| # taz.de -- Neues Album von Orielles: Besser träumen dank Glockenstimmen | |
| > Das nordenglische Trio Orielles aktualisiert mit seinem neuen Doppelalbum | |
| > „Tableau“ sehr elegant und wenig ehrfürchtig Shoegaze für die Tanzfläc… | |
| Bild: Selbst bei Fotos ziemliche Shoegazer: Orielles in einem Park | |
| Verblassende Farben auf alten Bildern. Selbstporträts im Spiegel, | |
| überstrahlt von der Reflexion des Blitzes. Wären sie in der Ära der | |
| Analogfotografie aufgewachsen, sähen wir die Orielles vielleicht so auf | |
| ihrem ersten Bandphoto. Erzählt man doch, die britischen Schwestern Esmé | |
| und Sidonie Hand-Halford hätten sich mit Henry Carlyle Wade in sehr jungem | |
| Alter auf einer Teenieparty zusammengetan, Musikfans, von denen niemand ein | |
| Instrument spielte. | |
| Ziemlich sicher waren sie noch Teenager, als 2018 ihr Debütalbum die vor | |
| rund 30 Jahre entstandene Ideen des groovenden „Madchester“ Pop-Rock | |
| leichtfüßig und elegant neudachte. Im Jahr darauf kündete das Zweitwerk von | |
| [1][vertiefter rhythmischer Finesse]: Jez Kerr von der Factory-Band [2][A | |
| Certain Ratio] hatte ihnen das Konzept des Raumes im Groove nahegebracht, | |
| derweil die Lektüre Milan Kunderas die Songtexte inspirierte. | |
| Nun, drei lange Jahre später, rattert ein Transeuropa-Express über | |
| stählernen Schienen hinein in eine sphärische Nachtfahrt. Doch abrupt | |
| stürzt der experimentelle Auftakt in raue Gitarrenriffs, reminisziert | |
| gleich zwei Erscheinungen von britischem [3][Underground-Pop-Rock]: | |
| Gemeinsam mit der verhallten Zartheit des Gesangs vernimmt das Ohr ein Echo | |
| der „Shoegaze“ genannten Gitarrenmusik, die um 1990 kurz erblühte und bis | |
| heute immer wieder versucht wird. | |
| ## Schöner Pop mit rüdem Feedback | |
| In ihr sollte die Schönheit klassischer Popmelodien, mit rüden | |
| Feedbackgitarren gekontert, ein Schweben erzeugen, nur um sich oft den Kopf | |
| an den rigiden Vorgaben des Velvet-Underground-Stilbuchs zu stoßen oder an | |
| der vom Feedback kaum kaschierten Einfallslosigkeit. | |
| Beide Effekte beengen ebenso die ästhetischen Möglichkeiten des einst | |
| zeitgleich entstandenen und gleichfalls längst untoten Dream-Pop, dessen | |
| Pose melancholischer Unschuld allzu oft die Transformation von Träumen in | |
| Klang mit einer Musik verwechselt, zu der man gut einschlafen kann. | |
| Konsterniert ob des Gedankens, musikalische Hoffnungsträger an | |
| Indie-Mittelmaß zu verlieren, breche ich bereits mitten im Song ab. Wochen | |
| später, ermahnend bezirzt vom verwaschenen Foto der Plattenhülle und ihrer | |
| Typografie, folgt ein zweiter Versuch, nun im Auto. Hier bemerke ich | |
| gesampelte und gemorphte Stimmen im Gitarrenstück und eine unbekannte, | |
| verzaubernde Energie. | |
| ## Zusehends auf den Dancefloor | |
| Beherzt missachten die Orielles stilistische Beschränkungen. Hihats | |
| geleiten nahtlos in den komplexen Rhythmus von „Airtight“ und während es | |
| sich zusehends in ein Tanzstück verwandelt, schwelgt der Autor, nur noch | |
| eingeschränkt fahrtüchtig. Singt Esmé da nicht gar glasglockengleich „Rock | |
| your body“? | |
| Nein, es heißt „That the body“ und sie fährt fort: „Knows the heat will | |
| come – faint, slow, growing, drifting the memory remember…“ – Driftend | |
| durch ein Kaleidoskop aus Milchigweiß- und Grautönen, fließen die subtilen | |
| Songs ineinander, in ausgedehnten Fade-Outs, zwischen kreisenden Gitarren, | |
| synthetischen Sounds und immer neuen Synkopen entstehen komplexe Formen, | |
| inspiriert von den grafischen, Galeriewände schmückenden, | |
| Notierungstechniken des [4][US-Avantgarde-Jazztrompeters Wadada Leo Smith]. | |
| „Improvisation 001“ streift schlafwandelnd durch den Wildwuchs unbekannter | |
| Felder, welche die späten Grateful Dead gemeinsam mit Edie Brickell | |
| aufsuchen wollten und nicht zu finden vermochten. Kein Stück dieses | |
| Doppelalbums ist zu lang, im Gegenteil – nach Wochen erschließen sich immer | |
| noch neue Details. In „Beams“ erklingen Analogien zu den Überblendungen aus | |
| Derek Jarmans Super-8-Film-Experimenten, derweil die Worte der Traummusik | |
| ein verletztes Herz umsorgen. „Till' the seasons reveal – Something true, | |
| something real“. | |
| Was für ein Wunderwerk! Mit ihnen und Jockstrap deutet das Jahr 2022 auf | |
| einen Aufbruch im Pop. Die Orielles erblicken das Licht der Sterne in | |
| Scherben der Vergangenheit. Alte Stile retten? – Nein, es gilt sie zu | |
| verbessern! Neues entsteht. | |
| 20 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Oliver Tepel | |
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