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# taz.de -- Debütalbum „Lamina“ der Band Pirx: Korallen in Indie-Gewässern
> Musik und Geologie: Fragen sie nicht beide, was die Welt zusammenhält?
> Für die Musiker:innen der Band Pirx aus München liegt das auf der
> Hand.
Bild: Wo viele Steine sind, ist bei Pirx auch viel Musik
Geologie, Science-Fiction und verzerrte Gitarren: Auf diese drei Begriffe
kann man das Debütalbum „Lamina“ der Münchener Band Pirx herunterbrechen.
So geht der Bandname auf die Figur „Pilot Pirx“ in Stanislaw Lems
Science-Fiction-Roman „Fiasko“ zurück, nach dem wiederum auch der Krater
Pirx auf einem Mond des Planeten Pluto benannt ist. Auch der Titel des
Debütalbums führt in die Gesteinskunde: „Lamina“ nennt man die dünnste
Schicht eines Sediments.
Die Liebe zur Geologie hat die Band auch zusammengeführt. Lina Seybold und
Moritz Gamperl, Masterminds der Gruppe, arbeiten beide als Geolog:innen
und haben sich während des Studiums in München kennengelernt. Lina Seybold
ist dabei in der deutschen Indieszene wohlbekannt, sie spielte Gitarre
[1][in der Band Candelilla], die zu den großen deutschsprachigen
Noise-/Avantgardebands jüngerer Jahre zählt.
2018 verkündeten Candelilla, eine Pause einzulegen, im Jahr darauf begannen
Seybold und Gamperl zunächst zu zweit Songs zu komponieren,
(ergebnis-)offen und „frei von irgendwelchen Erwartungen an die
Musikrichtung und an bestimmte Erfolge“, wie Seybold der taz sagt. Neben
Seybold und Gamperl, die beide singen und verschiedenste Instrumente
spielen, gehört heute Schlagzeuger Sascha Saygin zur Pirx-Besetzung. Wie
schon die Debüt-EP vor zwei Jahren erscheint nun auch das Album auf dem
noch jungen Münchener Label Kommando-84.
## Refrains harmonisch geschichtet
Pirx hört man nun zwar an, dass sie von NoWave, Noiserock und Punk geprägt
sind, die Ecken und Kanten dieser Stilrichtungen sind auch hier zu hören.
Doch das Trio orientiert sich weit mehr am klassischen US-Indierock. Die
Stücke sind überwiegend eingängig, konventionell strukturiert und
komponiert. Refrains sind häufig von mehrstimmig übereinander
geschichteten, harmonischen Gesangsmelodien gezeichnet – das sei ihnen
wichtig gewesen, so Seybold.
Anders als bei Candelilla sind die Songs englischsprachig, die Einflüsse
kommen aus verschiedensten Richtungen des Indiespektrums: Für „Nowhere
Water“ könnten Sonic Youth Pate gestanden haben, beim Refrain von
„Ecosaisse“ fühlt man sich an die Pixies erinnert.
Auch die [2][Szene Washingtons, DC, um das Label Dischord] scheint nicht
spurlos an Pirx vorbeigegangen zu sein, wie das sirenenartige Noise-Intro
von „Tremor“ zeigt. Wenn es dagegen mehr Richtung elektronische Popmusik
geht, kommen einem die Münchener Kolleg:innen von [3][Lali Puna] in den
Sinn. Und, apropos Lali Puna: Vielleicht hat man die Mischung aus Indie und
elektronischem Pop so überzeugend wie hier zuletzt bei der Band von Valerie
Trebeljahr gehört.
Naturmetaphorik zieht sich dabei vom ersten Song an durch dieses Album, mit
hellem Timbre wiederholt Seybold die Worte: „In the east / Dawn is breaking
/ In our eyes / Colours shimmering / In the trees /Whispering movement / In
the rocks / Glittering shine“. Im abschließenden Titeltrack „Lamina“
greifen Pirx diese Motive wieder auf, der Song klingt wie eine
Aufforderung, sich der Umwelt überhaupt wieder bewusst zu werden, sie in
all ihren kleinsten Bestandteilen wahrzunehmen.
Der Klimawandel ist dabei ein dominantes Thema, „Nowhere Water“ spricht
schon im Titel den Kampf um die Ressource Wasser an. Das Cover ziert eine
Koralle, auf der Innenseite sieht man Korallenskelette. Für Seybold sind
die Korallen „Sinnbild für die Wechselwirkung des Menschen mit der Erde“,
könne man an ihnen doch die Geschichte des Klimas so gut erforschen: „Als
Kalkgerüste zeichnen diese Organismen seit Jahrmillionen die
Klimageschichte des Planeten auf, weil sie so empfindlich für
Umweltbedingungen sind“, sagt sie. Pop bildet.
„Lamina“ ein Konzeptalbum über den Klimawandel zu nennen, wäre etwas
übertrieben, aber es bildet die klimatischen Verheerungen unserer Gegenwart
und unser Verhältnis zur Umwelt und zu den Meeren gut ab.
Es gäbe sogar eine Parallele zwischen Geologie und Musik, sagt Seybold, so
beschäftige sie sich auf beiden Gebieten mit der „Frage nach dem Leben, dem
Universum und dem ganzen Rest – oder eben damit, was die Welt
zusammenhält“. Wenn auf diese Weise solch beseelte, warme, in Teilen
ergreifende Songs dabei entstehen wie auf „Lamina“, kann man nur hoffen,
dass die Geologie-Indie-Science-Fiction-Symbiose noch lange Bestand hat.
Jens Uthoff
18 Nov 2022
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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