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# taz.de -- Festivaltipp für Berlin: Analoges Gegenmodell
> Beim Festival für selbstgebaute Musik werden im Moabiter ZK/U drei Tage
> lang Geräte zur Klangerzeugung gebastelt. Dazu gibt es Vorträge und
> Konzerte.
Bild: Klänge lassen sich auf viele Arten erzeugen – auch mit Nähmaschinen
Okay, unter einem Schlagbaum können sich die meisten Menschen noch etwas
vorstellen. Doch was, bitteschön, ist eine Teleskoprohrfagott? Oder eine
Schlauchtrompete? Hinter solch hübsch mäandernden Begrifflichkeiten
verbergen sich Bezeichnungen für selbstgebaute Instrumente, die fast immer
aus Alltagsmaterialien hergestellt werden und entsprechend günstig sind.
Kennenlernen kann man sie am kommenden Wochenende bei einem Festival, das
sich mit dem weiten Feld selbstgebauter Geräte zur Klangerzeugung befasst.
Und natürlich steckt auch hinter dem erwähnten Schlagbaum in diesem Kontext
etwas anderes als die Grenzschranke, die man spontan assoziiert, nämlich
ein Baum aus Rohren, auf dem man Herumschlagen und -trommeln kann: ein
Perkussionsinstrument also.
Das Festival für selbstgebaute Musik findet zwischen kommendem Freitag und
Sonntag drei vollgepackte Tage lang statt; zum zweiten respektive fünften
Mal – je nachdem, wie man zählt. Hervorgegangen ist die Veranstaltung aus
einem Kiezmusikfest, seither ist es stark gewachsen. Nun findet es zum
zweiten Mal, entsprechend umfänglich, im Moabiter Zentrum für Kunst und
Urbanistik statt.
Es darf gebastelt werden; und es darf auch nur geguckt beziehungsweise
gelauscht werden, wie man mit simplen Mitteln unterschiedlichste Geräte zur
Klangerzeugung bauen kann. Und wie die sich dann anhören. Neben dem
Anspruch, der neugierigen Öffentlichkeit, und zwar auch ganz
unterschiedlichen Alters- und Interessensgruppen – es gibt etwa Workshops
für Kinder – einen Einblick zu geben, will man mit dem Festival auch
Musikern und Künstlern eine Plattform zur Vernetzung geben.
## Wachsende Maker-Szene
„Es geht darum, Ideen kursieren zu lassen“, betont Hajo Toppius, einer der
Initiatoren, auch zwischen Szenen, die sonst nicht miteinander in Kontakt
stehen. Berliner Instrumenten-Eigenbauer sind in unterschiedlichsten
Kontexten unterwegs, und Tüftler treffen auf Klangforscher; zudem gibt es
Überlappungen mit der sogenannten stetig wachsenden Maker-Szene, in der es
darum geht, Dinge selbst herzustellen oder existierende umbauen.
Doch worin liegt im Zeitalter der digitalen und mittlerweile auch günstigen
Erzeugbarkeit eines fast jeden Tons und jeder Klangfarbe der Reiz, solche
Gerätschaften selbst zu bauen? Hajo findet, dass es genau darum geht:
„Etwas selbst zu machen, im Sinne von Selbstermächtigung. Natürlich steckt
darin auch ein analoger Gegenentwurf zu der Idee dieser totalen
Verfügbarkeit.“ Nicht zu vergessen sei, dass Klangerzeugung aus
Alltagsgegenständen zudem eine performative Seite habe: „Es geht auch um
die Sichtbarkeit von Sound und Soundproduktion.“
An der können sich dann auch Menschen erfreuen, die sich bisher gar nicht
mit der Thematik beschäftigt haben oder lieber passiv bleiben. Am Sonntag
gibt es nämlich, wie an den vorhergehenden Tagen, nicht nur ein
Tagesabschlusskonzert, sondern schon am Nachmittag mehrere Performances,
etwa von britisch-bajuwarischen Duo Beißpony. Bei ihnen trifft ein
Punkethos auf Gender-Theorie und glitzernde Kostüme. Musiziert wird
übrigens auf Nähmaschinen. Ebenfalls erleben kann man den
eigenwillig-verschrobenen Musiker und Lyriker Hans Unstern.
Und auch richtig große Instrumente werden bespielt, etwa eines von F. S.
Blumm und Ansgar Wilken, der sich „kitchen sink avantgarist“ nennt. Gebaut
werden diese Gerätschaften, die fast Installationscharakter haben, zwar
nicht auf dem Festival. In den Workshops widmet man sich eher
überschaubareren Projekten. Doch auch große Instrumente werden zumindest
vorgestellt – unter anderem von gleich drei Acts am Sonntagnachmittag.
## Physik der Instrumente
Der Berliner Musiker F. S. Blumm alias Frank Schültge, der sich von Dub
über Singer-Songerwritertum bis hin zum Avantgarde-Minimalismus schon in
allerhand Nischen ausprobierte, ist ein ausgewiesener Fan selbstgebauter
Klangerzeuger. Das Thema begleitet ihn seit 20 Jahren. Er wird am
Samstagnachmittag einen Workshop zum Thema „Klangbox“ veranstalten (bitte
anmelden, auch für die anderen Workshops).
Darüber hinaus gibt es Vorträge zu ganz praktischen Aspekten, etwa zur
„Physik der Instrumente“; aber auch zu Metathemen, wie etwa feministischen
Potenzialen, die in dieser Form des Selbermachens stecken – übrigens
veranstaltet vom Duo Beißpony. Kurzum: Das Festival versucht den
Rundumblick und macht neue Nischen auf.
Einen Vorgeschmack auf das breite Spektrum von Ansätzen gibt der
Freitagabend. Nach einem Künstlergespräch und einem Abendessen (bitte
ebenfalls anmelden!), veranstaltet vom Speisekino Moabit, die im Sommer ihr
Freiluftfilmprogramm mit feinen Menüs ergänzen, gibt es den auf der
vergangenen Berlinale vorgestellten Dokumentarfilm „Système K“ zu sehen.
Der erzählt von Künstlern, die den Müll von den Straßen Kinshasas in für
die Allgemeinheit nutzbare Kunst verwandeln.
Im Anschluss spielt dann das Elektronikduo Driftmachine, obgleich der
Festival-Schwerpunkt auf nichtelektronischen Instrumenten und den damit
einhergehenden haptischen Erfahrungen liegt: Doch was die beiden Musiker,
Andreas Gehrt (auch unterwegs mit dem Tied & Tickled Trio) und Florian
Zimmer (Saroos), machen, besteht nicht nur aus Tastendrücken am Laptop,
sondern ist durchaus erlebnisreich, auch fürs Publikum. Das Duo lässt
klangtechnisch gerne dahin treiben, wohin sie ihre Lieblingsmaschine, der
modulare Synthesizer, führt.
Treiben lassen kann man sich sicher auch als Besucher durch dieser
Festival.
Dieser Text erscheint im taz Plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
12 Sep 2019
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Pop
Musik
Popmusik
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