# taz.de -- Die Goldenen Zitronen treten auf: Zurück ins Auge | |
> 29 Jahre und immer noch auf der Suche nach der richtigen falschen Seite: | |
> Die Goldenen Zitronen sind mit ihrem jüngsten Album „Who’s Bad?“ im | |
> Norden unterwegs. | |
Bild: Politfolklore? Doppelbödig? Jedenfalls da: Die Goldenen Zitronen. | |
HAMBURG taz | Zur Party kam ich zu spät. Als Die Goldenen Zitronen meinen | |
Weg kreuzten, 1991 wird es gewesen sein, oder 92, mit „80.000.000 | |
Hooligans“ jedenfalls, da war der Spaß vorbei: der Fun, den sie, dem Punk | |
vorangestellt, so lange mit sich geführt hatten. Klar: eine Band mit so | |
einem Namen – Fun-Punk. Kunden, die dies bestellten, griffen auch zu bei: | |
Die Toten Hosen, Ärzte, Abstürzende Brieftauben. Lustige Wuschelfrisuren | |
und Drei-Akkorde-Schmiss, moderat die Eltern schockende deutsche Texte und | |
dann diese Schlager-Zitate, lange vor dem -Revival, das einem bis heute | |
Jahr für Jahr den Stadtteil versaut. | |
Im Fall der Hamburger um Schorsch Kamerun (auch so ein Name) und Ted Gaier | |
– sowie, damals, ein paar andere, die nicht bis heute durchhielten – gab es | |
Titel wie „Der Tag als Thomas Anders starb“ und „Kampfstern Mallorca dockt | |
an“, aber das war dann eben auch vorbei, als es hätte durchstarten können. | |
Als der eine oder andere lukrative Vertrag in Reichweite war – eine noch | |
gut im Saft stehende Schallplattenbranche brauchte neuen Stoff –, da sagte | |
man halt: Nein. | |
Und es war ja mit einer später umso vorzeigbareren Stoßrichtung passiert, | |
all das Kopfgewuschel, die seidigen Frauenpyjamas und die | |
Alphaville-„Forever Young“-Coverversion: „Wir wollten etwas Uncooles | |
machen“, so gab es Kamerun vor ein paar Jahren der taz-Autorin mit auf den | |
Weg, „etwas, was gegen die Kleiderordnung der Autonomen und der Punks und | |
gegen den Rockmännerhabitus ging.“ Die hatten sie ja schon früh ganz in | |
ihrer Nähe und dann immer um sich herum. Nicht nur die Punks, auch die | |
Autonomen, und von denen wohl gerade auch die Lederjackenmänner. | |
Von Spiegel-Lohnschreibern unterscheiden sich die „Goldies“ in vielem, vor | |
allem aber hierin: Sie wandten sich ab von ästhetisch in Frage zu | |
Stellendem, ohne die Inhalte gleich mit zu entsorgen. Der umkämpften | |
Hafenstraße etwa blieben sie verbunden, gerade weil sie keine autonomen | |
Macker waren. Sie rückten nach links, als die Zeiten danach zu verlangen | |
schienen: Als nach der Wiedervereinigung und angesichts gehäufter | |
Neonazi-Übergriffe sich in Hamburg linke Popmusiker und Musikjournalisten | |
im „Wohlfahrtsausschuß“ zusammentaten, hingen Die Goldenen Zitronen mit | |
drin, und das sogar sehr konkret: Sie hatten sich in einem der damals noch | |
so neuen Bundesländer selbst in einem Hinterhalt wiedergefunden. | |
Wie der sogenannte Druck von der Straße sich als Asylrechts-Kappung bis in | |
die Parlamente fortsetzte, kommentierten die einstigen Spaßvögel, indem sie | |
sich mit ein paar Rappern zusammentaten und die erwähnte Moritat von den | |
„80.000.000“ Hooligans neu einspielten – womit sie bei aller politischen | |
Anschlussfähigkeit wesentliche Teile ihres vormaligen Publikums abgestreift | |
hatten. Eine Häutung, die sich wiederholen sollte: Man wurde mal | |
nervjazziger, entdeckte Postpunk-Zappeligkeit wieder, machte in Diskurs – | |
es war ja die Zeit der Hamburger Diskursschule –, begab sich mit neuer | |
Elektronik auf den Dancefloor und dann wieder in die Dissidenzbude. | |
Parallel dazu fächerte das Kernpersonal seine Aktivitäten auf: Wo der Markt | |
kollabiert, immer noch das Maul aufreißend, ist ja nicht schlecht beraten, | |
wer sich dahin flüchtet, wo das eine oder andere Subventionstöpfchen | |
auszuschlecken ist. Und so ist Kamerun seit längerem auf Theaterbühnen | |
zugange, kriegt auch schon mal Preise für seine Hörspielarbeiten. | |
Ein wenig hatten wir uns aus den Augen verloren, die Goldies und ich. Umso | |
erfreulicher: Wie dringlich und, tja: relevant sie wieder klingen, auf | |
„Who’s Bad?“, Album Nummer drölf (subjektive Zählung). Ob die | |
Anti-Gentrifizierungs-Kracher und Kunstbetriebs-Schunkler nun berechenbare | |
Polit-Folklore sind – oder nicht doch ganz schön doppelbödig: Das klären | |
wir noch. | |
Live: Sa, 26. 10., Hamburg, Gruenspan; Mi, 13. 11., Bremen, Lagerhaus; Do, | |
14. 11., Hannover, Glocksee | |
25 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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