
irgendwann mal etwas funktioniert hat. Das war wahrscheinlich reiner
Zufall. Egal, ob es ein sogenannter Erfolg wird oder nicht – da hat man eh
keinen Einfluss drauf. Und dazwischen habe ich halt gearbeitet und das darf
ich jetzt nicht mehr.
2002 sind Sie vom Technologieunternehmen Rank Xerox, wo Sie seit der
Ausbildung gearbeitet hatten, entlassen worden.
Seitdem muss ich Künstler sein.
Dass Sie diesen Job so viele Jahre behalten haben, war das nicht auch ein
Unterlaufen von Erwartungshaltungen?
Ja, kann schon sein. Ich hab zwar die ganze Zeit brav diesen Job gemacht.
Aber ein bisschen mag das schon sein, dass ich keine Lust habe, das zu
machen, was die Leute wollen, dass ich es mache. Ich mag das wohl, Leute
vor den Kopf zu stoßen. Nicht weh tun, aber ein bisschen nerven.
Dieser Job ist zum Mythos in der bundesdeutschen Pop-Geschichte geworden.
Es gibt verschiedene Legenden, welche Funktionen Sie tagsüber bei Rank
Xerox ausgeübt haben, während Sie nachts mit Ihrer neuen Band Family 5 um
die Häuser zogen.
Vom Lageristen über Techniker bis zum Chef war ich schon alles. Aber es war
ein ganz normaler Brotberuf, über den man nicht viel sagen kann. Ich habe
Kaufmann im Groß- und Außenhandel gelernt. Das war ein Bürojob, bei dem man
am Ende des Tages eigentlich nicht genau sagen kann, was man gemacht hat.
Haben Sie versucht, wieder einen Job zu kriegen, nachdem Sie
wegrationalisiert worden waren?
Klar, über die Bundesagentur. Aber das war lächerlich, ich bin ein
überqualifizierter und untermotivierter alter Sack. Jetzt muss ich als
selbstständiger Künstler prekär durchs Leben gehen: Konzerte, ab und zu
Lesungen, ein bisschen Plattenauflegen, mal was schreiben, Büroarbeiten auf
Taschengeldbasis.
Sie sind bei den Fehlfarben ausgestiegen am Vorabend einer geplanten Tour.
Sie könnten heute ein Popstar sein. Bereuen Sie die Entscheidung?
Nein, es gibt nichts zu bereuen. Ich habe die Band nicht aus
wirtschaftlichen Gründen verlassen. Ich bin damals ausgestiegen bei einem
finanziellen Stand von null. Dass „Monarchie und Alltag“ eine
Viertelmillion verkauft hat, das hat 25 Jahre gedauert. Was diese Platte
bewirkt hat, das konnte damals niemand ahnen. Mal ganz abgesehen davon,
dass vieles viel alberner war, als es verstanden wurde. Viele Songs waren
doch nur ein böser Witz.
Hätten Sie überhaupt Popstar werden wollen? Dann müssten Sie heute
vielleicht hundert Mal im Jahr „Es geht voran“ spielen. Es wurde auf dem
Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle ein Hit, und zur Hymne der
Hausbesetzerbewegung.
Ach, „Es geht voran“. Diesen Teufel haben wir ausgetrieben, das spielen wir
auch wieder. Das war auch nie ein so großes Problem für mich. Wenn ich in
irgendeinen Laden rein kam und das Lied lief gerade, dann ging mir das am
Arsch vorbei – das war ja eine andere Band.
Angenommen, Sie wären damals bei den Fehlfarben geblieben und die Band wäre
wirklich groß geworden. Wären Sie dann heute der deutsche Mick Jagger?
Nun mal langsam. Wenn schon, dann reden wir an dieser Stelle von Farin
Urlaub von den Ärzten oder Campino von den Toten Hosen. Da müssen wir die
Kirche im Dorf lassen. Wir haben zusammen angefangen mit den Toten Hosen.
