# taz.de -- Alien-Disko-Festival in München: Keine Sub- ohne Hochkultur | |
> Musik zur Zeit wie etwa Machismo-freier Dada-Pop. Mitglieder von The | |
> Notwist kuratieren das Alien-Disko-Festival in den Kammerspielen München. | |
Bild: Die Tenniscoats aus Japan kuratierten das Festival mit – und spielten o… | |
Für das subkulturell chronisch unterversorgte München ist das | |
Alien-Disko-Festival in den Kammerspielen ein Segen. Denn hier spielen an | |
zwei Abenden Bands, die in dieser Stadt sonst nicht veranstaltet würden. | |
Auch die dritte Ausgabe seit 2016 wurde wieder von den Mitgliedern von The | |
Notwist kuratiert, diesmal allerdings ergänzt durch Saya und Takeshi Ueno, | |
also den Tenniscoats aus Japan, was dazu führte, dass das bestens besuchte | |
Festival den Noise-Gitarristen Otomo Yoshihide, den | |
Klangmaschinen-Experimentator Umeda Tetsuya oder die um eine Brass-Band | |
erweiterten Tenniscoats selbst zu sehen bekam. | |
Das Festival lebt auch von dem Gedanken, keinen regelrechten Headliner zu | |
präsentieren, sondern die beteiligten Künstler gleichberechtigt | |
aufzulisten, von der neu gegründeten Münchner Dilettanten-Band Moon not War | |
bis zum schottischen Folk-Jazz-Schwergewicht Bill Wells. Dennoch gab es an | |
beiden Tagen erkennbare Haupt-Acts, die zur besten Zeit auf der größten | |
Bühne standen. | |
Am Freitag waren das die in Bestbesetzung reformierten Palais Schaumburg. | |
Die boten mit ihrem – durch Thomas Fehlmanns Keyboards – nun elektronisch | |
unterfütterten, machismo-freien Dada-Pop einen hochprofessionellen | |
Auftritt. Klassiker wie „Morgen wird der Wald gefegt“ oder „Kinder der To… | |
wirken auch heute kaum abgestanden. | |
Der fast 62-jährige Frontmann Holger Hiller wirkte rein optisch und | |
athletisch so, als sei die Zeit seit 1981 stillgestanden, ein Dorian Gray | |
der Neuen Deutschen Welle. Allein die Poser-Allüren von ihm und Bassist | |
Timo Blunck passten nicht so gut zu einem Festival, das Nahbarkeit und | |
Bescheidenheit zu seinen Eigenschaften zählt. | |
## Ein Hauch von Nico | |
Am späten Samstagabend war die große Bühne dann für die Britin Tirzah | |
reserviert. Die hat sich 2018 mit dem zauberhaft-subtilen Indie-R&B von | |
ihrem Debutalbum „Devotion“ einen Namen gemacht. Auf der Bühne zeigte sich | |
die Sängerin fast reglos, konzentriert auf ihre beseelten Love Songs. | |
Tirzah wurde im Hintergrund unterstützt von Rapper und Gitarrist Coby Sey | |
und ihrer Produzentin Mica „Micachu“ Levi. Ein Hauch von Nico wehte durch | |
die Halle, unterlegt von James-Blake-haftem Donnerbass. Allein: Das streng | |
durchgehaltene Prinzip der Langsamkeit und die statische Performance | |
erzeugten nicht unbedingt die erwünschte Intensität, sondern die Atmosphäre | |
einer stillen Andacht. | |
Die Highlights des Festivals fanden eher auf den kleineren Bühnen statt und | |
waren Jazz-Musikern vorbehalten. Der aus Chicago stammende | |
Multiinstrumentalist Ben Lamar Gay und sein Quartett boten am Samstag eine | |
atemberaubende Show zwischen Free Funk und Sun-Ra-Anleihen. Virtuos | |
begleitet von Gitarre, Sousaphon und Schlagzeug präsentierte sich Lamar Gay | |
als Größe des modernen Jazz, der keine Berührungsängste gegenüber Pop und | |
R&B hat. | |
Augsburger Puppenkiste in der Noise-Version | |
Problemlos gelangen hier Stimmungs- und Tempi-Wechsel, inspiriert und | |
sichtbar begeistert intoniert von dieser außergewöhnlichen Band. Am Freitag | |
