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# taz.de -- Australische Musikerin Carla Dal Forno: Poesie, die Pflanzen bewäs…
> Das neue Album der australischen Künstlerin Carla Dal Forno besticht
> durch eigenwillige Textpoesie. Und sparsame Instrumentierung.
Bild: Natur und Betonverputz: Carla Dal Forno
„Dumme Penetranz ist der Kobold kleiner Köpfe“, formulierte 1841 der
US-Philosoph Ralph Waldo Emerson seine Kritik am törichten Streben nach
Beständigkeit in seinem antikonformistischen Essay „Vertraue dir selbst!“
Umgekehrt scheint es in der Popmusik so etwas wie eine schlaue Konsistenz
für große künstlerische Köpfe zu geben; eine stilistische Beständigkeit,
die oft mit klanglichem Wiedererkennungswert einhergeht. Danach streben so
ziemlich alle Künstler:innen. Die allermeisten erreichen dies allerdings
nie.
Die australische Künstlerin Carla Dal Forno verfügt schon seit geraumer
Zeit über diese Gabe, wie sie auf ihrem neuesten Album „Come Around“ zeigt.
Dal Forno hat bereits zu Beginn ihrer Karriere beim Elektronik-Label
Blackest Ever Black in mehreren EPs ihren eigenwilligen Lo-Fi-Postpunk und
Dubminimalismus etabliert. Von diesem Signatursound weicht sie seither nur
wenig ab.
Ihr letztes Album „Look Up Sharp“ (2019) hat sie auf ihrem eigenen Label
Kallista veröffentlicht. Dessen Musik enthielt etwas mehr Disharmonie mit
düsteren Streicherarrangements und TripHop-Anmutung, aber der komprimierte,
leicht angezerrte Bass, die DIY-Produktionsästhetik und der hauchige,
affektlose spirituelle Gesang blieben wie gehabt.
## Unverblümte Sprache
Bei ihrem aktuellen Album „Come Around“ ist die Musik noch skeletthafter
geworden und gewinnt dadurch an Seltsamkeit. Dadurch rückt auch die
Sprödheit ihrer Songtexte stärker in den Fokus; Dal Forno benutzt eine
unverblümte Sprache, in der [1][drastisch über Pflanzen] und allerlei Liebe
gesungen wird.
So ist etwa bei „Garden of Earthly Delights“ der Songtitel Programm. Der
Garten als Liebesmetapher wurde zwar schon oft thematisiert, aber Dal Forno
mischt Biologie mit Poesie: Texte über „kalorienreiche Früchte“ und
„fleischfressende Orchideen“ fügen sich nahtlos in eingängige, repetitive
Melodien ein. Diese wachsen mit jedem Hören visuell, die Pflanzen werden
von ihrer Lyrik regelrecht bewässert.
Was die Songstrukturen angeht, verwendet „Come Around“ [2][nie mehr als
vier Akkord]e. Die meiste Zeit sind es zwei, gelegentlich auch nur einer,
was an [3][Peter Kembers altes Plädoye]r für mehr psychedelische
Schlichtheit erinnert: „3 Chords good, two Chords better, one Chord best.“
## Bardenhafte Blockflöte
So ergibt sich die Tiefe von Dal Fornos Musik nicht in den Arrangements,
sondern durch die Art und Weise, wie sie ein breites Spektrum an Emotionen
aus der mesmerisierenden Ruhe ihrer Stimme gewinnt. Mittelalterliche
Tonleitern verleihen dem minimalistischen Kern der Musik Flügel, wie beim
Auftaktsong „Side by Side“ und beim Highlight des Albums, „Stay Awake“,…
dem kosmische Synthiesounds mit bardenhafter Blockflöte verwoben werden.
Durch die rauschige Lo-Fi-Produktion wird auch an andere Künstler:innen
dieser Ästhetikschule erinnert, etwa an die Schwedin Molly Nilsson und das
australische Duo HTRK. Wobei Carla Dal Forno vor allem gesangstechnisch
wesentlich holpriger wirkt. Diese Rauheit der Phrasierung, gepaart mit dem
sanften, allgegenwärtigen Rauschen der Bandmaschine, werden zum Sog. Die
Musik von „Come Around“ ist überwiegend hypnotisierend.
Aber es gibt Ausnahmen: Das polyphonische Duett „Slumber“ mit Thomas Busch
ist das klangliche Manifest der Indie-Süßlichkeit von Wes-Anderson-Filmen –
hier beweist die australische Künstlerin Mut zum Kitsch. Auch die
Instrumentals „Autumn“ und „Deep Sleep“ leiden unter musikalischer
Eindimensionalität.
Aber wie lassen sich musikalische Risiken eingehen und dabei trotzdem die
Identität bewahren? Dal Forno gelingt es am besten, wenn sie ihren
einzigartigen musikalischen Garten pflegt. „Come Around“ ist kein besonders
vielfältiges klangliches Ökosystem, dafür gedeiht hier eine Flora, die nur
bei Dal Forno wächst.
1 Nov 2022
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Yr-Lovely-Dead-Moon/!5868780
[2] /Neues-Album-von-Freejazzer-Rolf-Hansen/!5862011
[3] https://www.youtube.com/watch?v=707YRhUu5hU
## AUTOREN
Alexander Samuels
## TAGS
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