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# taz.de -- Songwriter Hans Unstern über neues Album: „Mit Harfe und High He…
> Hans Unstern gehört zu den Ikonen des Musikbetriebs. Im Interview erklärt
> er, wie er auf seinem neuen Album die Vielheiten im Eigenen erkundet.
Bild: Hans Unstern, ein Künstler zwischen Scharade und Realität
Beim Debütalbum „Kratz dich raus“ (2010) schien es noch klare Sache zu
sein, wer [1][Hans Unstern] ist und was er will: Ein ehemaliger
Straßenmusiker, den die Skepsis an Existenz und Sprache in die Arme der
Berliner Indie-Szene getrieben hatte, wo er mit ähnlich ambitionierten
Projekten wie der Band Ja, Panik am Sound des neuen Jahrzehnts feilte.
Spätestens 2012 zum plakativ [2][„The Great Hans Unstern Swindle“]
betitelten Nachfolger und einem zeitgleich erschienenem Gedichtband (Merve
Verlag), als er in Persona des Performance-Künstlers [3][Tucké Royale]
auftrat, war deutlich: Zwischen lustvoller Scharade und komplexer
Wirklichkeit dessen, was ein Subjekt sein kann, muss eine
Künstler-Definition vertagt werden.
Nach achtjähriger Pause veröffentlicht Unstern nun sein drittes Album,
[4][„Diven“]. Es inszeniert ihn als zwischen allen Stühlen wandelndes
Klangwesen. Munter formuliert es ein Ich, das stimmlich in Nachtigall
kippen kann und das mit einer selbst gebauten, elektrisch modifizierten
Harfe musikalisch weit entfernt vom Songwriter-Ich angesiedelt ist.
„Unbreak my voice“ singt Hans Unstern im Song „Nichtstestotrotz“ – den
Stimmbruch glätten als Zielsetzung. Ein „Bonbon aus Plastik“ bringt Helge
Schneiders phallisches „Bonbon aus Wurst“ in die queeren Bereiche von
Cyborg-Theorie. „Diven“ ist ein experimentelles Popalbum, dessen Melodien
und Klänge strahlen. Es folgt ein Telefonat mit dem Künstler, der vorgibt,
Hans Unstern zu sein.
taz: Guten Tag, Herr Unstern, schön, dass es klappt mit diesem Gespräch.
Hans Unstern: Ja, sehr schön. Ich freu mich auch. Und will gleich
vorwegschicken, dass die Autor*innenschaft meiner Arbeit keineswegs so
eindeutig bei mir liegt, wie oft unterstellt wird. Bei diesem Album bin ich
lediglich endlich bereit, höchstpersönlich das Singer-Songwriter-Püppchen
zu spielen. Das gilt auch für Interviews. Diese Autor*innenschaft: Da gibt
es Wahlverwandtschaften, deren Arbeiten mich beschrieben haben, es gibt
Ghostwriter*innen, Selbstauslöserinnen, auch herkömmliche Zitate. Also
nicht wundern, wenn hier unterschiedliche Stimmen durchhuschen.
Hans Unstern sind also nicht nur Sie, sondern er ist ein Kollektiv, eine
Form, in die auch andere hineinschlüpfen? Trotzdem sind Sie am Schluss
der*diejenige, der*die Musik präsentiert. Wie fühlt sich das an, von der
Vielfalt zu etwas Materiellem zu werden, spätestens auf der Bühne?
Der Titel „Diven“ beschreibt das schon gut. Die Mehrzahl, the multitude.
Ein Puzzle aus kleinen Versatzstücken, die einen geformt haben. Diese Idee,
dass das Selbst eine einzige große Imitation ist, die Puzzleteile, die
einen ausmachen, die zu einem Bild werden, das wir dann ‚Selbst‘ nennen.
Das lässt sich so schön dekonstruieren, dieses Selbst. Ein Puzzle, das sich
zusammensetzt aus Dingen, mit denen ich mich wohlfühle.
Das ist optimistisch gedeutet. Ist das nicht auch wahnsinnig anstrengend?
Das ist eine Lebensaufgabe. Es ist wie ein Lebenslänglich-Puzzle ohne Rand.
Wir puzzeln ja gerne als Erstes den Rand, weil wir uns dann orientieren und
einrahmen können. Aber dieser Rand legt auch viel fest. Er hindert mich am
Werden und am Wachsen. Ich sehe das Selbst als Puzzle, bei dem die Teile
erneuert werden können, neu konfiguriert, rausgenommen und neu bemalt, oder
die Form verändert, bis es sich passend anfühlt. Es gibt viel zu lernen,
aber auch viel zu ver-lernen. Ein Entlernen dessen, was eine*n vielleicht
geprägt hat in einer Zeit, wo ich vielleicht noch nicht verstanden habe:
Wessen Überzeugungen sind das gerade, warum werden die mir mit auf den Weg
gegeben? Aus so einer Zeit, die bei mir immer noch die längste Zeit meines
Lebens ist, gibt es so viel zu entlernen. Und dieses Entlernen habe ich
lieben gelernt. Eine schöne Lebensaufgabe.
