# taz.de -- Festival in Hamburg: „Fröhlich vor sich hin spielen hier nur die… | |
> „Papiripar“ möchte Pop und Kunst verknüpfen. Kurator Felix Kubin über … | |
> Vermischung von Szenen, konzeptionelle Musik und Spiel als Widerstand | |
> gegen Tristesse. | |
Bild: Will Denkfähigkeit erweitern und den Spieltrieb anregen: Felix Kubin. | |
taz: Herr Kubin, was bedeutet: Es gibt zu wenig Kunst in der Musik und zu | |
wenig Musik in der Kunst? | |
Felix Kubin: Mich hat immer gestört, wenn auf Kunst-Vernissagen Musik nur | |
als Eröffnungshintergrundgedüdel benutzt wird, als soziales Schmiermittel | |
und nicht als eigenständige künstlerische Ausdrucksform. Wir wollen mit dem | |
Festival die Schnittmenge zwischen Kunst und Musik finden – wobei das | |
Gewicht ein wenig mehr auf der Musik liegt – und experimentelle Popmusik | |
mit Kunst, Film und Performance verknüpfen. | |
[1][„Papiripar“] soll zwei sonst eher getrennte Szenen zusammenbringen? | |
Es geht um eine Kunstszene, die Interesse an akustischen Sachen hat. Und es | |
geht um eine Musikszene, die Interesse hat an experimentellen und | |
konzeptionellen Ansätzen, sowohl in der Musik als auch in Bezug auf die | |
Aufführung. Und auch mit der Literatur gibt es eine Menge | |
Anknüpfungspunkte. In den 80ern gab es eine Welle sehr progressiver | |
Popmusik und eine ganz selbstverständliche Überschneidung von Kunst- und | |
Musikorten, im Publikum, aber auch bei den Künstler*innen selbst. | |
Sie präsentieren also Künstler*innen, die beide Welten zusammenbringen? | |
Es sind jedenfalls Leute, bei denen man schwer definieren kann, was genau | |
sie machen. [2][Sven-Åke Johansson], der bei uns zu Gast ist, ist ein gutes | |
Beispiel für die Verknüpfung von experimenteller Musik und | |
Performancekunst. Johansson hat in Berlin Ende der 1960er im Zodiak Free | |
Arts Lab mit Freejazz angefangen und hat unter anderem mit [3][Peter | |
Brötzmann] zusammengespielt, auch auf dessen Platte „Machine Gun“. | |
Dann ist er in die Kunst gegangen? | |
Er hat sich immer mehr in Richtung Performance entwickelt. Bis er Konzerte | |
gespielt hat, auf denen fast kein Schlagzeug mehr zu hören war. Oder er hat | |
Konzerte für Traktoren oder Feuerlöscher geschrieben. Er spielt mit | |
Geigenbögen Musik auf Kartons, dafür hat er auch ein Orchester gegründet. | |
Ist das dann noch Musik? | |
Das Schlagzeug bleibt sein Instrument, er hat es halt explodieren lassen. | |
Aber alles, was er macht, kommt eindeutig aus dem Gedanken des Schlagzeugs. | |
Wenn er Traktorenmusik dirigiert, interessiert er sich für den Rhythmus. | |
Aber die Art, wie er den Raum nutzt, wie er auftritt, natürlich auch die | |
Art der Musik, die er dann spielt, sind so geräuschhaft, so abstrakt, so | |
weit weg von der klassischen Dramaturgie eines Schlagzeugkonzerts, dass man | |
eben nicht mehr genau sagen kann, was das ist. | |
Irgendwo zwischen Musik und Kunst … | |
Mich hat immer schon das Ungreifbare interessiert und beim Festival | |
interessieren uns auch Sachen, die ein bisschen schwer zu greifen sind, | |
aber eindeutig mit einem Kunstgedanken verbunden. [4][Holger Hiller] wäre | |
ein anderes Beispiel. Die Musik, die er mit Palais Schaumburg gemacht hat, | |
ist stark von einem konzeptionellen und künstlerischen Plan getragen. | |
Und worin bestand bei ihm das Konzept? | |
Was ihn von anderen abhebt, die reine Mucker sind, ist zum Beispiel, dass | |
