Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Münsteraner Band Messer: Im Namen der Marginalisierten
> Im minimalistischen Post-Punk-Delirium: Die Band Messer orientiert sich
> mit ihrem neuen Album „Die Unsichtbaren“ an den Fehlfarben.
Bild: Bewusst unscharf: Messer sind Pogo McCartney, Philipp Weynberg, Hendrik O…
Man hört sie nicht, nimmt sie nicht wahr und bekommt sie nicht zu Gesicht.
„Die Unsichtbaren“, von denen die Münsteraner Band Messer auf ihrem zweiten
Album erzählt, sind mehr als nur unauffindbar. Oft sind sie einsam,
zuweilen orientierungslos, manchmal auch verarmt. Gut geht es keinem von
ihnen.
Das legt nicht nur ein brummender Bass nahe, die krächzende, mit ordentlich
Hall unterlegte Stimme von Sänger Hendrik Otremba und die düster klimpernde
Gitarre. All diese Elemente sind gleich zum Auftakt des Albums – das auch
„Die Unsichtbaren“ heißt – zu hören.
Auch sprechen Messer gleich im Auftakt mit einigen Songzeilen im Namen der
Marginalisierten: „Bitte sprich, oh, sprich mit mir / Auf der Flucht vor
der Verachtung / Bitte sprich, oh, sprich mit mir / Und es gibt nichts
anderes hier“, heißt es in „Angeschossen“, diesem knalligen Opener. Klin…
nach harter Kost, die uns Messer damit aufs Brot schmieren. Ist es auch.
„Die Unsichtbaren“ ist ein düsteres, ein poetisches, ein wütendes Album
geworden. Die westfälische Band vereint darauf die schneidenden Momente von
Bands wie Joy Division, Wire und den Fehlfarben.
## Durchaus lyrische Qualitäten
Messer? Ja, das waren die, um die es im vergangenen Jahr einen kleinen Hype
gab, als das Quartett sein Debütalbum „Im Schwindel“ veröffentlichte. Bis
zum nächsten großen Ding schien es von da nur noch ein kleiner Schritt zu
sein. Schon beim Erstling der Band um Hendrik Otremba waren die Referenzen
klar festgelegt: Postpunk-Delirium, New-Wave-Kühle, generell die düstere
Seite der Achtziger – dazu deutsch gesungene Texte, die durchaus lyrische
Qualitäten offenbaren. Die Musik von Messer verkommt trotz dieser
eindeutigen Reminiszenzen nie zur bloßen Retromanie.
Auf Song Nummer 4 „Tollwut (Mit Schaum vor dem Mund)“ liefert die Band die
Antwort, wie Popgeschichte in Popgegenwart repräsentiert wird, gleich
selbst. Otremba singt da: „Während ich nach der Vergangenheit grabe /
Passiert so viel damit / Während ich nach all den Fragen frage / Nimmt mich
nichts mehr mit.“ Musikalisch könnte man nach dem ersten kursorischen Hören
fürchten, im Vergleich zum Debütalbum findet zu wenig Weiterentwicklung
statt. Aber: „Die Unsichtbaren“ braucht mehrere Durchläufe – und die Mü…
lohnt sich.
Denn Messer sind nicht nur ein großes Stück düsterer geworden, was sich in
den manchmal auch quälend mäandernden Gitarrenläufen zeigt. Sie haben ihren
scharfkantigen Sound auch um einiges perfektioniert. Das fängt schon bei
der Produktion von Tobias Levin an, jenem Hamburger Toningenieur, der
bereits die halbe hiesige Indie-Welt (von Tocotronic, über Ja, Panik, bis
Jens Friebe) mit seinem Knowhow am Mischpult nach vorne gebracht hat. Levin
holt aus dem charmanten Minimalismus der Band einige Quäntchen raus. So
kommt die Gitarre mit wenigen angeschlagenen Saiten aus, die Effektgeräte
tun ihr Übriges.
Gitarrist Pascal Meyburg erzeugt auf diese Weise so viel Atmosphäre, wie es
andere Bands mit drei Keyboards nicht schaffen. Die knarzenden Bassläufe
Pogo McCartneys sind dann bewusst monoton und zuweilen nur in Halbtönen
variierend – und trotzdem funktionieren sie nicht nur als Begleitung,
sondern sie tragen die Musik.
## Klaustrophobisch
Manchmal wünscht man dem Bass noch mehr Raum – was für die gesamte
Rhythmussektion gilt. Über die Musik, die ein klaustrophobisches Gefühl
transportiert, legt sich der dringliche Gesang Otrembas, der sich
allmählich zu einem der besten Texter hierzulande entwickelt. Seine Zeilen
klingen so, als ob Gottfried Benn im Punk gelandet wäre: „Wie eine Spinne /
Von einer Lampe / Lässt sie sich herab / Schmeiß die Pennys / Gegen die
Wand / Vom Dunst verschluckt verschwindet sie“.
Die Abwandlungen altbekannter Pop-Zitate sind zuweilen brillant gesetzt,
wenn in „Tollwut“ etwa auf einen Song der Berliner Band Malaria! („Kaltes
klares Wasser“) verwiesen wird. Bei Messer wird daraus „warmes trübes
Wasser“ und man bekommt so ein exaktes Bild davon, in welcher fiesen Suppe
Messer rühren. Von einer unappetitlichen Gegenwartssuppe, in der wir
schwimmen, handelt das gesamte Album; Messer kontextualisieren die Ängste
unserer Zeit – und erzählen die Storys jener, die im kollektiven
Bewusstsein der Gegenwart nicht vorkommen oder nicht vorgesehen sind.
Der Titel ist dabei nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – an Nanni
Balestrinis Roman über die italienischen Revoluzzer von 77 angelehnt,
sondern an Ralph Ellisons „Der unsichtbare Mann“, dem einzigen publizierten
Roman des afroamerikanischen Autors. Ellison verarbeitete darin die
Erfahrung von sozialer Unsichtbarkeit des schwarzen Amerika.
Messer verstehen ihr Werk als eine Widmung an die Scheiternden, Verkannten,
Untergehenden. Ihnen ist eine sehr hörenswerte Widmung gelungen.
1 Dec 2013
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Messer
Punk
Postpunk
Münster
Messer
Protestsong
Pop
Goldene Zitronen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Album „No Future Days“ der Band Messer: Scharfes Grooven ohne Zwang
Die krautige Band Messer arbeitet weiter am Abrissprojekt des deutschen
Punk. „No Future Days“ heißt ihr neues Album, es steckt voller Verweise​.
Der Protestsong im 21. Jahrhundert: Alles könnte anders sein
„Libertatia“ ist der Titelsong des neuen Albums von Ja, Panik. Im Internet
ist er bereits ein Hit. Was das Lied so besonders macht.
Indie-Band These New Puritans: Pop als Kunst
Die britische Band These New Puritans arbeitet auf ihrem Album „Field of
Reeds“ mit komplexen Arrangements. Jetzt tourt sie durch Deutschland.
Die Goldenen Zitronen treten auf: Zurück ins Auge
29 Jahre und immer noch auf der Suche nach der richtigen falschen Seite:
Die Goldenen Zitronen sind mit ihrem jüngsten Album „Who’s Bad?“ im Nord…
unterwegs.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.