| # taz.de -- Folkmusik aus Bayern: Die Welt ist voller seltsamer Songs | |
| > In der Hochzeitskapelle frönen Markus und Micha Acher der Blasmusik. | |
| > Bratschistin Evi Keglmaier hat ein Soloalbum veröffentlicht. | |
| Bild: Die Hochzeitskapelle in der Münchner U-Bahn-Station | |
| Als vor einigen Wochen in München der Fraunhofer Volksmusikpreis 2019 | |
| vergeben wurde, traute man seinen Ohren kaum: Zum Finalistenkonzert traten | |
| zwei Formationen an, die mit tümelndem Bayernklang und narrensicherem | |
| Kabarettgehabe voll auf vorgestrige Klischees setzten. Wo war der | |
| selbstbewusst runderneuerte Sound des unglaublich seltsamen Bayern | |
| geblieben? | |
| Wenn man das Etikett „Heimat“ überhaupt bemühen muss, stach nur gerade die | |
| Siegerband ScheinEilig, ihrem Namen zum Trotz, mit etwas musikalischem | |
| Wagemut heraus aus dem Biederen. Bei der ersten Austragung 2008 war dieser | |
| Wettbewerb noch von Bands wie Kofelgschroa und La Brass Banda im | |
| Handstreich genommen worden. Doch die wirklich gute voralpine Musik von | |
| heute spielt längst wieder woanders. | |
| Dabei ist längst nicht jede holterdipolter übers Wochenende gegründete | |
| Brassband unbedingt hörenswert, und der heimatlich gelabelte Sound wird | |
| vielerorts so lange breitgetreten, bis tatsächlich Quark dabei herauskommt. | |
| Wenn man den führenden Bands in die Kochtöpfe schaut und das Netz der | |
| Feuerstellen untersucht, die die Szene unter Dampf halten, landet man zum | |
| wiederholten Mal bei den Brüdern Markus und Micha Acher (ursprünglich aus | |
| Weilheim). Die verfolgen seit einer kleinen Ewigkeit mit diversen Projekten | |
| ein äußerst vielgestaltiges Programm – mit ihrer Hauptband The Notwist, | |
| aber auch im Tied & Tickled Trio, als Spirit Fest, beim Café Unterzucker | |
| und diversen weiteren Ablegern. | |
| ## Ad hoc versammelt | |
| Als der Musiker Markus Acher 2012 seine Lebensgefährtin, die Musikerin | |
| Valerie Trebeljahr, heiratete, haben sein Bruder Micha und einige | |
| befreundete Kollegen ad hoc eine Hochzeitskapelle zusammengetrommelt. Doch | |
| die MusikerInnen wollten (wie hoffentlich die Eheleute Acher ebenso) gar | |
| nicht mehr auseinandergehen, so selbstverständlich kam hier – auch ohne | |
| Elektronik und Effekte – eine Tanzmusik zum Träumen zustande. | |
| Den Namen Hochzeitskapelle behielt sie einfach bei und mäandert seither | |
| lustvoll durch verschiedenste Stile, sturheil international und strikt | |
| instrumental. Evi Keglmaier an Bratsche und Tuba, Mathias Götz an der | |
| Posaune, Micha Acher an Trompete und Tuba, Alex Haas an Banjo und | |
| Kontrabass und Markus Acher am Schlagzeug frönen einer ganz eigensinnigen | |
| Musik, die inzwischen auch auf zwei Alben dokumentiert ist. | |
| „The World is full of Songs“, aufgenommen 2016 im Oberammergauer Hotel | |
| Kovèl, hält Coverversionen von Moondog, den Skatalites, Sun Ra und anderen | |
| bereit. Mit „When it rains in Texas“ von FSK (mit Kofelgschroas Maxi | |
| Pongratz am Akkordeon als Gast) wird ein weiterer Fixstern am bayerischen | |
| Musikfirmament gegrüßt, und „Wedding Song“ von Kama Aina verweist bereits | |
| auf dessen „Wayfaring Suite“, die das komplette zweite Album – | |
| veröffentlicht 2018 – einnimmt. | |
| ## Kein Kolonialwaren-Mix | |
| Der Japaner Kama Aina heißt eigentlich Takuji Aoyagi und ist ein mit | |
| Reiselust infizierter Komponist. Seinen Künstlernamen hat er sich auf | |
| Hawaii zugelegt, wo er Inselbewohner bedeutet. Auf dem bayerischen Festland | |
| hat Aina seine Musik der Hochzeitskapelle anvertraut, spielt an Akkordeon | |
| und Gitarre auf dem Album selbst mit und war mit der Band auch auf Tournee. | |
| Man kommt tatsächlich weit rum in der „Wayfaring Suite“: Hier balinesische | |
| Gamelan-Klänge, da Fanfaren wie beim Filmkomponisten Nino Rota, dort | |