Als die dann reich und berühmt geworden sind, dachte ich: Schön, aber ohne
mich. Es machte Spaß, ab und zu mal in einem kleinen beknackten Laden
aufzutreten, aber tagaus, tagein hätte ich das damals nicht machen wollen.
Aber das war auch gar keine Option damals, das war nicht einmal
vorstellbar. Leute, die die Musik ernst genommen haben, die in Probenräumen
rumwuselten, die sieben Jahre geprobt haben, um einmal in der Aula ihrer
alten Schule aufzutreten, über die haben wir uns lustig gemacht!
Sie sind kein Popstar-Material.
Nein, bin ich nicht. Das fängt schon damit an, dass ich zu groß bin. In der
Mehrzahl sind die Leute, die dringend auf die Bühne müssen, vielleicht
nicht Gnome, aber doch eher kleine Menschen.
Wann haben Sie sich das letzte Mal „Monarchie und Alltag“ angehört?
Keine Ahnung. Vor 20, 30, 40 Jahren? Ich höre mir meine Platten nicht an.
Niemals. Warum sollte ich? Ich brauche die nicht.
Nicht mal, wie man sich alte Fotos anguckt?
Nein, Fehlfarben nicht. Alte Platten von Family 5 habe ich mir letztens
angehört und festgestellt: Das ist ja furchtbar. Da hab ich mir gedacht:
Wie schlimm müssen die Fehlfarben erst gewesen sein.
Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Musik?
Ja, weil ich ja weiß, wie blöd wir eigentlich waren. Außerdem höre ich
prinzipiell keine Platten aus deutscher Produktion.
Warum?
Deutsche können doch nichts. Die können keinen Rock. Das ist nicht gut.
Woran liegt das?
Zu viel Marschmusik. Auch Family 5 waren Marschmusik mit Soulversuchen. Das
mag ja erfolgreich werden wie bei Rammstein, aber ist das gut? Ich kann das
jedenfalls nicht ertragen.
Und warum machen Sie dann Musik?
Ich kann ja nix anderes. Und vielleicht gibt es Leute, die das brauchen.
Ich mache das, ich gebe das denen auch. Aber ich selbst brauche keine
deutsche Rockmusik. Ich würde uns nicht kaufen. Machen und hören ist ja
nicht dasselbe. Wer schreibt, liest auch nicht seine eigenen Bücher.
Regisseure gehen doch auch nicht in ihre eigenen Filme. Okay, Schauspieler
gucken sich ihre Filme an. Aber das sind eitle Gecken, das weiß ja jeder.
Sie müssen zugeben, dass das etwas seltsam ist.
Ja. Theoretisch müsste ich irgendwelchen obskuren Sixties-Rock machen, weil
ich den gut finde. Aber das wäre ja erst recht furchtbar, wenn ich jetzt
versuchte, das zu kopieren. Also muss ich eben machen, was ich mache.
Warum müssen Sie überhaupt Musik machen?
Weil mir eine höhere Macht befiehlt: Mach es! Außerdem ist es super, in
einer Band zu spielen. Konzerte: super. Studio: super. Proberaum: nicht so
super.
Was ist so super daran, in einer Band zu spielen?
Nach einem guten Konzert weiß ich zum Beispiel nicht mehr, welche Stücke
wir gespielt haben. Zack, sind anderthalb Stunden einfach vorbei – und jut
is. Nur manchmal ist es eine zähe Geschichte, da steht man auf der Bühne
und fragt sich, ob man den Herd abgestellt hat.
Sich für anderthalb Stunden selbst verlieren?
Das ist wieder so eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Musikmachen
ist einfach gut, das macht man gerne. Das ist wie in diesem Rennfahrerfilm
mit Steve McQueen: Rennen ist Leben, alles andere ist Warten.
31 Jan 2016
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Fehlfarben
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