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# taz.de -- Rock meets Free Jazz: Das Gemächt im Eierschneider
> Die US-Band Oxbow und Peter Brötzmann traten 2018 gemeinsam beim
> Jazz-Festival in Moers an. Die wilde Mischung gibt es jetzt als Album.
Bild: Jazzfest Moers 2018: Treffen von Oxbow und Brötzmann
Der Gesang des an der Welt und an der Liebe leidenden Mannes, er ist schon
auf viele Weisen erklungen. Im Modus krähendes Kind (Emocore zum Beispiel),
ostantiv einfühlsam, auch selbstmitleidig (Indierock, generell),
erhaben-pastoral (Nick Cave), oder auch als Versprechen von Stärke und
Panzerung, den Schmerz also negierend (Metal).
Eugene Robinson, Sänger der US-Band Oxbow, hat seit 1989 auf bislang sieben
Alben eine Stimmtonalität entwickelt, die der Redewendung vom Wechselbad
der Gefühle so etwas wie Anschaulichkeit verleiht. Robinson schluchzt,
röhrt und kreischt. Er wirkt dabei maximal getrieben und zugleich wie
komplett in Kontrolle seiner künstlerischen Mittel. Oder auch wie jemand,
der auf einer Party mit seinem Gemächt aus irgendwelchen dunklen Gründen im
Eierschneider hängen geblieben ist und nun souverän versucht, die Misere zu
überspielen.
Eine Assoziation, die die Band selbst wohl auch hatte: Die ersten beiden
Alben, „Fuckfest“ und „King of the Jews“, wurden einst auf einer
Compilation mit dem Titel „The Balls in the Great Meat Grinder Collection“
zusammengefasst.
Das klingt so unangenehm, wie Virilität eben sein kann. Zugleich untergräbt
Robinsons Stimme aber alles an Maskulinismus, weil die Männlichkeit, die
sich hier artikuliert, unüberhörbar eine, wie man so sagt, gebrochene ist.
Zu den Stimmexzessen spielen Bass, Gitarre, Schlagzeug einen irgendwie
bluesigen, experimentierfreudigen Noiserock, der 2022 ein bisschen oll oder
halt zeitlos klingt, weil er 1989 genauso gut wie 2005 hätte erscheinen
können.
Ähnliches gilt für die Musik von Peter Brötzmann, der mit dem
Signatur-Album „Machine Gun“ 1968 den extremistischen Free Jazz in
Westdeutschland miterfunden hat und seitdem unermüdlich hochtourig ins
Saxofon röhrt. Schön, wenn man einen Nachnamen hat, der die eigene Musik
lautmalerisch beschreibt. Und noch eine weitere Verbindung zwischen Oxbow
und Brötzmann: Beide klingen maskulin, verschwitzt und schwanzrockiger als
jede Cockrockband. Aber halt eben auch immer wieder nach Eierschneider.
## Seltsam unverbunden
Die Idee, beide zusammen auf eine Bühne zu stellen, ist also nicht abwegig.
2018 traten Oxbow und Peter Brötzmann gemeinsam beim [1][Jazz-Festival in
Moers] auf. Dokumentiert ist die Zusammenkunft nun auf dem Album „An
Eternal Reminder of Not Today / Live at Moers“. Geboten werden ganz alte
(„Angel, Cat and Mouse“), ältere („Skin“, „Over“) und damals gerade
erschienene („A Gentleman’s Gentleman“, „Host“, „The Finished Line�…
Valley“) Oxbow-Songs, nun unterlegt mit Brötzmanns
Hochgeschwindigkeitsläufen. Was immer am schönsten klingt, wenn die Musik
einen Gang runterschaltet.
Alles in allem funktioniert die Kollaboration leidlich gut. Band,
Brötzmanns Saxofon und Robinsons Stimme agieren seltsam unverbunden, was
einen spätestens nach dem dritten der längeren Stücke auf den Gedanken
bringt, dass die Musik, wenn man beide Pole trennen würde – Noiserock auf
dem einen, acht lange, fragmentierte Saxofon-Soli auf dem anderen Kanal –,
eine bessere geworden wäre. Oder in dem Fall halt gleich zwei.
Mit Schmackes finden Rock und Free Jazz in jenen Passagen zusammen, in
denen ein Stück vorübergehend mit vereinten Kräften kaputtgespielt wird.
„Over“ zum Beispiel, ein schöner Koloss von einem Song, in dem hörbar wir…
was bei Oxbow und Brötzmann unterschwellig präsent ist und immer wieder
gegeneinanderclasht: die Demonstration von Stärke, das Wissen um das
Performative und die Porosität dieser Stärke. Der Schwanz und der
Eierschneider.
23 Nov 2022
## LINKS
[1] /Jazzfestival-Moers-und-Corona/!5774185
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Musik
Jazz
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Nachruf
Lärm
Pop
Musik
Georgien
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