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# taz.de -- Saroos' neues Album „Turtle Roll“: Singen dank Seuche
> Indietronic war gestern. Das Trio Saroos polstert sein neues Album
> „Turtle Roll“ mit Gesang, Hooklines und Popappeal geschmackvoll auf.
Bild: Die Herren Punktezahl, Brandner und Zimmer (von links) im Münchner Schla…
Saroos, so heißt ein schüchternes Völkchen, das sich nicht aus seinem Tal
wagt. Erfunden hat es der so kauzige wie visionäre britische Popkomponist
und Produzent Joe Meek für sein entspannt-verschrobenes
Space-Age-Konzeptalbum „I Hear A New World“ (1960/1991). Auf diesem Album
dachte er darüber nach, wie es auf weit entfernten Planeten klingt, wenn
die Bewohner traurig sind. Oder auch darüber, zu welchen Klängen im All
getanzt wird.
Diese Scheu, erklärt Florian Zimmer, Keyboarder der Band Saroos, konnten er
und seine beiden Mitstreiter bei sich wiedererkennen und benannten sich
also nach Meeks Tribe: „Bei uns funktioniert es allerdings umgekehrt: Wir
gehen in die Welt raus, obwohl wir uns eigentlich nicht trauen.“ Nun, das
mag einst so gewesen sein.
Zimmer und Schlagzeuger Christoph Brandner lernten sich [1][als Musiker der
Weilheimer Combo Lali Puna] kennen – und suchten bald nach Raum für Ideen,
die dort keinen Platz hatten. Zu ihnen stieß Max Punktezahl; einst bei der
Berliner Band Contriva. Als Tourgitarrist von [2][The Notwist] gehörte er
ebenfalls zu dieser im Oberbayerischen beheimateten produktiven Blase. Ihr
gemeinsames Debütalbum „Saroos“ erschien 2006. Auf dem neuen, sechsten
Album „Turtle Roll“, trauen sie sich nun einiges mehr.
## Nicht mehr zu seltsam, um Pop zu sein
Noch 2016 hat die Postrock-Combo ihr Zwischen-den-Stühlen-Sitzen so
umschrieben: „Wir machen Instrumentalmusik, die zu melodisch und verträumt
ist, um als experimentell durchzugehen; die aber auch zu seltsam und
instrumental klingt, um Pop zu sein.“
Mit „Turtle Roll“ sind sie jetzt doch in Pop-Gefilden gelandet. Und klingen
aller Versponnenheit zum Trotz eingängig – und so eklektizistisch wie ein
Sommer-Mixtape. Auch in einem anderen Punkt bewegen Saroos sich raus aus
ihrer Komfortzone: Erstmals wird in den Stücken gesungen. Das übernehmen
sieben Gäste: Ronald Lippok (To Rococo Rot) sprechsingt beim funky Auftakt
„Tin & Glass“ sonor und retrofuturistisch. Solent aus Kanada gibt dem erst
verschlurften, dann groovenden „The Mind Knows“ eine Dreampop-Anmutung.
## Selbst zu singen, kam nicht in Frage
Nach Erscheinen des Vorgängers „OLU“ (2020), punktgenau zum ersten
Lockdown, haben die drei gleich weiter an Songs gearbeitet. „Weil es gerade
so viel Spaß machte“, sagt Zimmer, und weil die Tour ins Wasser fiel. Als
sie sich dann wieder trafen, kam die Frage auf: Warum nicht mit echten
Stimmen arbeiten? „Mit Samples haben wir uns oft beschäftigt. Wir wissen,
wie das geht,“ erzählt Zimmer. „Selbst zu singen, kam nicht in Frage. Da
sind wir eher semitalentiert.“
So fragten sie bei der Performancekünstlerin Leila Gharib alias Sequoyah
Tiger an, einer Musikerin, Produzentin und Breakdancerin aus Verona. Heraus
kam das mäandernde „Frequency Change“: ein Highlight dieses tollen
Synthiepop-Albums – neben dem perlenden „Mutazione“, bei dem die in Berlin
lebende Technoproduzentin Eva Geist singt, Italienerin auch sie.
Ob Saroos mit dem neuen Sinn fürs Gemeinschaftliche auf die
pandemiebedingte Isolation reagierten – darüber sind sich die Künstler beim
Interview uneinig. Punktezahl erinnert, dass die Idee mit den
Gastsänger:Innen schon vor Corona im Raum stand. Zimmer dagegen erzählt
begeistert, wie überraschend die Anbahnung der Gastauftritte geriet. „Weil
in der Pandemie niemand unterwegs sein konnte, kam sofort eine Antwort. Die
Sessions waren inspirierend. Ich weiß nicht, ob das sonst so passiert
wäre.“ Das Trio einigt sich darauf, dass die Seuche beschleunigte, was
sowieso anstand.
## „Sonst klopfen wir es in die Tonne“
Früher haben die drei in München, Berlin und Hamburg lebenden Musiker Ideen
vor allem über Filesharing ausgetauscht, erzählt Brandner. „Inzwischen
treffen wir uns öfter zu zweit, manchmal auch zu dritt.“ Dabei setzen sie
sich ein Limit: Innerhalb einer Stunde muss eine brauchbare Idee entstehen.
„Sonst klopfen wir es in die Tonne.“ Mittlerweile spielen sie viel selbst
ein und programmieren wenig.
Saroos haben sich freigespielt – und sind nicht in der Abstraktion
gelandet, sondern bei gesteigertem Popappeal. „Vor zehn Jahren wäre uns das
zu cheesy gewesen“, beobachtet Punktezahl. Brandner rückt zurecht: „Wir
hätten das schlichtweg nicht gewagt. Es braucht auch Vertrauen in die
eigenen Fähigkeiten, sich nackig zu machen und am Vibrafon herumzustümpern,
obwohl man eigentlich nicht spielen kann. Mit der Zeit gewöhnt man sich an
solche Zustände.“
20 Jun 2023
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Lali-Puna/!5442453
[2] /Vertigo-Days-von-The-Notwist/!5746887
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
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