Was mögen Sie denn erzählen, über das Album, das Sie da gemacht haben?
Die Songs waren längst fertig und warteten auf diesen Moment der
Veröffentlichung. Dass „Diven“ siebeneinhalb Jahre auf sich hat warten
lassen, liegt vor allem an der V-Harfe: eine fünfteilige Harfe in V-Form,
die ich zusammen mit dem Klangkünstler Simon Bauer gebaut habe. Sie wird
zum Teil händisch gezupft und ist aus Hartholz, zum Teil wird sie
mechanisch ferngesteuert und ist aus Stahl. Sie steht im Zentrum des Albums
und der Konzerte, die hoffentlich im Juni stattfinden. Jede Note dieses
Albums haben wir mit dem Instrument aufgenommen. Der vielschichtige Sound
kommt dank der über 40 automatisierten Hubmagnete zustande, die an Saiten
und Harfenrahmen klopfen können.
Können Sie das an einem Beispiel anschaulich erklären?
Bei der Produktion von „Diven“ verwendeten wir Formen von Aleatorik, also
Kompositionsprinzipien, die auf Zufall basieren. Das Arrangement für den
Song „Keine Zeit“ zum Beispiel entstand bei einer Improvisation mit der
akustischen Harfe zu einem schmatzenden, meditativen Beat. Dieser setzt
sich aus vielen rhythmischen Figuren zusammen, die im Sequenzer von einem
Zufallsgenerator aneinandergereiht werden. Für die Klangformung des Beats
verstärkte Simon Bauer die mechanischen Geräusche der Relais, die die
Impulse zum Auslösen der Hubmagnete an die Metallharfe schicken. Statt
dieses Klicken als Störgeräusch wahrzunehmen und zu verstecken,
betrachteten wir es als Ausgangspunkt für das Arrangement des Songs. Als
die V-Harfe durch diese Automatisierung zu einer Maschine wurde, wollten
wir ihr möglichst viel Autonomie geben. Sie ist nicht nur
befehlsempfangende Klangerzeugerin, sondern gibt uns gleichermaßen Befehle
mit Arbeitsanweisungen zurück. Wir „bedienen“ diese Maschine also in
zweierlei Hinsicht. Einmal in Gang gesetzt, werden wir zu
Fließbandarbeiter*innen, gefangen im laufenden Produktionsband der
Maschine.
Das ist das Gegenteil von der Gitarre, die man in den Koffer steckt und mit
der man auf Tour geht. Hat Sie das Sperrige angesprochen?
Nein, eher nicht. Wir haben immer versucht, auch eine Eleganz ins Material
zu kriegen, eine ansprechende Form. Und das Instrument so gut wie möglich
zu komprimieren. Das mit der Harfe ging beim zweiten Album los, schon bei
„Great Hans Unstern Swindle“ wollte ich unbedingt Harfe spielen. Simon und
ich begannen damals unsere ersten experimentellen Harfen zu bauen. So hat
es angefangen, dass ich mich wohler gefühlt habe im Scheinwerferlicht. Wie
anstrengend es war, sich die ganze Zeit zu verstecken! Mit Gitarre in der
Hand, war das lange meine Reaktion, die Suche nach einem Versteck. Mit
Harfe und Highheels fühle ich mich jetzt sauwohl im Rampenlicht.
Die Harfe wird als Instrument wahrgenommen, das stark geschlechtlich
konnotiert ist, das scheinbar notwendigerweise immer von einer
elfengleichen Frau gespielt wird, aber zugleich ist es auch ein Instrument,
das eben nicht körperlos verhuscht ist, sondern viel körperlichen Einsatzes
bedarf.
Das Gefühl, an der Harfe zu spielen, ist wie eine Umarmung. Ein Halten und
Gehaltenwerden.
Besonders eine Zeile auf dem Album sticht heraus: „Unbreak my voice“.
Mit dem Stimmbruch ist es nicht so eindeutig, wie gemeinhin getan wird.
Dass bestimmten Personen im Teenageralter ein hörbarer Stimmbruch passiert,
ist nur ein Teil der Stimmbruchvielfalt. Es gibt zum Beispiel auch
selbstbestimmt herbeigeführte Stimmbrüche, egal in welchem Alter. Und
vielleicht habe ich mit „Diven“ versucht, meinen Stimmbruch für meine
Singstimme rückgängig zu machen. Bei dieser Arbeit an der Singstimme
entsteht für mich so eine Schwingung des Suchens, des Fragens, der
Fragilität, die mich interessiert.
30 May 2020
## LINKS
[1] https://www.hansunstern.net/
[2] https://www.hansunstern.net/swindle/
[3] /Musiker-Hans-Unstern-ueber-Krypto-Folk/!5053937&s=hans+unstern/
[4] https://www.hansunstern.net/diven/
## AUTOREN
Steffen Greiner
## TAGS
Musik
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Postpunk
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