| Artrock-Geklöppel wie bei Henry Cow, aber all das und mehr so geschmeidig | |
| verbunden, dass es Béla Bartóks Inbegriff von imaginärer Folklore | |
| nahekommt. Noch die exotischsten Details wirken in den Händen dieser | |
| Hochzeiter eigentümlich vertraut. Kein Kolonialwaren-Mix, sondern ortloser | |
| Globalpop. | |
| „The World is full of Songs“ klingt angriffslustiger: Mal eine ruppige | |
| Stampede wie mit Ackergäulen, dann ein verschleppter | |
| Second-Line-Trauermarsch. Simple Riffs, Dur/Moll-Sprünge, repetitive | |
| Muster. Hypnotisch im manchmal fast zu wahren Sinn des Wortes, aber schon | |
| weckt einen die mutwillig windschiefe Bratsche in Françoise Hardys Chanson | |
| „Comment te dire adieu“ mit schöner Obertonvöllerei. Äußerst gelungen a… | |
| der Soundtrack zu dem Spielfilm „Wackersdorf“ von Oliver Haffner, für den | |
| die Hochzeitskapelle beim Deutschen Filmpreis Anfang Mai mit der Lola für | |
| die beste Filmmusik dekoriert wurde. | |
| ## Tempo, Tumult und anderes Teufelszeug | |
| Trotzdem sei ihre Musik Rumpeljazz, heißt es übereinstimmend in den | |
| halbamtlichen Verlautbarungen über die Band, und der eine schreibt es beim | |
| anderen ab. Rumpeln ja, aber Jazz? Bloß weil es weder auf Rock noch auf | |
| Folk noch auf Indie und Ambient hinausläuft? Durchaus, wenn man Jazz beim | |
| Wort nimmt, wie es ursprünglich mal gemeint war: Als Synonym für Speed, | |
| also für Tempo, Tumult und anderes Teufelszeug. Aber Jazz ohne jeden | |
| Virtuosenstress, die Hochzeitskapelle mag es ganz gern gemächlich und | |
| schwelgt in behaglichen Refrains. | |
| Bayerisch ist hier allenfalls die gelassene Haltung, mit der das | |
| reiselustige Repertoire gespielt wird: leicht untertourig, betont | |
| obergärig, gekonnt austariert. Hier sind keine wirklich alten, aber | |
| durchaus erfahrene Hasen am Werk und nicht etwa Zirkuspferde. | |
| Auf der „Wayfaring Suite“ wird weniger gerumpelt, diese ist dem Wohlklang | |
| verpflichtet. Aber der letzte Schliff bleibt glücklicherweise aus. Lieber | |
| riskiert die Kapelle einen Schuss handgemachten Ska, und die Percussion | |
| pocht mit links den Rhythmus und malt mit rechts die Klangfarben. Singen | |
| tut jedoch nur Evi Keglmaiers Säge. | |
| ## Bratsche, Tuba, Säge | |
| Das tut sie auch auf „Keglmaier“, das die Ex-Zwirbeldirn und -Mrs. Zwirbel | |
| Evi K. unter tätiger Mithilfe von Multiinstrumentalist Greulix Schrank, | |
| Gitarrist Johannes Öllinger und weiteren Gästen gerade veröffentlicht hat. | |
| Ein Soloalbum, das allem anderen als der stilistischen Homogenität | |
| verpflichtet ist, sondern so unberechenbar bleibt wie die Urheberin selbst. | |
| Die vielseitige Mittdreißigerin mit Landshuter Vergangenheit kann gar nicht | |
| anders, als sich eine ganze Menge zu trauen: Sie bedient Bratsche, Tuba und | |
| Säge – und singt sogar ein paar Mal durch den Mund, auf Deutsch. „Der | |
| schöne Metzger und seine Frau“ ist ein kleiner Gassenhauer, „Aus der Nacht… | |
| (Text: Friedrich Ani) eine schön gezupfte Bratschenballade. | |
| Frühlingsgefühle, für die man nicht unbedingt den Münchner Isarstrand oder | |
| den Englischen Garten aufsuchen muss, die Hackerbrücke am Hauptbahnhof | |
| tut’s auch. Wie Meisen im Geäst hocken dort die Müßiggänger auf dem | |
| Stahlgerüst-Geländer oder lehnen sich an einen warmen Brückenpfeiler – den | |
| Blick Richtung Abendsonne, zu Füßen zwei Dutzend Bahngleise, den ZOB im | |
| Rücken, ein Bier in der Hand – und lassen sich mal ein halbes Stündchen | |
| überwältigen. Auf „Keglmaier“ ist „Hackerbrücke“ der kürzeste Track… | |
| gerade mal 50-sekündiges Miniatur-Hörspiel, in dem sich Fern- und Heimweh | |
| hübsch die Waage halten. | |
| 4 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Schäfler | |
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