# taz.de -- Album „No Future Days“ der Band Messer: Scharfes Grooven ohne Z… | |
> Die krautige Band Messer arbeitet weiter am Abrissprojekt des deutschen | |
> Punk. „No Future Days“ heißt ihr neues Album, es steckt voller Verweise�… | |
Bild: Messer ist ein Kollektiv statt bloßer One-Man-Show | |
Schon Franz Kafka wusste: „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für | |
uns.“ Während also über die verschiedenen Bildschirme unserer heutigen Zeit | |
pausenlos neue Meldungen aufpoppen, die von beängstigenden Prognosen und | |
Horrorszenarien sprechen, pünktlich zum Corona-Virus der verheerenden | |
Auswirkungen der Spanischen Grippe im letzten Jahrhundert gedacht wird und | |
die AFD scheinbar unausweichlich die NSDAP beerben wird, erinnert man sich | |
unsanft an das Zwei-Wort-Manifest des Punks, „No Future“, das anscheinend | |
40 Jahre später mehr denn je an Bedeutung gewonnen hat. | |
Womöglich hat [1][die Band Messer] ihr neues und mittlerweile viertes Album | |
deshalb schlicht „No Future Days“ genannt. Dann wiederum entsinnt man sich, | |
dass die Musiker aus Münster, Hamburg und Berlin seit Bandgründung 2010 | |
stets in einer Nachfolgerschaft zur legendären Krautrock-Band CAN standen. | |
1973 hieß es bei den Kölnern noch „Future Days“, doch Zeiten (und | |
Hoffnungen) ändern sich. | |
Vergeblich wird man versuchen, die Band über ihre Referenzen zu | |
dechiffrieren; Messer haben es geschafft, trotz realistischer Dichtung | |
vergleichsweise weit entfernt von „Schlüsselwerken“ zu sein. Das liegt | |
einerseits an der Kompositionstechnik von Hendrik Otremba, dem Sänger und | |
Textmeister der Band: Hochverdichtete Poesie, häufig dem Klang genauso | |
verpflichtet wie der Bedeutung von Worten und Sätzen, ist sein Ding. | |
Das beweist Otremba derweil nicht mehr bloß als Sänger, sondern auch als | |
Schriftsteller, dessen Werke [2][„Über uns der Schaum“] und „Kachelbads | |
Erbe“ viel gelobt worden sind. Darüber hinaus präsentiert er sich ebenso | |
als Bildender Künstler, der mit Gouache, Tusche, Aquarell und Acryl | |
expressionistische Gesichter und berührende Landschaften zu zaubern weiß. | |
Obschon das strahlende Multichecker-Image Otrembas dazu verlockt, ihn als | |
Zentrum der vierköpfigen Gruppe zu betrachten, handelt es sich bei Messer | |
eher um ein Kollektiv denn um eine One-Man-Show. Bassist Pogo McCartney ist | |
der Soundtüftler – der sich diesmal gänzlich für die Aufnahme | |
verantwortlich zeichnet –, wohingegen Drummer Philipp Wulf mit seinem | |
tighten Spiel und dem fast enzyklopädischen Wissen verschiedenster | |
Musikszenen der letzten 50 Jahre den Motor antreibt. | |
## Krautiger Post-Punk | |
Allesamt sind sie Gründungsmitglieder; Milek, der Gitarrist, kam erst vor | |
vier Jahren dazu. Seine verstärkte Einflussnahme meint man auf „No Future | |
Days“ gleichsam zu hören. Ausgenommen des letzten Albums „Jalousie“, das | |
sich bis an die Grenze zur Kunstmusik und damit in die Nähe von Kurt Weill | |
und Lotte Lenya begab, steht Messer seit jeher für einen krautigen | |
Post-Punk, dessen Beeinflussung durch A Certain Ratio genauso | |
offensichtlich ist wie durch vorgenannte CAN. | |
Doch schon der Auftaktsong „Das verrückte Haus“ würdigt neue Idole: Die | |
britische Punkband Wire etwa, die Ende der Siebziger mit stolzgeschwellter | |
Brust sich Richtung New Wave entwickelten. Oder auch Gang of Four, deren | |
(kürzlich verstorbener) Gitarrist Andy Gill ähnlich metallisch-scharf die | |
Off-Beat-Chords setzte und eine bis dato unbekannte Dringlichkeit in die | |
junge Post-Punk-Szene brachte. | |
Oder eben The Clash. Deren Abkehr vom „echten Punk“, hin zu Americana und | |
den Reggae- und Soca-gefärbten Tönen des Notting Hill Carnivals, also der | |
afrokaribischen Community in der englischen Hauptstadt, damals von den | |
Punks ausgebuht wurde. | |
Wenn man die ersten dubbigen Gitarrenanschläge von „Der Mieter“ hört, mei… | |
man ein sanftes Lachen zu vernehmen, das voll höhnischer Verachtung steckt: | |
Liebe Punks, eure Szene-Dünkelei hatte wirklich „keine Zukunft“! Frei | |
jeglicher Zwänge grooven Messer hier im unbekannten Maße, womöglich kann | |
man erstmalig die Tanzschuhe schnüren; immerhin erklingt in der Bridge gar | |
eine Cowbell. | |
Wer die Gruppe kennt, weiß, dass all diese Verbindungen und Verweise mit | |
sicherer Hand angelegt sind und nicht etwa per Zufall ihren Weg in die neun | |
Songs von „No Future Days“ gefunden haben. So oder so: Messer bleiben das | |
Abrissprojekt des (deutschen) Punks. | |
13 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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