zuvor hatte die Dresdner Schlagzeug-Legende Günter Baby Sommer ihren großen | |
Auftritt an der Seite von Micha Acher (Sousaphon) und Johannes Enders | |
(Sax). Der 75-jährige Free-Jazzer begeisterte mit seiner sehr | |
zurückgenommenen wie humorvollen Art. | |
Das dritte Alien-Disko-Festival bot musikalische Überraschungen. Etwa den | |
französischen Experimentalmusiker Pierre Bastien. Er baut mechanische | |
Klangmaschinen, die perkussive Loops erzeugen und von ihm permanent | |
verändert, ergänzt oder reduziert werden. Die Maschine wird von einer | |
Live-Kamera gefilmt und auf eine große Leinwand hinter ihm projiziert – | |
eine Art Augsburger Puppenkiste in Noise-Version. | |
Schottland war mit dem skurrilen Bill Wells an der Gitarre und der | |
Tuba-Spielerin Danielle als The Sensory Illusions vertreten. Aber auch mit | |
den Softcore-Evergreens The Pastels. Deren liebliche Pop-Musik passte | |
perfekt zu den verträumten Tenniscoats, deren Sängerin Saya die Band auch | |
für einige Stücke begleitete. Das weibliche New Yorker HipHop-Duo Oshun und | |
die Londoner Cumbia-Band Eddie Marcon rundeten das Ganze ab, sodass man nur | |
hoffen kann, dass den Münchnern das Alien-Disko auch über die Intendanz | |
Lilienthals hinaus erhalten bleibt. | |
16 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Roderich Fabian | |
## TAGS | |
Kammerspiele München | |
The Notwist | |
Musikfestival | |
Punk | |
Imaginäre Folklore | |
Schottland | |
Festival | |
Pop Art | |
Freispiel | |
Popmusik | |
elektronische Musik | |
Pop | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Album von Good Bad Happy Sad: Gib mir mal die Sonnenbrille | |
„Shades“, das Album der Band Good Sad Happy Bad um Komponistin Mica Levi, | |
kratzt dem Wohlklang die Augen aus – und macht dennoch froh. | |
Folkmusik aus Bayern: Die Welt ist voller seltsamer Songs | |
In der Hochzeitskapelle frönen Markus und Micha Acher der Blasmusik. | |
Bratschistin Evi Keglmaier hat ein Soloalbum veröffentlicht. | |
Schottischer Postpunk und Achtziger-Pop: Mit Vorliebe für's twingy twangy | |
Ungebrochene HeldInnen: Auf der Compilation „Big Gold Dreams“ strotzen | |
schottische Stars von einst vor Energie und Charme. | |
Noise-Festival in Hamburg: Lärmende Gespenster | |
Zum dritten Mal beschäftigt sich das Festival „Noisexistance“ mit Krach – | |
und wirft einen feministischen Blick auf die männlich geprägte Noise-Szene. | |
Ausstellung „Real Pop 1960–1985“: Jenseits des Kunstmarkts | |
Die Ausstellung „Real Pop 1960–1985“ gibt Anlass, sich darüber Gedanken … | |
machen, wie in der Kunst Status und Bedeutung zugeschrieben werden. | |
Berliner Pop-Entdeckung Freispiel: Synthieliebe in der Keksfabrik | |
Stephan Mensger hat als Freispiel das dritte Album „Nonsens Konsens“ | |
veröffentlicht – sein Pop-Entwurf verdient unbedingt mehr Beachtung | |
Festival in Hamburg: „Fröhlich vor sich hin spielen hier nur die Bäume“ | |
„Papiripar“ möchte Pop und Kunst verknüpfen. Kurator Felix Kubin über die | |
Vermischung von Szenen, konzeptionelle Musik und Spiel als Widerstand gegen | |
Tristesse. | |
Tirzah mit Debütalbum: Ich tanze nicht, ich kämpfe | |
Die Londoner Sängerin Tirzah Mastin kümmert sich trotz vieler Fans lange | |
Zeit mehr um Mode als um Musik. Nun erscheint das Album „Devotion“. | |
Debütalbum von Spirit Fest: Kuscheln im Kollektiv | |
Ihre Musik schießt psychedelische Sonnenstrahlen durch die Winterkälte. Mit | |
dabei sind Markus und Micha Acher, die Bands Tenniscoats und Aloa Input. |