er beim Schreiben seiner Texte nach einer Cut-up-Methode vorgeht. Dabei | |
wusste er zu dem Zeitpunkt gar nichts von den Dadaisten und den | |
Schnitttechniken, die die entwickelt hatten – zumindest sagt er das. Oder | |
von Collagen oder den Techniken des Unbewussten, die die Surrealisten | |
angewandt haben. Da gibt es so Kartenspiele und andere Versuche, die | |
Linearität des Denkens aufzulösen. Das hat er direkt angewandt in seinen | |
Texten, in seiner Musik. Eine Mischung aus einem strengen, fast | |
mathematischen Arbeiten und gleichzeitig mit so verspielten Techniken und | |
Soundarbeiten. | |
Ist das im Gegensatz zu experimenteller Klubmusik dann eher Kopfmusik? | |
Ich würde sagen: Spielmusik. | |
Das Experimentelle ist also nicht so sehr das Forschende, sondern eher das | |
Verspielte? | |
Der Künstler muss in erster Linie die Denkfähigkeit der Menschen erweitern | |
und deren Spieltrieb, die Fantasie anregen – ganz wichtig für Hamburg! | |
Der Stadt fehlt Fantasie? | |
Es gibt auf jeden Fall zu wenig Spieltrieb. Das Einzige, was in dieser | |
Stadt fröhlich vor sich hinspielt, sind Bäume, die irgendwohin wachsen. In | |
Hamburg werden ganz oft quadratische Flächen und Gebäude hergestellt, es | |
ist alles immer so unverspielt. Hammerbrook hier zum Beispiel hat eine fast | |
schon dystopische Traurigkeit, so eine industrielle Schwere. | |
Und das Verspielte begehrt dagegen auf? | |
Diese Tristesse im Alltag kann natürlich auch jemanden anregen, etwas damit | |
zu machen. Ich sehe das Spiel nicht als etwas, das nur für Kinder da ist. | |
Das Spiel ist sehr wichtig, um Begriffe immer wieder neu zu bewerten, mit | |
ihnen zu arbeiten oder sie umzuwerfen und den Blick auf etwas zu verändern. | |
Man erfindet im Spiel ja auch Dinge. Man erweitert die Welt, die nüchtern | |
betrachtet zu unbeseelt und langweilig erscheint. In der spielerischen | |
Erweiterung der Welt entstehen dann viel größere Welten und viel größere | |
Gedanken. Und das hat Auswirkungen darauf, wie man lebt – wenn man es | |
konsequent betreibt. | |
Dann ist das Spiel im Gegensatz zur marktkonformen Kreativität etwas | |
Widerständiges? | |
Weil das Kunstwerk, egal welche Form es annimmt, nur im Raum zwischen | |
Aufführendem und Publikum entstehen kann. Das Publikum interpretiert und | |
verknüpft das, was es sieht, und hört, mit eigenen Emotionen, Erfahrungen | |
und auch Widerständen. Das kann auch Wut sein, dass man sich über etwas | |
ärgert. | |
Das Kunstwerk entsteht also in einem spielerischen sozialen Austausch? | |
Jede*r Besucher*in einer Ausstellung oder eines Konzerts erfindet etwas | |
mit. Die besten Ausstellungen oder Konzerte sind die, bei denen ich | |
konstant Ideen bekomme, die in mir so viel anregen und mich so begeistern, | |
dass ich selbst etwas machen will. Deswegen sind die Künstler*innen immer | |
ein bisschen neidisch auf die Musiker*innen, weil die Leute da sofort | |
mitgehen, schreien und tanzen. Wie toll wäre es, wenn es mal eine | |
Ausstellung geben würde, wo die Leute abgehen wie bei einem Musikkonzert | |
und schreien: Was für geile Kunstwerke! | |
12 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.papiripar.com | |
[2] http://www.sven-akejohansson.com | |
[3] http://www.peterbroetzmann.com | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Holger_Hiller | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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